Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



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Abend kam viel Besuch. Dann sah es im Salon ganz fein aus. Und die Signora immer in Samt und Seide. Der junge Herr Graf kam Abend für Abend. Das war nun einmal so.

      »Auch an mich wollte er sich heranmachen. Da hörte ich einmal, wie die Signora mit ihm darüber sprach; sie kreischte, daß man's im ganzen Hause vernehmen konnte. Der Mensch lachte nur dazu. Dann nahm auch der Herr sich ihn vor, und von der Stunde an hatte ich Ruhe. Und da war ich dem Herrn so dankbar ...

      »So ist es gekommen!

      »Und jetzt – jetzt kann ich nicht mehr fort. Jetzt muß ich bleiben, der Kinder wegen; und weil ...

      »Meine Eltern, meine armen, braven Eltern!«

       9. Prisca wird orientiert

       Inhaltsverzeichnis

      Es dauerte eine gute Weile, bis Priscas gesunde Natur die in dem Hause des Cavaliere Brugnoli empfangenen Eindrücke überwunden hatte. Einige Tage ging sie ganz verstört umher, und über dem strahlenden Himmel Roms lag es für sie wie ein schwerer Wolkenschatten. Je höher sich ihre begeisterte Seele gehoben gefühlt durch das Entzücken über die Herrlichkeit der einzigen Stadt, deren Wunder sich ihr täglich mehr offenbarten, um so unmöglicher erschien ihr, daß hier Sonne und Luft, Schönheit und Grazie den Menschen einer andern Zone derartig verderblich werden könnten, daß er unter ihrem Einfluß allmählich sittlich verkam. Schließlich kämpfte sie sich tapfer zu der Anschauung durch: der Mensch, der in Rom – gerade wie durch einen Gottesdienst, nicht geläutert wird, trägt einzig und allein selbst die Schuld daran. Denn das Land ward vom Himmel eigens dafür geschaffen, dem Gemüte eine Weihe zu geben.

      Und Prisca war bei solcher Betrachtung zumute, als ob ihre Existenz auf dem rosen- und lorbeerbewachsenen Hügel vor der Porta del Popolo ein Talisman wäre, der sie gegen Unglück und Gefahr, gegen jede Niedrigkeit und Häßlichkeit schützen müßte.

      Es war in diesem Jahre ein außergewöhnlich milder Winter mit vielen hellen und trockenen Tagen. Die Laurustinushecken waren dicht mit rötlichen Knospen bedeckt, der Lorbeer setzte bereits seine langen, gelblichen Blütendolden an, und um Priscas Atelier blühte ein großes Veilchenfeld, das ein dichter Kranz gelber Narzissen umgab.

      Aber den Wipfeln der Pinien und Steineichen der Villa Borghese und Medici leuchteten die Sabiner- und die Albanerberge jede Stunde in wechselnder Farbenpracht herüber.

      Allmählich orientierte sie sich auch über die Bewohner der andern Ateliers der Kolonie. Vielmehr, sie wurde darüber orientiert.

      Das besorgte der Knabe Checco, ein dreizehnjähriges Modell aus Frascati, der Prisca bediente und des Glöckleins liebe Lange sehr bald unter seinen besonderen Schutz nahm. Ja, die blonde, anmutslose Münchnerin wurde des munteren Jungen erklärte Protegé, was sie sich gern gefallen ließ.

      Dieses bunte, heitere Modelleben, das sich rings um Prisca entfaltete, gehört mit zu jenen geheimnisvollen, satanischen Ingredienzien, daraus für den Künstler, zumal für den deutschen, in der großen Hexenküche der Zaubertrank gebraut wird; und wer dann den vollen Becher bis zur Neige leert, der ist für eine andre Welt, als die Roms, Zeit seines Lebens verloren. Aber nur wenige, denen der Pokal kredenzt wird, haben die Kraft, ihn nach einigen tiefen Zügen wieder von den durstigen Lippen zu setzen und sich so mit knapper Not vor der ewigen Circe der Städte zu retten.

      Zwischen den Blumenbüschen der Künstlerkolonie wimmelte es von den schlanken Gestalten der Kinder der römischen Berge. Sie waren die tollen Geister des Ortes, die zwischen den Sitzungen tausend Possen trieben. Der Knabe Checco war der Hauptanführer. In vielfach wechselnder Gestalt erschien er Prisca. Bald steckte er in seinem leibeignen, verblaßten, bunten Heimatskostüm: bald kam er als Hirtenknabe, Sandalen an den Füßen, im langen, braunen Mantel. Oder er war als junger antiker Römer drapiert, der der Leiche des großen Cäsars nachläuft; war als Orientale in goldgestickte Stoffe gehüllt. Jetzt ein geflügelter Cherub, verwandelte er sich am nächsten Tage in Eros selbst, dessen unverhüllter Leib in der Mittagssonne wie ein Bild aus Goldbronze aus einem Rosenstrauch hervorleuchtete.

