Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield

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Название Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen
Автор произведения Charles Sealsfield
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835741



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weißer Bruder«, sprach die Indianerin im leisen, beinahe scheuen Tone, »ist im Kanu des Häuptlings der Salzsee angekommen; aber er ist keiner seiner Krieger.«

      »Er ist vielleicht, was sie einen Matrosen nennen«, bemerkte Rosa.

      »Nein«; sprach die Indianerin im bestimmten Tone. »Sieh nur einmal seine Hände, sie sind kaum stärker als die meinigen, und zart, wie die eines Mädchens; das Salzwasser hat sie bloß gelb gefärbt.«

      »Vielleicht ist er ein Bote«, wisperte Rosa, auf eine Weise, die jedoch Zweifel auszudrücken schien.

      Die Indianerin schüttelte wieder den Kopf. »Sieh, er kommt von der Salzsee durch den großen See, der das Wasser unsers Stromes trinkt; aber er weiß nicht einmal ein Boot durch das dicke Gras zu bringen. Er wähnte, die große Wasserschlange sei ein fauler Baum, und trat auf sie, und sie begrub ihre Zähne in seinem Fleische. Dein weißer Bruder ist dem Häuptling der Salzsee entflohen.« Sie sprach diese Worte mit einer Bestimmtheit und Zuversicht, als wenn sie den Fremdling auf seinem abenteuerlichen Zug begleitet hätte.

      »Und würde Canondah zugeben, daß ihr Bruder in der kalten Nacht erstarre, oder daß das Fieber ihm sein Leben raube, ihm, der ihr und den Ihrigen nie etwas zuleide getan hat?«

      »Meine Schwester spricht wie eine Weiße, Canondah ist aber die Tochter des Miko«; entgegnete die Indianerin ein bißchen trotzig; doch erfaßte sie Rosas Hand, ihre Züge hellten sich auf, und sie fügte im leisern Tone hinzu: »Canondah will die Stimme ihrer Schwester zugunsten ihres weißen Bruders hören. Wir müssen ihn aber in den hohlen Baum bringen.«

      Beide Mädchen hoben nun den Jüngling, und jede einen seiner Arme erfassend, schleppten sie ihn durch das dichte Rohr. Während die voranschreitende Rosa ihn durch das Palmetto hindurchzuziehen versuchte, bemühte sich die Indianerin, vorzüglich seinen Fall zu verhüten. Es war ein langsamer und mühsamer Zug. Blutverlust und frühere Erschöpfung hatten die Kräfte des jungen Menschen so ganz aufgerieben, daß sie ihn kaum mit Anstrengung aller ihrer Kräfte aufrechterhalten konnten.

      »Rosa!« schrie die Indianerin plötzlich, »denke an die Squaws, an den Miko; die Spuren werden noch nach Monden zu sehen sein.«

      Rosa hätte wohl mit ihrer ätherischen Gestalt durch die zahllosen dicht aneinandergereihten Stämmchen dringen können; allein der seitwärts nachgeschleppte Fremdling brach mit jedem Schritte einige Rohre. Sie waren noch nicht zur Hälfte des Palmettofeldes gelangt, als seine gänzliche Auflösung nahe schien. Alle Kraft war von ihm gewichen, und beide Mädchen vermochten nur mit äußerster Anstrengung, ihn den Rest des Feldes hindurchzuschleppen.

      Keuchend und stöhnend waren sie endlich am Rande angelangt, Rosa war im Innern niedergeschlagen, unfähig sich zu erheben; die Indianerin hatte noch so viel Kraft, ihre Last aus dem Palmetto zu schleppen, und sank dann gleichfalls erschöpft auf den Rasen hin.

      Die letzten Strahlen der Sonne vergoldeten noch die Gipfel der höheren Bäume, die untern Zweige schwanden bereits in das mattere Zwielicht, als Rosa zur Indianerin trat und sie mit den Worten: »Die Sonne steht tief«, aus ihrer Bewußtlosigkeit aufregte. Die Indianerin sprang auf, und beide Mädchen trippelten tiefer in den Wald, da wo der Boden sich gegen den Sabine zu senkt. Vor einem ungeheuern Kottonbaume hielten sie. Mehrere riesenstämmige Weinreben, in deren gewaltiger Umarmung dieser kolossale Stamm abgestorben war, umwanden noch immer mit ihren glänzendroten Ranken den herrlichen Koloß, dessen Inneres mit seinen modernden Zacken, ausgehöhlt vom Zahne der Zeit, in tausend phantastischen Gestalten sich darstellte, und, einer gotischen Kapelle nicht unähnlich, so geräumig war, daß zwanzig Menschen darin Platz fanden. Die Sorgfalt, mit der diese Höhle gereinigt war, und eine nachbarliche Salzquelle, verrieten, daß sie den zur Nachtzeit jagenden Indianern als Anstandspunkt diente. Canondah näherte sich vorsichtig der Öffnung, trat behutsam ins Innere und kehrte mit der Nachricht zurück, daß es leer sei. Beide Mädchen eilten nun einer Zypresse zu, von deren Ästen sie ein Bündel spanischen Mooses rissen, und das sie in der Höhle zum weichen Lager bereiteten. Die Indianerin rollte noch mehrere morsche Blöcke vor den Eingang, wahrscheinlich um ihn gegen den nächtlichen Besuch von Bären oder Panthern zu verwahren.

