Die Liebe der Erika Ewald. Стефан Цвейг

Читать онлайн.
Название Die Liebe der Erika Ewald
Автор произведения Стефан Цвейг
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

Spazierengehen viele seiner tiefsten Schöpfungen zuerst empfunden habe. Der Name stimmte sie beide ernst und feierlich. Sie dachten an seine Musik, die ihnen ihr Leben in vielen begnadeten Stunden reicher und inniger gemacht hatte. Alles schien ihnen bedeutender und größer, da sie an ihn dachten: sie empfanden die Majestät der Landschaft, deren fröhliche Heiterkeit sie nur vorher geschaut, und der schwere satte Duft der sonneglühenden fruchtschwellenden Erde gab ihnen das geheimste Symbol des Frühlings.

      Ihr Weg ging weiter durch die Felder. Erika ließ im Vorübergehen das unreife Korn durch ihre Finger rauschen, aber sie fühlte es gar nicht, wenn ab und zu ein Halm unter ihrer Hand zerknickte. Das Schweigen zwischen ihnen gab ihr seltsame und tiefe Gedanken, in die sie sich träumend verlor. Es waren milde und heimliche Liebesgefühle in ihr erwacht, aber sie dachte nicht an ihn, der ihr zur Seite ging, sondern an alles, das um sie war und lebte, an das Korn, das sich leise im Winde wiegte und an die Menschen, denen es Arbeit und Glück schenkte; sie dachte an die Schwalben, die sich am Himmel hoch verfolgten und an die Stadt, die fern unten in einer grauen Dunstkapuze eingehüllt herüberschaute, sie fühlte wieder die allumfassende Gewalt des Frühlings in sich wie ein Kind, das mit frohen Sprüngen zum ersten Male jubelnd in das mildströmende Sonnenlicht hinausstürmt.

      Sie gingen lange in den Wiesen und Feldern. Inzwischen neigte sich der Nachmittag seinem Ende zu. Es war noch nicht Abend, aber das scharfe Licht ging allmählich in eine weiche verhauchende Mattigkeit über, die sein Nahen verkündigte, und in der Luft zitterte ein leiser blaßrosa Ton. Erika war ein wenig müde geworden und, um sich auszurasten und ein wenig auch aus Neugier gingen sie in ein kleines Wirtshaus am Wege, aus dem ihnen fröhliche Stimmen in buntem Durcheinander entgegen klangen. Im Garten setzten sie sich nieder; an den Nachbartischen saßen Familien aus der Vorstadt, bessere Leute mit gemütlichen Mienen und lauten ungezwungenen Stimmen, die den Sonntag nach Wiener Art mit einem Ausflug feierten. Rückwärts in einer Laube waren ein paar Musikanten, drei oder vier Leute, die am Wochentag in der Stadt bettelnd herumzogen und nur des Sonntags ein Dach über sich hatten. Aber sie spielten die alten abgeleierten Volksweisen recht gut, und wenn sie einen besonders flotten und populären "Schlager" begannen, so fielen bald alle Stimmen ein und sangen die Melodie aus voller Kehle mit. Auch die Frauen stimmten ein, niemand genierte sich, alles war hier Gemütlichkeit und behäbige Zufriedenheit.

      Erika lächelte ihm über den Tisch zu, aber ganz verstohlen, daß sich niemand beleidigt fühlte. Ihr gefielen diese schlichten unkomplizierten Leute mit den einfachen Empfindungen und Trieben, die sich nicht verbergen konnten. Und ihr gefiel die behaglich-ländliche Stimmung, die kein fremder Einschlag trübte.

      Der Wirt, ein breiter, gutmütiger Mann kam mit jovialem Lächeln zum Tisch her. Er hatte in seinem Gast einen vornehmeren Mann bemerkt, den er selbst bedienen wollte. Er fragte, ob er ihm Wein bringen dürfe, und als das bejaht wurde, erkundigte er sich, ob das Fräulein Braut auch etwas wünsche.

      Erika wurde blutrot und wußte ihm im ersten Augenblicke nichts zu antworten. Dann nickte sie nur verwirrt mit dem Kopf. Ihr "Bräutigam" saß gegenüber, und obwohl sie ihn nicht ansah, fühlte sie seinen lächelnden Blick, der sich an ihrer Verwirrung weidete. Sie schämte sich eigentlich, wie ungeschickt sie sich benahm einer naturgemäßen Verwechslung halber, aber sie wurde das peinliche Gefühl nicht mehr los. Und mit einem Male war ihr die Stimmung verdorben, jetzt fühlte sie erst, wie abgehackt und maschinenmäßig die Leute ihre Lieder abdudelten, jetzt erst hörte sie das häßliche Brüllen und Poltern der Bierbässe, die in toller Freude mitjohlten. Am liebsten wäre sie weggegangen.

      Aber da begann der Geiger ein paar seltsame Takte. Mit weichen süßen Strichen spielte er einen alten Walzer von Johann Strauß, und die andern stimmten schmiegsam in die weiche, liebe Melodie ein. Erika fühlte wieder erstaunt, was für zwingende Macht die Musik über ihre Seele habe, denn mit einem Male war eine Leichtigkeit in ihr und ein Wiegen und Schweben. Und die Süßigkeit der Melodie ließ sie fremde Versworte mitsingen, ganz leise mitsummen, ohne daß sie es recht wußte. Sie spürte nur, daß wieder alles gut und froh sei, und das Blühen des Frühlings fühlte sie wieder und ihr eigenes tanzendes Herz.

