Название | Die wichtigsten Werke von Richard Voß |
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Автор произведения | Richard Voß |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027223008 |
Das Porträt Seiner Hoheit des Herzogs!
Er war ein Riese gewesen und hatte ein Gesicht mit stolzen, strengen Zügen. Führte das Glöcklein in ihr Allerheiligstes einen Besuch, so richteten sich ihre unschuldigen, matten Äuglein starr auf dessen Gesicht: ob ihm beim Betrachten des Porträts Seiner Hoheit nicht eine gewisse frappante Ähnlichkeit auffallen würde.
Verschämt saß das arme Glöcklein unter dem Bilde des Höchstseligen. Jede Miene in ihrem welken Puppengesichtchen zitierte Hamlets: »Es gibt mehr Dinge« und so weiter ...
Zum Glück für den guten Ruf der ersten Kammerfrau Ihrer Hoheit fiel es keiner Menschenseele ein, jene vermeintliche entsetzliche Ähnlichkeit mit einem andern Gesichtlein zu entdecken. Tatsache jedoch war, daß das Glöcklein nach der eigenhändigen Unterschrift Seiner Hoheit – es waren riesengroße, gebietende Schriftzüge, in tiefster Heimlichkeit und im Schweiße ihres Angesichts ihre Unterschrift eingeübt hatte:
Gismonda Glocke.
Die erste Kammerfrau besaß eine Schwäche für die Menüs der Hoftafel und hatte sich von jedem Diner, von jedem Festsouper die Speisekarte verschafft und getreulich aufgehoben. Diese seltsame Kollektion gab der hungrigen Phantasie des guten Glöckleins nicht allein reichliche, sondern auch exquisite Nahrung. Die Karten waren sorgfältig nach Jahrgängen und Daten geordnet; und zu jeder Mahlzeit wurde das Menü des betreffenden Tages aufgelegt. Während Gismonda ihr Rindfleisch mit Gemüse oder eine heimatliche Mehlspeise verzehrte, schwelgte ihr bescheidenes Gemüt in den petits plats einer wahrhaft lukullischen Hofküche.
An schönen Sonntagen war es der kleinen Dame höchstes Festvergnügen, sich möglichst reichlich mit herzoglichem Nachlaß auszustatten und nachmittags spazierenzugehen, und zwar mit Vorliebe an Orten, wo voraussichtlich eine Hofequipage passieren würde. Geschah das ersehnte Ereignis, so kam der große Augenblick: das Glöcklein stellte sich kerzengerade in Positur und tauchte alsdann möglichst tief unter, so tief, daß sie eine Weile nur noch als kleines Klümpchen erschien.
Dieses plötzliche Verschwinden ihres ganzen Persönchens nannte sie mit Pathos eine »Hofverneigung«.
*
So winzige Portionen Rindfleisch das Glöcklein zur stetigen Entrüstung ihres Schwabinger Fleischlieferanten auch genoß – der Monatsbedarf belief sich knapp auf zehn Pfund –, so wollten diese doch immerhin ehrlich bezahlt sein, und Gismondas Revenuen hatten leider nicht die angenehme Eigenschaft, mit der Verteuerung der Lebensmittel einer werdenden Großstadt zu wachsen. Auf welche Weise sollte man sich auf Erden weiterhelfen, wenn man in Gottes Namen vom Himmel in jeder Beziehung nur als ein Glöcklein geschaffen war? Es mußte selbstredend eine hochanständige Weise sein, darauf die Bildnisse der Regierenden gnädig herabblicken konnten.
Diese bittere Notwendigkeit erzeugte in dem spärlichen Gehirn der kleinen Dame ein halbjähriges Überlegen und Kopfzerbrechen, dessen Resultat schwarz auf weiß als Inserat in den »Münchner Neueste Nachrichten« erschien.
»Ein älteres Fräulein aus seiner Familie wünscht in ihrem idyllisch gelegenen Heim eine junge Dame aufzunehmen. Gefällige Offerten unter ›Solitude‹.«
Es kamen in der Tat einige Offerten, die das Glöcklein mit ihren herzoglichen Riesenschriftzügen umgehend beantwortete, und es erschienen auch wirklich einige junge Damen, um das idyllische Heim zu besichtigen. Da gab es denn gegenseitige starke Enttäuschungen. Entweder fand die betreffende junge Dame das Solitude-Idyll, kurz gesagt, etwas verrückt, oder Gismondas zarte Natur wurde durch die geschäftsmäßige Behandlung der Angelegenheit und die rücksichtslos gezeigte Verachtung für ihre höchsten Heiligtümer tödlich verletzt. Es stellte sich sogar eine etwas ältere Dame ein, welche das offerierte idyllische Heim mit einer wünschenswerten »stillen Zurückgezogenheit« verwechselt hatte, ein unvergeßliches Ereignis in des Glöckleins tugendreichem Leben.