      »Gut«, sagte sie, als diese Vorbereitungen beendigt waren, ihren Arm um Rosa schlingend und dem Fremden zueilend. Die Indianerin, ohne auch nur einen Augenblick zu verweilen, schob ihre Linke unter den beiden Schenkeln des Verwundeten hindurch und winkte Rosen, ihre Hand zu fassen, während ihre Rechte dem Verwundeten zur Lehne diente. Rosa errötete.

      »Scheut sich die weiße Rose, ihren Bruder zu berühren, um dessen Leben sie ja eben gebeten?« sprach sie mit einem sanften Vorwurfe.

      Das Mädchen, statt aller Antwort, faßte die Hand der Indianerin, und die beiden hoben ihre Bürde auf die soeben angezeigte Weise mit verschlungenen Händen und trugen sie der Baumhöhle zu, in welcher sie sie niederließen. Die Indianerin bog sich über ihn herab und wisperte: »Wenn die Erde in Dunkel gehüllt ist, wird Canondah zu ihrem Bruder kommen, und dann wird sie Balsam in seine Wunden gießen.«

      Ihre Worte jedoch waren, wie zu erwarten stand, ungehört verschollen, und, ein leises Atmen ausgenommen, gab der Fremdling kaum mehr ein Zeichen des Lebens. Noch waren die Baumgipfel in glänzendem Purpur gerötet, während über die Tiefen das Dunkel heranzog, als die beiden Mädchen wieder an den Ort kamen, wo sie die Trauben eingesammelt hatten. Hastig ihren Vorrat aufraffend, schlugen sie den engen Pfad ein, den sie gekommen waren und auf welchem wir ihnen nun vorzueilen gedenken, um unsere Leser in eine neue Welt einzuführen.

      Viertes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Nicht fern von dem Schauplatze des soeben erzählten Abenteuers öffnete sich eine weite Lichtung, die etwa drei Meilen längs dem Ufer sich erstreckend, eine halbe Meile vom Flusse gegen den Wald zulief. Diese Lichtung war Palmettofeld gewesen, das, wie bereits erwähnt, sich längs dem rechten Ufer des Flusses ungefähr eine halbe Meile gegen den Wald hinziehend, von den kolossalen Stämmen dieser Urwälder gleich einem Rahmen eingefaßt wird. Augenscheinlich hatte man diese Lichtung durch Verbrennen des Rohres bewirkt, an dessen Stelle ein Teppich des üppigsten Wiesengrundes mit prachtvollen Baumgruppen getreten war, zwischen welchen irreguläre Hecken von Myrten, Mangroven, Palmen und Tulpenbäumen sich hindurchschlängelten, das Ganze einem Parke mit seinen Baumgruppen und Pflanzungen ähnelnd. Hie und da ließen sich Rauchwölkchen sehen, die sich durch die silbergrünlichen Äste der Sykomore und Kottonbäume hinaufschlängelten und auf das Dasein menschlicher Wesen schließen ließen, und bei näherer Besichtigung fand man unter den Baumgruppen eine oder mehrere Hütten friedlich an einen Baum gelehnt und von kleinen Welschkorn- und Tabakpflanzungen eingesäumt. Weiter hinauf nahm ihre Anzahl allmählich zu, so daß ihrer nicht weniger denn fünfzig sein mochten.

      Es war keine besondere Ordnung in ihrer Aufstellung oder Bauart bemerklich. Man schien bei ihrer Errichtung weniger den Geschmack als einen gewissen Hang zur Indolenz berücksichtigt und sich beim Aufbau nichts weniger als hart angestrengt zu haben. Man hatte sich die einfachsten Baumaterialien genügen lassen, roh, wie sie die Natur darbietet. Sie waren aus den kleinen Ästen von Kottonbäumen gezimmert und aufgerichtet, die Lücken ausgefüllt mit Tillandsea oder spanischem Moose. Statt der Dachdauben, mit denen westlich von dem Alleghaniegebirge häufig die Wohnungen ärmerer Landleute gedeckt sind, hatte man hier das Palmettorohr genommen: eine Wahl, die dem Ganzen einen ungemein zarten Anstrich von Ländlichkeit und Einfachheit gab. Die Wohnungen selbst waren größtenteils ohne Fenster und erhielten ihr Licht durch die Kaminöffnung oder die Türe, statt welcher eine Wildbüffelhaut vom Türpfosten herabhing, die während des Tages auf das niedrige Dach zurückgeworfen wurde. Der Hauptreiz dieses Dörfchens lag jedoch nicht sowohl in seiner Bauart, als den vielen Baumgruppen, unter welchen die niedlichen Hütten zu nisten schienen: eine Maßregel, die wahrscheinlich die große Hitze während der Sommermonate in einer Gegend nötig machte, die bekanntlich der Scheidepunkt zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte der westlichen Welt bildet. Die außerordentliche Reinlichkeit des Dörfchens war nicht weniger bemerkenswert und trug viel dazu bei, den günstigen Eindruck zu vermehren. Es war wirklich ein