Название | Die wichtigsten Werke von Richard Voß |
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Автор произведения | Richard Voß |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027223008 |
War Fernow bei uns, so wurde die Sitzung zu mir herüber verlegt. Luise schloß sich aus. Sie war versöhnt, aber sie konnte nicht vergessen. Jener grausame Schnitt in ihre Schleppe war ein Schnitt in ihr Herz gewesen. An diesen Abenden las ich ganz in alter Weise mit Fernow; wie ich denn keine Rolle studierte, ohne dieselbe vorher mit ihm besprochen zu haben: Immer fühlte ich mich als Schülerin. Bei dem Bilden meiner Gestalten erging es mir wie jedem redlichen Künstler: sie erschienen mir stets unvollendet, stets unvollkommen. Niemals erreichte mein Können das Wollen. Oft, ich gestehe es, gab ich der Menge ungern das hin, was so ganz mein eigen war. Ich hatte dann das qualvolle Gefühl: da gibst du Seele von deiner Seele, Leben von deinem Leben und – man beklatscht dich dafür!
Pathos, Emphase, Pose hatte ich abgestreift, wie ein Gewand, dem ich entwachsen war. Treue Schülerin meines Meisters, suchte ich in allem nach Wirklichkeit und Wahrheit. Nach wie vor übersetzte ich mir die Dichtung in meine eigene Sprache: das ideale Wort in meine eigene Empfindung. Da mußte ich denn oft erkennen, wie meine Seele nur von einem Echo widerklang, während doch das Wort selbst darin hätte tönen sollen! Ich mußte oft einsehen, wie wahr des Freundes: Erlebe, Erlebe! war. Nur selbst den Stachel im Herzen, vermagst du überzeugend von blutenden Wunden zu sprechen, an blutende Wunden glauben zu machen. Erlebe! Erlebe!
So rief denn nicht nur des Freundes Stimme unaufhörlich mahnend mich an, meinen jungen Lorbeerkranz von Dornen durchwinden zu lassen – es war meine eigene Seele, die mich drängte, zu leiden. Wäre ich noch lange fortgefahren, glücklich zu sein, hätte mich mein Glück bald unglücklich gemacht.
Neunzehntes Kapitel
Ich lebe!
Bevor ich von sehr ernsthaften Stunden zu sprechen beginne, will ich der freundlichen Gänge gedenken, die ich mit Fernow zusammen machte, so oft unser beider Zeit es erlaubte. Sie bezogen sich auf eine neue Lehrmethode des Freundes und führten mich in die Museen und Galerien.
Hier lehrte Fernow mich sehen.
Man lächle nicht über den wunderlichen Ausdruck. Da viele Hunderte in der Tat gleichsam wie ›blind‹ vor Kunstwerken vorbeigehen, so geht daraus hervor, daß es wirklich nicht so leicht ist, vor Kunstwerken seine Augen zu gebrauchen. Mittels meiner eigenen künstlerischen Natur empfand ich vor einem schönen Bilde oder einer edlen Statue in einer sehr dunklen, ahnenden Weise: das ist schön! Jedoch das Warum und das Weshalb: dieses feine Schmecken des Schönen, war mir eine verborgene Wissenschaft, ein mir völlig fremder Genuß. Meine Bewunderung äußerte sich meistens in dumpfem Staunen, ein Gefühl, das mich wenig befriedigte und daher beinahe mehr Unlust als Lust war.
Wie ward mir, als mir von Fernow allmählich die Augen geöffnet wurden! Eine neue Welt erschloß sich mir! Sein Verfahren bei Gemälden und Skulpturen war ganz dasselbe wie bei Dramen. Wir befanden uns dem schönen Gegenstand gegenüber, er sprach mit mir darüber, ließ mich ruhig meine unvollkommene Meinung abgeben, sich von mir sagen, was ich vor mir sah, immer mich ermutigend, nach einem klaren Ausdruck meiner Empfindung und Anschauung zu suchen. Dann erst begann er, mehr unterhaltend als dozierend, mir alles das zu zeigen, was er in dem Kunstwerk erblickte. Worauf sich nun in der Zuhörerin gewöhnlich eine wunderbare Metamorphose vollzog. Indem er mich nur zu dem Besten führte, wußte ich in kurzer Zeit, was das Mittelmäßige sei.
Dadurch wurden mir lange Irrwege erspart, auf welchen ich an dem vermeintlich Schönen vorbei, endlich sehr spät zum wirklich Schönen gelangt wäre.
Von einem jeden Bilde erfuhr ich nicht nur, mit welchen Anschauungen und Mitteln es gemalt; sondern auch in welcher Zeit, welche Schule es repräsentierte; erfuhr ich die Stellung des Künstlers zur Kunstgeschichte im allgemeinen und zu seiner Epoche im besondern. Ohne Buch und ästhetischen Leitfaden entrollte sich so vor meinen Augen ein klares Bild der gewaltigen, überherrlichen Renaissancezeit. Ich lernte ihre Meister kennen, ihie Bedeutung verstehen. Ausdrücke wie: die Venezianer, die mailändische und toskanische Schule – Namen wie Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo usw. hörten auf, Schall und Klang für mich zu sein. Kurz, ich fing an, mir einige Kenntnisse anzueignen, die mir mein ganzes Leben lang eine unversiegbare Quelle von Glück bleiben sollten.
