Название | Die wichtigsten Werke von Richard Voß |
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Автор произведения | Richard Voß |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027223008 |
»Und da wissen Sie nicht, womit Sie mir so recht von Herzen angst machen sollen?! Armer Freund! Sie wollen Ihrer Patientin so gern helfen, aber ich sehe nicht ein, wie Sie mir helfen können.«
»Sie werden erleben, wie ich es kann. Ihre Konstitution ist trotz alledem prächtig. Wir bringen Sie durch! Sehen Sie, dieses Lächeln kam Ihnen schon ganz frisch vom Herzen. – – Sie sollen ja durchaus keine Schauspielerin werden, die, nachdem sie die Medea gespielt, Austern ißt und Sekt schlürft, als ob sie eben einen Kotillon getanzt habe. Künstlerinnen, die mitten in ihren leidenschaftlichsten Momenten noch eine Empfindung für den Fall ihrer Schleppe oder für die Dekoration ihres griechischen Mantels haben, sind mir abscheulich! Nein: seien Sie nach Ihrer Medea gründlichst erschöpft, das kann Sie nur ehren. Aber um Gottes willen nicht dieses nutzlose Hinströmenlassen von Lebensblut. Die ersten Regeln Ihrer Kunst sind: Ruhe, Ruhe! Maß, Maß! Ohne Ruhe und Maß ewig Schüler und Pfuscher – mit Ruhe und Maß Künstler und Meister.
Und glauben Sie mir nur: mit einer solchen mächtigen Beherrschung – sie ist schwer, sie ist das Schwerste! – werden Sie dann Wirkungen erzielen, die Sie bis jetzt noch gar nicht zu ahnen vermögen. Sind Sie einmal erst so weit gelangt; völlig ruhig und gelassen einer gewaltigen Leidenschaft vollen Ausdruck zu geben; dann sollen Sie sehen, wie Sie das Publikum hinreißen werden! Dann sollen Sie erleben, wie ein ganzes Haus an Ihren Lippen hängen wird, wie Sie die Seelen von Tausenden erbeben und erzittern machen!«
Jetzt hingen meine Augen an seinen Lippen, jetzt machte er meine Seele erzittern. Ich konnte nicht reden, aber ich richtete mich auf und fühlte mich bereit, jene göttliche Ruhe und jenes schöne Maß mir zu eigen zu machen und wäre es auch durch ein Martyrium.
Zwölftes Kapitel
Lehrmethoden
Als den ersten Baustein zu dem neuen Kunsttempel, der in mir aufgeführt werden sollte, muß ich jene Stunden bezeichnen, in denen Fernow mit mir Lessing las.
Nicht etwa, daß wir gleich mit den Dramen begonnen hätten – bewahre! Zur Einführung in die köstliche Klarheit Lessingschen Geistes wurden die theologischen Streitbriefe gegen Götze gewählt. Diesen folgte Laokoon.
Mir ward wundersam groß zumute, als mein Geist, von dem des Freundes geleitet, in diese Welt eintrat. Ungeahntes erschloß sich mir wie mit einem Zauberschlag. Bei Lessing war keine Dämmerung, keine Dumpfheit möglich! Wie Tag strömte es in meine Seele ein, wie höchstes Bewußtsein! Jener eine Zug meiner Doppelnatur erfaßte die wunderbare Lessingsche Realität wie eine Offenbarung. Was der Freund mir prophezeit hatte, geschah: Plötzlich wußte ich, was Natur sei! Ich war nicht berauscht: ich war tief glücklich.
Nach Laokoon, der mir die Erleuchtung über Ruhe und Maß gab, folgte zuerst Minna von Barnhelm, danach Miß Sarah, dann Emilia. Erst zuletzt kam Nathan.
Laßt mich bei diesen edlen Stunden einige Augenblicke verweilen!
In meinem Hinterstübchen saßen wir beide. Mochten im Hof die Sperlinge ein wahres Getös anheben, mochte Luise in der Küche wild mit ihren Tellern klappern – wir hörten nichts! Vor uns Lessings Büste, ein Geschenk des Freundes, und vor uns Lessings Werke, aus der Bibliothek des Vaters, wetteiferten Schülerin und Lehrer miteinander im Glück des Genusses. Es ward dämmerig, es ward dunkel. Ich mußte mich entschließen, aufzustehen und die Lampe zu holen, wobei ich für Luisens satirische Nebenbemerkungen kein Ohr hatte. (Sie sprach in solchen Fallen nur in Paranthesen!)