      Unter dem Wust seiner schwarzen Locken lachte das durchtriebenste Schelmengesicht hervor, das aber jeden Augenblick die Miene desjenigen Charakters annehmen konnte, als welchen der Künstler ihn gerade posieren ließ.

      Er sprach unverfälschten Frascataner Dialekt, den er, da er stolz auf seine Heimat war, um keinen Preis verleugnet hätte. Prisca verstand ihn zuerst so gut wie gar nicht, was ihn jedoch nicht im geringsten hinderte, endlos in sie hineinzureden, wobei Blicke, Mienen, Gesten ebenso beredt waren wie seine Junge.

      Er besorgte Priscas kleinen Haushalt und brachte aus der Trattorie in der Via Flaminia, wo die Künstler aus jener Gegend speisten, das Essen für sie herauf. Merkwürdigerweise waren es fast immer seine Lieblingsgerichte, wie zum Beispiel in Öl gebackene Artischocken, in Öl gebackene Fische und fruti di mare. Oder es waren mit reichlicher Tomatenkonserve zubereitete Maccaroni, Nudeln und allerlei problematische Ragouts. Oder er schleppte gar triumphierend die heißgeliebte, stark mit köstlichem Knoblauch gewürzte »Trippa«, auf gut deutsch »Kutteln« genannt, im Schweiße seines ehrlichen Angesichts den Berg hinauf.

      So geschah es, daß es dem Knaben Checco Tag für Tag prächtig schmeckte. Verspürte er – und beileibe nicht Prisca, einmal Appetit auf Vermicelli, oder Fettucini, oder sonst eine leckere Minestra, so waren diese herrlichen Genüsse jedesmal so besonders echt römisch zubereitet, daß für Priscas großen Appetit die kleinere Hälfte vollkommen ausreichte. Als Folge dieser eigentümlichen Erscheinung stellte sich bei Prisca häufig ein recht unangenehmer Hunger ein, während der Knabe Checco stets satt war.

      Auch sonst ließ er es sich in seiner leidenschaftlichen Fürsorge für die Signorina nicht nehmen, jeden Tag mit einem andern gutgemeinten und gutschmeckenden Leckerbissen bei ihr aufzutauchen; und er hatte die Delikatesse jedesmal mit dem ganzen Aufwand seiner Beredsamkeit für die » bionda Tedesca« besonders billig erhandelt. Gestern waren es süße Fenchelwurzeln, heute stark gesalzene und geröstete Nußkerne oder mächtige Stücke eines safrangelben glatten Kuchens; morgen würden es vielleicht gebackene Froschschenkel sein. Prisca war dankbar für die gute Absicht, und dem Knaben Checco schmeckte es wiederum prächtig.

      Dieser liebenswürdige braune Schlingel machte sie also mit Namen, Charakter, Eigentümlichkeiten, Geldverhältnissen und sonstigen Intimitäten ihrer Kollegen bekannt. Besonders scharf sprach er sich über das Maß von Talent eines jeden aus, und in geradezu erstaunlicher Weise wußte er Bescheid darüber, wieviel es einem jeden einbrachte. Von Priscas Talent hatte er entschieden die Ansicht, daß es ihr sehr wenig einbringen würde. Aber, wie gesagt, er protegierte sie trotzdem, was gewiß ein hübscher Charakterzug des Knaben Checco war.

      Sehr interessierte er sich für einen gewissen »Signor Carlo«, der eine ganz merkwürdige Persönlichkeit sein mußte. Der Frascataner erging sich über ihn in allerlei geheimnisvollen Andeutungen, denen Prisca entnahm, daß der betreffende Herr zum mindesten der Held eines Trauerspiels oder Schauerstücks sein mußte und daß dem Knaben Checco gleichfalls von einer höchst mysteriösen Persönlichkeit bei Todesstrafe verboten worden sei, über den großen Signor Carlo ihr, Prisca, ein Sterbenswörtchen zu verraten. Da sie nun um keinen Preis ein so junges, hoffnungsvolles Leben auf ihr Gewissen laden wollte, so drang sie mit keiner Silbe in ihn, jenes furchtbare Verbot zu verletzen, was Checco sehnlich zu hoffen schien. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, daß ihr über den unbekannten Herrn einige Notizen gemacht wurden.

      Dieser gewisse Herr Carlo war auch ein Deutscher, seinem Berufe nach ein Bildhauer. Da Prisca den Landsmann noch nicht gesehen hatte, wurde er ihr vom Kopf bis zu den Füßen geschildert und zwar mit solcher Schärfe der Charakteristik, daß sie nach Checcos Beschreibung sein Porträt hätte zeichnen können. Schön war dieser vielgenannte Signor Carlo nicht! Ein wahrer Barbar, hoch aufgeschossen, mit ungelenken Gliedern, gewaltigen Händen und Füßen; mit fahlem, sommersprossenbedecktem, völlig bartlosem Gesicht, rotbraunem, struppigem Haar. Nach Checcos Behauptung hatte er hinter blanken Brillengläsern gelbgrüne