Die letzte, die in der Solitude erschien, war Prisca Auzinger, und sie war die erste, die dem Glöcklein gefiel. Das Wort gefallen ist viel zu kalt und nichtssagend. Sie war die erste, in die sich das brave Glöcklein gleich beim ersten Anblick sterblich verliebte. Die letzte junge Dame, die kam, war so frisch, gesund, heiter und hoch aufgeschossen, ach, so wundervoll hoch aufgeschossen! Gismondas kleines Herz zitterte, als sie Prisca durch die innersten Gemächer führte, der Fremden alle ihre Wunder enthüllend. Prisca schlug denn auch die Augen mächtig hoch auf; es glänzte und strahlte in diesen dunkeln Sternen verdächtig, aber – Glöckleins Busen entrang sich ein tiefer, glückseliger Seufzer: keine Miene in dem unhübschen Gesicht der jungen Dame verriet Spott oder gar Verachtung.
›Wenn sie doch mieten würde – ach, wenn!‹
Und Prisca mietete!
Das Stübchen, daran sich ein Dachkämmerchen schloß, war in beschränktem Maße mit herzoglichen Heiligtümern ausmöbliert. Es war sauber und hatte prächtiges Nordlicht. Für Priscas Bilder war es auch groß genug.
Aber noch einen gewaltigen Chok sollte das Glöcklein erleben. Das war, als sie erfuhr, daß die junge Dame – Künstlerin sei. Entsetzt starrten die guten Äuglein auf Priscas heiteres Gesicht, als stünde dort ein flammendes Menetekel geschrieben.
Künstlerin!
Oft genug hatte die erste Kammerfrau berichtet, wie die höchsten Herrschaften über dergleichen Leute dachten; und diese große, prächtige Person sollte eine von diesen sein? Lieber Gott! Ihre Hoheit würde Glöckleins Pensionärin niemals empfangen haben.
Es kostete einen bitteren Kampf, aber Priscas Augen und Länge hatten es der guten Gismonda nun einmal angetan. Die Damen verständigten sich. Eine Woche später durchlief jenen idyllischen Teil Schwabings die Sensationsnachricht:
»Das Glöcklein hat an einem einzigen Tag anderthalb Pfund Rindfleisch gekocht!«
5. Prisca verlδίt die Solitude
An jenem grauen Regennachmittag ward es frühzeitig dunkel. Das Glöcklein, das die noble Passion für taghell erleuchtete Räume besaß (nicht Petroleum, am liebsten Öl, am allerliebsten Kerzenlicht), hüllte sich in ihre schwedischen Handschuhe, um mit deren Hilfe und einem leisen Seufzer, den ihr jeden Abend ihr bescheidenes Lämplein abpreßte, Licht anzuzünden. Jeden Abend gereichte ihr die Vorstellung zum Trost: welchen feenhaften Eindruck die Solitude bei Kerzenglanz machen würde. Zur Feier ihres sechzigsten Geburtstages sollte Schwabing dieses Ereignis bestaunen, Grund genug für Gismonda, das Ende ihrer fünfzig Jahre sehnlichst herbeizuwünschen.
Jener Winkel der Solitude, der den Namen Boudoir trug, war erleuchtet. Gismonda umschleierte die häßliche Lampe mit einer Riesenhülle aus rosa Seidenpapier und zerknitterten seidenen Apfelblüten, schloß die Läden, steckte die aus den verschiedensten Courschleppen genial komponierten Gardinen zusammen und deckte sodann ein Tischchen für den afternoon tea – alles mit den Schwedischen an ihren Händlein.
Nachdem diese Vorbereitungen vollbracht waren, sah es auch wirklich recht niedlich aus: das Tischchen mit dem blütenweißen Deckchen und einem der herzoglichen japanischen Teeservice, mit dem Körbchen selbstgebackener Zwiebäcke und in einem chinesischen Väschen – von Gismonda auf den feierlichen Namen »Jardiniere« getauft – ein Sträußlein purpurfarbiger Blüten.
Ungeduldig erwartete jetzt die kleine Hofdame ihre große Prinzessin – denn dieses Verhältnis hatte sich im Lauf der Jahre zwischen den beiden Bewohnerinnen des Idyllenhäuschens herausgebildet; und während sie wartete, stellte sie ihre stillen Betrachtungen an.
›Wie sich der Mensch doch an alles gewöhnt! Sogar an