Mein lieber Arzt wußte wohl, von wem er für seine Leidende Hilfe zu erwarten hatte: von dem Gesunden. Wie liebenswürdig war er in diesen Stunden! Wie erfüllt von der Größe seines Dichters, den mit seinen Augen zu sehen er mich lehrte. Er sagte mir nie: das ist groß! sondern ließ es mich selbst fühlen. Nur auf die köstlichsten Feinheiten Lessingscher Prosa ward ich aufmerksam gemacht; aber immer in einer Weise, daß er nur den ersten Anstoß gab. Dann mußte ich weiter suchen und entdecken.
»Lessing ist für mich ein Mensch, der immer auf der Erde schreitet und immer zum Himmel aufblickt,« sagte er mir einmal. »So müssen auch Sie sein: eine Künstlerin, die Irdisches mit der Sonne des Schönen verklärt.«
Am Vormittag studierte ich nach seiner Anordnung in folgender Weise: Kaum war ich aufgestanden, so machte ich meine Organübungen; nie länger als fünf Minuten! Ich sprach mit voller Stimme alle Vokale, die schwersten Konsonanten und gewisse Worte, die ich mir selbst bildete, mit Lauten darin, die irgendwelche Schwierigkeit für mich hatten. Diesem Tonturnen (es erweckte beständig Luisens grimmige Entrüstung) folgten die gymnastischen Übungen. Erst dann durfte ich frühstücken. Von einem kurzen Spaziergang zurückgekehrt, kam die hauptsächlichste Arbeit des Tages: das Rollenstudium. Ich lasse es zum Beispiel die Emilia Galotti sein. Das ganze Stück war mit dem Freund gelesen und Szene für Szene mit ihm besprochen worden. Ich hatte es ihm erzählen müssen wie eine Geschichte.
Emiliens Denkungsart und Empfindung waren mir völlig vertraut; völlig vertraut war mir die bürgerliche Luft in ihrem Elternhause, die wollüstige bei den Grimaldi. Ich kannte ihr Verhältnis zu ihrem starren Vater, zu ihrer gutmütigen Mutter, zu ihrem edlen, aber kühlen Bräutigam, so genau, als wäre sie – wohlverstanden nicht ich selbst, wohl aber meine beste Freundin. Alles mit ihr erlebend und erleidend, betrachtete ich sie durchaus objektiv. Ich wußte von ihr, daß sie den Prinzen lieben würde, daß sie, wenn ihr Vater keinen Dolch gehabt, ihre Haarnadel hätte gebrauchen müssen.
Ich dachte viel über sie nach. Wiederum kam ein Gespräch mit dem Freund; dann erst durfte ich das Buch zur Hand nehmen. Im Zimmer auf und ab gehend las ich, sprach ich vor mich hin – nichts weiter! Plötzlich an irgendeinem Nachmittag sagte Fernow: »Wir wollen doch einmal sehen, was unsere Emilia macht.«
Er nahm das Buch und jetzt war mein Stübchen ein Zimmer im Hause des Obersten Galotti – und es war das Vorgemach im Lustschloß des Prinzen. Fernow las die anderen Personen, ich sprach die Emilia, so einfach, so harmlos und natürlich wie nur irgend möglich.
Eine Szene wurde so lange wiederholt, bis es war, als käme ich wirklich aus der Kirche zurück, wo ich dem Prinzen begegnet, als ginge ich wirklich hinaus, um mir »husch, husch« eine Rose ins Haar zu stecken, die der einzige Schmuck von Appianis Braut sein sollte.
Solcher Art lernte ich, baute ich wieder auf.
Sehr streng achtete Fernow darauf, daß ich von einem Stück, in dem ich spielen wollte, mehr als meine eigene Rolle kannte. Ja, er verlangte, daß ich jeden Charakter mit der gleichen Aufmerksamkeit behandle, wie denjenigen, den ich selbst darstellte.
»Denn,« so sagte er, »bei euch Schauspielern muß man geradezu erstaunen, wie falsch ihr oft ein Stück beurteilt. Das kommt wohl daher, daß die meisten von euch selten ein Stück als Ganzes betrachten, also selten es als ein Kunstwerk respektieren. Indem jeder sich die Gestalt herausreißt, die er für seine schauspielerische Individualität am geeignetsten hält, mit der er für sich die größeste Wirkung zu erzielen hofft, zerstückelt er die Dichtung und es mag vorkommen, daß er von derselben nicht mehr kennt, als seine Rolle. Je nachdem diese ihm persönlich zusagt oder nicht, beurteilt er nun, wirft er sich zum Kritiker auf, der, weil er Schauspieler ist, sich in seiner Meinung über Schauspiele für unfehlbar hält.«
Auch bei Stücken, die wir nur lasen, um mich damit bekannt zu machen, mußte ich mir über Fabel und Charakter völlig