In unserm Museum befanden sich wenige Antiken, wohl aber die Abgüsse aller berühmten griechischen und römischen Skulpturen.
Wenn Fernow nur von seinen Griechen reden konnte!
An unseren Abenden lasen wir jetzt Sophokles, dessen Erhabenheit mich überwältigte. Dann war es doppeltes Glück, vor den Abgüssen der Niobiden und Parthenon-Skulpturen zu stehen. Antike Skulptur ward mir zur Verkörperung antiker Dichtkunst, mit deren Geist ich mir jene beseelte. Man wird sich schwer die Wirkung davon vorstellen können, als ich in der Kariatyde des Erechteion die Antigone vor mir zu sehen glaubte, als ich in dem Zeus von Otrikoli und der Juno Ludovisi die Götter Homers erkannte.
Weil viele nicht verstehen werden, was diese Studien in der bildenden mit meiner darstellenden Kunst zu tun hatten, sei ihnen gesagt: Während meine Augen den Rhythmus der Gestalten genossen, ging dieser selbst wie schöne Melodien in meine Seele über. Gebärden und Bewegung niemals vor dem Spiegel einstudierend, tat ich das durch den verständnisvollen Anblick aller dieser unsterblich schönen Gestalten. Als später mein junger Ruhm wuchs, bekam ich viel über meine Plastik zu hören. Man bewunderte dabei besonders, daß diese fern von aller Pose sei. Wurde ich gefragt, wie ich das machte, von welcher Fanny Elsner ich das lerne, so erregte meine einfache Antwort: ich sehe mir Kunstwerke an! die spöttische Bewunderung mancher meiner Kolleginnen. Hier sei diesen auf das dringlichste geraten, es mir nachzutun und da die wenigsten das Glück haben werden, einen Freund zu besitzen, wie ich ihn besaß, so mögen sie nicht verschmähen, außer ihren Rollenstudien in diesem oder jenem guten Buch einige bescheidene Kunststudien zu machen. Noch besser wäre allerdings ein edler Verkehr mit Künstlern. Anstatt mit Malern und Bildhauern zu soupieren, sollten wir Schauspielerinnen mit denselben die Galerien besuchen; statt uns von ihnen schmeicheln zu lassen, sollten wir ihre Belehrung suchen.
Bei dieser Beschäftigung mit der bildenden Kunst sei hier auf etwas aufmerksam gemacht. Wenn eine gebildete Kritik voll Lobes den ernsten strengen Stil meiner römischen und griechischen Gewänder hervorhob – wenn meine Kolleginnen der Meinung waren, daß ich diese Wirkung nur durch zahlloses Anprobieren vor dem Spiegel zu erzielen imstande sei, so möge man wissen, daß ich auch diese Eindrücke nur meinen kleinen Kunststudien zu danken habe. Als ich die erste antike Figur spielte, ließ sich Fernow von der Mutter einige längliche Linnenstücke geben und legte mir nach dem Vorbilde der Kariatyde und der Pudicizia verschiedene Gewandungen an, die nicht genäht, sondern mittels Spangen einfach zusammengesteckt wurden. Länger als eine Woche vor der Aufführung ging ich auf Fernows Rat zu Hause in dieser edlen Tracht umher. So läßt sich der Erfolg meines »idealen« Kostüms und meiner Plastik leicht erklären.
Ich trat in keiner Rolle auf, ohne mein Kostüm nach einem historischen Vorbilde gewählt zu haben. Von der Prinzessin Eboli bis zur Luise Millerin suchten wir nach Vorbildern. Da mir die historischen Kostüme geliefert wurden, gab es dabei manchen harten Kampf. Man könne keine Ausnahme machen usw. Auch das Ensemble wurde vorgeschoben, das dadurch gestört werde; kurz, man tat alles, um sich einer höheren Auffassung dieser Frage zu erwehren. Da ich jedoch zäh war, gern auf Pracht verzichtete und man schließlich, nachdem ich es einigemal durchgesetzt, den Erfolg sah, sollte ich, ober vielmehr Fernow, den Triumph haben, nach und nach in dieser Beziehung vielfache Verbesserungen einführen zu helfen.
Ich habe erwähnt, daß ich sehr zurückgezogen lebte; wie sollte ich in meiner Weihestimmung, Gefährtin der Mutter und Fernows, mich nach dem sehnen, was man »Welt« zu nennen beliebt?! Betrachtungen, wie ich sie am Schlusse meiner letzten Aufzeichnung niedergeschrieben, waren wohl mehr Stimmungen als Meinungen. Allerdings wußte ich für gewisse Empfindungen nun einmal die Töne nicht zu finden; wie es mir auch auffallen mußte, daß mir alle Klangfarben der Sehnsucht in einer seltsam starken Weise zu Gebot standen. Das Publikum stutzte; es stutzte die Kritik. Mein Spiel wurde unruhig, ja aufgeregt. Vergebens predigte Fernow: »Mehr Ruhe, mehr Maß!«