Gesammelte Werke. Odon von Horvath

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Odon von Horvath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027226528



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sondern sogar für »Praxis«. Aber so einfältig war sie nun dennoch nicht, wie es der Freiherr von Aretin wünschte, der nach den Maiwahlen 1928 in den »Münchener Neueste Nachrichten« behauptet hatte, daß das niederbayerische Bauernweiblein nur in dem Glauben, daß der Kommunismus mit der heiligen Kommunion zusammenhängt, kommunistisch wählt. Und sie glaubte auch nicht, was in der »Münchener Zeitung« stand, daß nämlich die Herrschaft des Sozialismus eine Orgie der sieben Todsünden bedeutet. Sie besaß doch immerhin den unchristlichen Instinkt, ihre Mitbürger in »Großkopfete« und »anständige Menschen« einzuteilen.

      Dieser Instinkt hatte sie auch mit ihrem einzigen Verwandten entzweit, dem Gatten ihrer verstorbenen Schwester, einem gewissen Studienrat Gustav Adolf Niemeyer aus der Schellingstraße.

      Der hatte ihr seinerzeit, da sie von der unabhängigen Sozialdemokratie begeistert war, folgenden Brief gesandt:

      An Afra Krumbier. Weiber verstehen nichts von Politik. Das Maß ist voll. Wir sind nicht mehr verwandt. Gustav Adolf Niemeyer.

       Inhaltsverzeichnis

      Dieser Studienrat hatte einen hoch aufgeschossenen Sohn mit einem etwas krummen Rücken, riesigen Händen und einer Brille. Er hieß ebenfalls Gustav Adolf und als er 1914, da der liebe Gott sprach: »Es werde Weltkrieg!« (und es geschah also und Gott sah, daß er gut getan), einrücken mußte, wollte er gerade Chemie studieren und sagte: »Meiner Meinung nach hat die Chemie Zukunft.« Die Horizonte waren rot von den Flammen der brennenden Dörfer und Wälder, rund zwölf Millionen Menschen wurden zerstückelt und über das Leben kroch das Gas. Es war Hausse in Prothesen und Baisse in Brot. Immer mehr glich die Erde dem Monde.

      Der Studienrat sammelte Kriegspostkarten, Kriegsmedaillen, Kriegsbriefmarken, Kriegsscherzartikel und nachts kratzte er diebisch die Kriegsberichte von den Anschlagsäulen.

      Weihnachten kam, das Fest der Liebe, und die deutschen Leitartikel huldigten dem deutschen Christkind, die französischen dem französischen Christkind, es gab auch eine österreichische Madonna, eine ungarische, englische, belgische, liechtensteinische, bayerische. Alle diese Madonnen waren sich feindlich gesinnt und gar zahlreiche Heilige übernahmen Ehrenprotektorate über schwere und leichte Artillerie, Flammenwerfer und Tanks.

      1915 fiel Gustav Adolf junior in Flandern und Gustav Adolf senior verfaßte folgende Trauernotiz: »Es widerfuhr mir die große Freude, den einzigen Sohn auf dem Altar des Vaterlandes geopfert zu haben.« Und er lächelte: »Wenn das die Mutter noch erlebt hätte!«

      Dem einzigen Sohn widerfuhr allerdings weniger Freude über sein Opfer. Von einem spanischen Reiter aufgespießt, brüllte er vier Stunden lang auf dem Altar des Vaterlandes. Dann wurde er heiser und starb.

      Sein Feld der Ehre war ein Pfahl der Ehre, der ihm die Gedärme ehrenvoll heraustrieb.

      Als eitler Rohling schritt der vaterländische Vater stolz und dumm durch die Schellingstraße und bildete sich ein, die Leute wichen ihm aus, man sehe es ihm direkt an, daß sein einziger Sohn in Flandern gefallen ist. Ja, er plante sogar, sich selbst freiwillig zu opfern, jedoch dies vereitelten Bismarcks Worte, die er abgöttisch liebte: »Den Krieg gewinnen die deutschen Schulmeister.«

      Aber es kam bekanntlich anders. Am Ende ihrer Kraft brachen die Mittelmächte zusammen und fassungslos stammelte Gustav Adolf senior: »Aber die Pazifisten können doch nicht recht haben, denn warum ist denn dann mein Sohn gefallen?«

      Erst anläßlich des Versailler Diktates atmete er auf. Nun konnte er es sich ja wieder beweisen, daß die Pazifisten nicht recht haben und daß also sein Sohn nicht umsonst gefallen ist.

      Als Liebknecht und Luxemburg ermordet wurden, wurde es ihm klar, daß das deutsche Volk seine Ehre verloren hat und daß es selbe nur dann wiedererringen kann, wenn abermals zwei Millionen junger deutscher Männer fallen. Als Kurt Eisner ermordet wurde, hing er die Fotografie seines Mörders neben jene seines Sohnes.

