Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



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der Lampen mit tiefbetrübtem Antlitz über die Lampe ihres Doktors gebeugt: »Er muß wenigstens bis drei Uhr aufgesessen sein! Sie hat keinen einzigen Tropfen Öl mehr!« Und sie schenkte den Behälter von neuem voll, kopfschüttelnd und tief schmerzlich seufzend.

      Auch ich konnte nicht unterlassen, dem so allgemein verehrten Mann mein bescheidenes Gutes zu tun. Ich allein wischte in seinem Zimmer den Staub ab, ich allein begoß in seinem Zimmer die Blumen, die er sehr liebte und zu denen ich aus meinem Stübchen einen guten Teil von meinem kleinen Besitz zu ihm hinübertrug.

      Länger als ein halbes Jahr war Doktor Fernow in solcher Weise unser Mietsherr gewesen, als ihn der Ton in unserem Hause so zusagen mußte, daß er die Mutter bat, an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teilnehmen zu dürfen. Unsere Studenten machten zuerst keine besonders erfreuten Gesichter; bald jedoch war das Verhältnis der Herren zu unserm Freund ein sehr gutes. Fernow ging auf den bestehenden liebenswürdig-munteren Ton ein, ohne deshalb einen Augenblick sich selbst aufzugeben. Unmerklich kam man dazu, allmählich bedeutendere Gespräche zu führen.

      Ich saß ihm bei Tisch gegenüber und wäre dadurch fast befangen geworden. Da er sich indessen gar nicht um mich bekümmerte, gelang es mir harmlos zu bleiben. Wenn ich dann so recht gedankenlos heiter war (ich hätte mich jetzt gern verständiger gezeigt), begegneten meine Augen zuweilen einem Blick des Doktors, der ernsthaft, wie forschend und fragend, auf mir zu ruhen schien.

      Sechstes Kapitel

       Große Entscheidungen

       Inhaltsverzeichnis

      »Du sollst Lehrerin werden!« war über mich beschlossen worden und ich hatte dazu nicht nein gesagt. In einiger Zeit sollte meine Ausbildung beginnen. Die Mutter sprach bereits bangvoll von dem ersten Examen.

      Seit Monaten trug ich's in mir: beängstigend zweifelnd, schwankend, einen Sturm von Empfindungen, den mein Gemüt kaum auszuhalten vermochte. Meine Heiterkeit sollte nur dazu dienen, die Mutter zu täuschen und mich selbst zu betäuben. Immer wieder und wieder fragte ich mich in meinen schlaflosen Nächten: »Sollst du für immer entbehren, für immer entsagen?! Oder sollst du, ehe du das schweigend und ergeben tust, dich erst von der Notwendigkeit einer derartigen Resignation überzeugen?« Ich empfand zu deutlich, daß es sich um mein Lebensglück handle. Zugleich fühlte ich einen mächtigen, wenn auch dunklen Drang, mich, sogar meiner heißgeliebten Mutter gegenüber, als ein freies, über sich selbst entscheidendes Geschöpf hinzustellen. Wie oft hatte ich sie darüber klagen hören, daß mein Vater einen Beruf ergriffen, der gegen seine innerste Natur gewesen. Wie anders hätte er sich entwickelt, wenn er seiner freien, starken Neigung gefolgt wäre und sich nicht durch ›Rücksichten‹ gegen andere, die ebenso viele Verbrechen gegen sich selbst waren, um das volle Glück seines Lebens gebracht haben würde. Volles Lebensglück aber ergab nur ein Lebensberuf, der aus innerlichstem Drang erwählt ward, ein Satz, der ebensogut für die Frau gilt. Bereits damals sah ich ein, daß man jedem Menschen, wie man allein ihn zur Verantwortung für die Folgen seiner Taten zieht, so auch ihm allein die Berechtigung überlassen muß, diese seine Taten selbst zu bestimmen.

      Um der verhaßten Lehrerin zu entgehen, hätte ich mich demnach nur an das Herz meiner Mutter zu wenden brauchen, um sofort verstanden zu werden. Doch ich bedurfte anderes und mehr, und hier konnte mir meine Mutter mit aller ihrer unendlichen Liebesgewalt nichts helfen. Ich hatte keinen Berater als mich selbst. Nun, ich riet mir.

      Das erste, was geschehen mußte, war, zu erfahren: hatte ich Talent oder hatte ich keines? Ich natürlich glaubte daran wie ein Priester an seine Mission. Aber meine Berechtigung und Befähigung zu dieser Mission mußte ich von anderen bestätigt hören und zwar von solchen, deren Entscheidung ich als unfehlbaren Richterspruch anerkennen mußte. Luisens pathetische Stimme vermochte ich beim besten Willen nicht für ein Orakel zu nehmen; hegte ich doch sogar gegen den Applaus, der mir während meiner Schulzeit zuteil geworden war, ernstliche Bedenken. Also vor allem Wahrheit, Wahrheit! Und sollte ich auch durch sie hoffnungslos werden.