      Als der Walzer zu Ende war, stand er auf und ging. Sie folgte ihm gern, denn sie verstand sofort seine Absicht, sich die packende Gewalt der Melodie und ihre sonnige Innigkeit nicht durch einen öden Gassenhauer zerstören zu lassen. Und sie gingen den schönen Weg gegen die Stadt zu wieder zurück.

      Die Sonne war schon gesunken, nur hinter den Kanten der Berge, durch die goldumglühten Bäume sickerten feine Lichtbäche von seltsam rosiger Färbung hinab ins Tal. Es war ein wundersamer Anblick. Ein rötliches Leuchten stand am Himmel wie von einem fernen Brande, und tief unten über der Stadt wölbte sich der Dunst in der intensiven Strahlenfärbung wie ein purpurner Ball. Und alle Geräusche verklangen im Abend in sanfter Harmonie: der ferne Gesang von heimkehrenden Ausflüglern, begleitet von einer Harmonika, das immer lauter werdende helle Gezirp der Grillen und das unbestimmte Sausen und Rauschen und Raunen, das in allen Blättern lebte, in allen Ästen wisperte und selbst in der Luft zu surren schien.

      Plötzlich, ganz unvermittelt, fielen ein paar Worte von ihm in ihr feierliches, fast andächtiges Schweigen hinein: »Erika, das war doch komisch, wie Sie der Wirt meine Braut nannte.«

      Und dann ein Lachen, ein mühseliges gezwungenes Lachen.

      Erika fuhr aus ihrer Träumerei. Was wollte er damit? Sie fühlte, daß er ein Gespräch beginnen, erzwingen wollte. Sie hatte Furcht, eine dumme, sinnlose dunkle Angst. Sie gab keine Antwort.

      »Nicht, das war doch komisch? Und wie Sie rot geworden sind!«

      Sie sah hinüber, um seinen Gesichtsausdruck zu betrachten. Wollte er sie verspotten? – Nein! Er war ganz ernst und sah sie gar nicht an. Er hatte es absichtslos gesagt. Aber er wollte eine Antwort haben. Jetzt fühlte sie erst, wie gezwungen er das gesagt hatte; wie um einen Anfang zu machen. Es war ihr so bange, und sie wußte nicht, warum. Aber etwas mußte sie sagen, er wartete ja darauf.

      »Mir war es weniger komisch als peinlich. Ich bin nun einmal so, daß ich Scherze nicht recht verstehen kann.« Sie sagte es hart und abschließend, fast wie gereizt.

      Dann stellte sich wieder ein Schweigen zwischen beide. Aber es war keine selige Stille vereinten Genießens mehr, wie früher, kein sympathetisches Ahnen und Erfassen der ungeborenen Empfindung, sondern ein schweres und dunkles Schweigen, das ein Verschweigen war von irgend etwas Drohendem und Drängendem. Und sie hatte plötzlich Angst vor ihrer Liebe, daß sie auch so schmerzhaft und verzehrend werden sollte wie jedes Glück, das ihr begegnet war, wie die wehmütigen und leisen Bücher, über denen sie weinte, und die doch ihr liebstes waren und wie die brennenden Wellen der Tonfluten in Tristan und Isolde, die ihr höchste Seligkeit bedeuteten und sie doch quälten wie ein Schmerz. Das Schweigen drückte sie immer mehr und mehr und wurde wie ein dunkler, schwerer Nebel, der sich schmerzhaft auf ihre Augen legte. Allmählich befreite sie sich erst aus ihrer Bangigkeit. Sie wollte ein Ende machen, ihn klar und offen fragen.

      »Mir ist so, als wollten Sie mir etwas verschweigen. Was ist Ihnen?«

      Einen Moment blieb er ruhig. Dann sah er sie an mit dunklen, unbeweglichen Augensternen. Er überlegte und sah sie nochmals an, tiefer und sicherer, und seine Stimme klang seltsam voll und melodisch.

      »Ich habe es lange nicht gewußt. Seit kurzem weiß ich es erst. Ich – sehne mich nach Ihnen.«

      Erika erbebte. Sie hatte die Augen zu Boden gerichtet, aber sie spürte, daß er sie ansehe, tief, fragend, durchdringend. Sie dachte nun an das letzte Mal, wie sie bei ihm war und er sie geküßt hatte. Sie hatte ihm damals nichts gesagt, aber ihr Herz war ungestüm erwacht, sie wußte nicht, ob in Zorn oder Scham. Und das Bangen hatte sie erfaßt, das sie sonst spürte, wenn er so glühende und leidenschaftliche Lieder spielte, jenes selige Grauen mit Abgründen und Seligkeiten ohne Ende. Was sollte jetzt kommen? O Gott, o Gott!.... Sie fühlte, daß er weitersprechen würde und sehnte sich danach und fürchtete sich doch. Sie wollte es nicht hören. Sie wollte die Felder sehen, ja, den Abend, den herrlichen Abend. Nur nichts hören, nichts hören. Nur die Stadt ansehen mit ihrem dunklen Nebel, die Stadt und die Felder. Und die Wolken da oben.... Die Wolken, wie sie rasch am Himmel segelten! Ganz wenige waren noch oben. Eins … zwei … drei … vier … fünf … ja fünf Wolken.... Nein! Nur vier waren es!..... Vier.....

      Aber