      Als Gustav Landauer ermordet wurde, stellte er fest: »Die Ordnung steht rechts!«

      Als Gareis ermordet wurde, macht er einen Ausflug in das Isartal und zwischen Grünwald und Großhesselohe sagte er dreimal: »Deutsche Erde!«

      Als Erzberger ermordet wurde, betrat er seit langer Zeit wiedermal ein Biercabaret am Sendlingertorplatz. Dort sang ein allseits beliebter Komiker den Refrain: »Gott erhalte Rathenau, Erzberger hat er schon erhalten!« Es war sehr komisch.

      Als Rathenau ermordet wurde, traf er einen allseits beliebten Universitätsprofessor, der meinte: »Gottlob, einer weniger!«

      Als Haase ermordet wurde, ging er in die Oper und prophezeite in der Pause: »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los!«

      Und der Sturm brach los, das »Volk« stand auf und warf sich auf dem Münchener Odeonsplatz auf den Bauch. Da wurde es windstill in des Schulmeisters Seele.

      Geistig gebrochen, doch körperlich aufrecht ließ er sich von der Republik pensionieren, witterte überall okkulte Mächte und haßte die Gewerkschaften.

      Er wurde Spiritist. Als er aber entdeckte, daß es auch unter den Jüdinnen Spiritistinnen gibt, wandte er sich ab vom Spiritismus.

      Er fürchtete weder Frankreich, noch die Tschechoslowakei, nur die Freimaurer. Genau so, wie einst seine Urgroßmutter die Preußen gefürchtet hatte. Die war an Verfolgungswahn erkrankt und hatte geglaubt, jeder Preuße hätte an seinem linken Fuße vierzehn Zehen.

      Von Tag zu Tag sah er seiner Urgroßmutter ähnlicher.

      Er vertiefte sich in seine abgekratzten Kriegsberichte und wollte es unbedingt ergründen, wieso wir den Krieg verloren haben, obwohl wir ihn nicht verloren haben. Und seine einzige Freude waren seine gesammelten Kriegsscherzartikel.

       Inhaltsverzeichnis

      Das war Afra Krumbiers Schwager.

      Sie hatte ihn nie recht gemocht, denn seit ihre verstorbene Schwester Frau Studienrat geworden war, hatte sie angefangen Afra von oben herab zu behandeln, weil Afra in ihrer Jugend nur mit einem Kanzleibeamten verlobt gewesen war, der sie obendrein auch noch sitzen gelassen hatte, weil er defraudiert hatte und durchgebrannt war.

      Und seit nun Afra im Antiquariat der Tante sozusagen lebte, vergaß sie ihren Schwager fast ganz, so sehr konzentrierten sich die Tante und sie aufeinander. Diese Konzentration war sogar so stark, daß die beiden Alten es oft selbst nicht mehr zu wissen schienen, wessen Nichte Agnes ist.

      So fragte auch heute wieder Afra die Tante, welcher Kunstmaler sich die Agnes als Modell gewählt hätte, ob er eine Berühmtheit sei oder eine Null, ob noch jung oder schon älter, ob verheiratet, verwitwet, geschieden oder ob er so im Konkubinat dahinlebe, wie das bei den Kunstmalern meistens der Fall sei.

      Die Tante meinte, sie kenne den Kunstmaler nicht persönlich, er wohne zwar nicht weit von hier und sie höre nur Gutes über ihn, zwar habe sie nur gehört, daß er Achner heißt, aber auf die Kunstmaler sei kein Verlaß, und sie habe es der Agnes auch schon erklärt, daß sie sich ja nicht unterstehen soll bei künstlichem Lichte als Modell herumzustehen. Bei künstlichem Lichte könne nämlich kein Kunstmaler malen und dann noch Modell stehen; das sei eine Schweinerei. Sie kenne nämlich mehrere Modelle, die beim künstlichen Licht Kinder bekommen hätten, und so Künstler schwörten gerne ab, besonders Kunstmaler.

      Und die Krumbier erwiderte, das sei schon sehr wahr, aber es gebe auch korrekte Kunstmaler. So kenne sie eine Konkubine, die dürfe heute sechzig Jahre alt sein und lebe noch immer mit ihrem Kunstmaler zusammen. Der sei zwar erst fünfunddreißig Jahre alt und habe noch nie ein Bild verkauft, aber das könne ihm sauwurscht sein, denn jene Konkubine habe Geld.

      Die Tante wollte gerade erklären, daß die Kunstmaler solch ein Konkubinat »freie Liebe« nennen, weil es nicht wie eine bürgerliche Ehe auf Geld aufgebaut sei – da betrat ein