      Welcher Mund sollte mir diese Wahrheit geben?!

      Eines Morgens stand ich in dem Bureau des königlichen Schauspielhauses und erkundigte mich – mit welchem Herzpochen! – bei wem man sich prüfen lassen könnte. Gefällig gab man mir Bescheid, mit der Bemerkung, daß der Mann der berühmteste Vortragsmeister seiner Zeit sei.

      Nun kannte ich also den Mund, der die große Entscheidung über mich aussprechen würde. Es sollte sogleich geschehen.

      In einem vornehmen Hause wohnte der große Mann. Ich faßte mir endlich das Herz, an seiner Wohnung die Glocke zu ziehen. Ein Diener öffnete und ließ mich, ohne weiter nach meinem Begehr zu fragen, sogleich ein. Ich trat in ein prächtiges Vorzimmer, das voller Wartender war: meistens Damen, jung und alt, hübsch und häßlich, elegant gekleidet, oder doch wenigstens mit dem Schein von Eleganz. Wie ich sie beneidete, ich, die sonst so Neidlose!

      Es ging ungemein laut und ungeniert zu. Als der Diener mich eingelassen, trat in dem Geschwirr von Stimmen ein Moment tiefer Ruhe ein. Aller Blicke richteten sich auf mich, musterten mich, wandten sich gleichgültig wieder ab.

      Sehr bald mußte mir in dieser Versammlung eine große Verschiedenheit des Wesens und Benehmens auffallen. Während einige ängstlich die Wände drückten, benutzten andere die Lehnstühle und Sofas, als befänden sie sich darauf zu Hause. Sie studierten halblaut ihre Rollen, lasen einander aus Theaterzeitungen vor, kritisierten, skandalierten. Ein Herr und eine Dame probierten sogar eine Szene. –- Daß alle diese Überglücklichen ihr Glück so gelassen tragen konnten! Ich begriff es nicht.

      Auf einer Chaiselongue lag ›hingegossen‹ ein Fräulein im auffallendsten Kostüm, das, einen französischen Chanson trällernd, sich von einem jungen Manne (wohl der Liebhaber einer Vorstadtbühne) den Hof machen ließ, wobei sie frech zu einer majestätischen Schönheit hinüberblickte, die sich von einem fetten Herrn mit ihrem Fächer Kühlung zuwehen ließ. Ich hatte den besten Willen, beide zu bewundern!

      Jedes Wort, das ich hörte, galt dem Theater. Das Spiel des Herrn X. und des Fräulein Y. wurden ›heruntergerissen‹, die Toiletten verschiedener Damen eingehend besprochen. Ich vernahm, daß der Graf Soundso der Liebhaber bei R. sei, und daß das Rosenbukett, welches neulich der V. zugeworfen worden, vom französischen Gesandten gewesen. Die Rollen eines neuen Stückes waren verteilt worden, mehrere Damen beklagten sich heftig, daß sie infolge der Intrigen der Frau A. schlechte Partien bekommen; andere, daß sie darin gar nicht beschäftigt würden. Ich hatte gern alles unirdisch schön gefunden!

      Unter den Schweigsamen befanden sich Mütter, hochaufgeputzt und siegesgewiß, welche ihre Töchter dem großen Mann zur Prüfung vorführen wollten. In einer Ecke stand ein alter Mann, beinah ärmlich angezogen; neben ihm seine ganz junge Tochter, ein blasses Mädchen mit großen schwarzen Augen. Ich weiß nicht, warum mir die beiden so sehr leid taten.

      So oft die Tür sich öffnete und ein zweiter Diener den Nächstfolgenden in das Zimmer des großen Mannes einließ, sah der Alte angstvoll das Mädchen an. Diese legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. Ich war so mit ihnen beschäftigt, daß ich darüber mich selbst ganz vergaß. Wie die beiden eingelassen wurden, klopfte mir das Herz, als hieße das blasse traurige Mädchen: Rolla. Die Dame auf der Chaiselongue lachte laut auf, als die beiden dürftigen Gestalten an ihr vorübergingen. Nachdem die Tür sich geschlossen, lauschte ich, ob ich etwas vernehmen könne; aber es war nicht möglich. Bereits nach wenigen Minuten öffnete man wieder. »Nicht das geringste Talent!« hörte ich eine barsche Stimme sagen. »Lassen Sie Ihre Tochter Putzmamsell werden; auf der Bühne lacht man sie aus.«

      »Ach, komm doch, Vater,« sagte das Mädchen, das allein auf der Schwelle stand.

      Ich hörte etwas wie ein Aufschluchzen, wie eine schüchtern gestammelte Bitte; dann ein noch barscheres: »Adieu!« Die beiden kamen heraus – was für traurige Menschen! Das Fräulein auf der Chaiselongue lachte wieder laut auf, die anderen bekümmerten sich gar nicht um sie. Ich mußte mich zusammennehmen. um nicht an das arme Mädchen heranzutreten und ihr wenigstens still und mitleidsvoll die Hand zu geben. Wußte