Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow

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Название Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre
Автор произведения Rudolf Virchow
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glaubte, diese Geschwulstart ganz von den Krebsen trennen und zu den einfach hypertrophischen und daher gutartigen Bildungen stellen zu müssen. In den Spindelsarkomen finden sich so grosse und eigenthümliche Zellen, dass noch jetzt Mancher sich weigert, sie den gewöhnlich so kleinen Spindelzellen des Bindegewebes (Fig. 4, b; 21.) parallel zu stellen; hat man sich von der kolossalen Entwickelung dieser Spindelzellen in der Decidua uterina überzeugt, so verschwindet das Auffällige. In den Riesenzellensarkomen wiederum trifft man überaus grosse, stellenweise fast ungeheuerliche Zellen mit zahlreichen Kernen, für die jede Analogie zu fehlen scheint. Allein das Studium des jungen Knochenmarkes oder der Rindenschicht der Nebennieren lehrt uns analoge Formen auch im normalen Entwickelungsgange kennen.

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      Fig. 31. Durchschnitt aus einer Epulis sarcomatosa des Unterkiefers. Zahlreiche, dicht gedrängte Spindelzellen (fibroplastische Körper) bilden eine Art von maschigem Gerüst, in dessen Räumen vielkernige, mit feineren und gröberen Fortsätzen versehene Riesenzellen (myeloide Zellen, Myeloplaxen) liegen. Vergr. 300. (Geschwülste II. S. 317. Fig. 158).

      Auf dieser Stufe der Erkenntniss angelangt, stossen wir auf eine neue Schwierigkeit. Jedesmal, wo eine pathologische Bildung auf physiologische Vorbilder zurückgeführt wird, erhebt sich die Frage, ob sie nicht direct von einem solchen physiologischen Gebilde abstamme. In der That liegt es nahe, an eine continuirliche Entwickelung zu denken, und wir haben die ernstliche Verpflichtung, in jedem solchen Falle zu prüfen, ob nicht wirklich ein entsprechend zusammengesetzter oder gebauter Theil Matrix des pathologischen sei. Wenn man weiss, dass vielkernige Riesenzellen im Knochenmark vorkommen, so wird man geneigt sein, mit Nélaton jedes Riesenzellensarcom (tumeur à myéloplaxes) vom Knochenmark abzuleiten. Sieht man, dass das Kankroid in der Regel aus Epidermiszellen besteht, so liegt nichts näher, als dasselbe auf eine örtliche Wucherung präexistirender Epidermis zurückzuführen. Allein die Erfahrung mahnt hier zu grosser Vorsicht. Sonst kommt man leicht zu Schlüssen, wie sie früher oft genug gemacht sind, dass z. B. ein Teratom des Eierstocks, weil es Knochen und Zähne, Haut und Haare, ja selbst Muskeln und Hirnmasse enthält, ein degenerirter Fötus sei oder aus einer aberrirten Embryobildung herstamme. Man darf den blossen Wahrscheinlichkeiten nicht zu sehr nachgeben, sonst macht man blosse Conjectural-Pathologie.

      Eine unbefangene Prüfung lehrt allerdings, dass alle pathologischen Gewebe continuirlich aus physiologischen hervorgehen, aber keinesweges so, dass ihr Typus immer unverändert der ihrer physiologischen Matrix bleibt. Die Entwickelung selbst ist stets continuirlich, der Typus aber kann discontinuirlich sein, und gerade diese Aenderung des Typus ergibt für mich das entscheidende Kriterium der Heterologie. Wenn die Neuroglia des Gehirns gewöhnliches Bindegewebe oder ausgezeichnetes Schleimgewebe hervorbringt, so geschieht dies durch continuirliche Vorgänge, aber der Typus der Neuroglia geht dabei verloren. Ein Enchondrom des Hodens entsteht continuirlich aus dem schwachen Interstitialgewebe der Drüse, aber ein bis dahin ganz unerhörtes Gewebe tritt im Hoden auf. Das eine Gewebe wird hier durch ein anderes, das aus ihm hervorgegangen, aber von ihm verschieden ist, substituirt.

      Wir finden demnach auch hier, wie im physiologischen Leben, gewisse Substitutionen und Aequivalente von Geweben, und gleichwie im Physiologischen die Grenze dieser Substitionen durch das ein für allemal gegebene Entwickelungsgeschäft der Species bezeichnet ist, so geschieht auch pathologische Substitution stets durch Gewebe, deren Vorkommen in der Species physiologisch nachweisbar ist.

      In krankhaften Zuständen gibt es heterologe Substitutionen, wo ein bestimmtes Gewebe ersetzt wird durch ein Gewebe anderer Art, aber nie durch ein der menschlichen Organisation fremdes Gewebe. Selbst dann, wenn der Ersatz von dem alten Gewebe des Ortes ausgeht, kann die Neubildung mehr oder weniger abweichen von dem ursprünglichen Typus der Matrix. So tritt an die Stelle der Haut, welche durch Verschwärung verloren gegangen ist, eine Narbe, die nicht bloss Bindewebe, sondern auch Epidermis enthält, obwohl die Matrix dieser Epidermis das Bindegewebe der Cutis und nicht das (verloren gegangene) Rete Malpighii sein kann.

      Es geschieht also die Substitution entweder durch Ersetzung vermittelst eines Gewebes aus derselben Gruppe (Homologie) oder durch ein Gewebe aus einer anderen Gruppe (Heterologie). Auf letztere muss die ganze Doctrin von den specifischen Elementen der Pathologie zurückgeführt werden, welche in den letzten Decennien eine so grosse Rolle gespielt haben. Denn diese Gewebe sui generis sind nicht insofern specifisch, als sie im natürlichen Entwickelungsgange des Körpers kein Analogon finden, sondern nur insofern, als sie unter gewöhnlichen Umständen nicht zu den constituirenden Theilen derjenigen Organe gehören, in welchen sie unter krankhaften Verhältnissen erzeugt werden. Deshalb erscheinen sie nicht sowohl als Bestandtheile des Organs, welches sie erzeugt, als vielmehr als Bestandtheile der Neubildung (gewissermaassen des pathologischen Organs), welches aus ihnen zusammengesetzt ist, und wir vergessen nur zu leicht, dass auch diese Neubildung, wenngleich kein an sich nothwendiger, doch ein continuirlich zusammenhängender Theil jenes physiologischen Organs, und somit des ganzen Organismus ist.

      Diese Erkenntniss ist um so schwieriger, als in der Regel die heterologe Substitution nicht direct, sondern auf einem Umwege erfolgt. Denn nicht immer entsprechen sofort die ersten Anlagen der Neubildung dem endlichen Producte; selbst die Hyperplasie geschieht nicht immer durch sofortige Erzeugung homologer Elemente (per primam intentionem). Sehr häufig schiebt sich zuerst ein Stadium indifferenter Bildungen ein, aus denen sich erst langsam die besonderen Formen der späteren Zeit differenziren (per secundam intentionem). Dasselbe Gewebe kann auf die eine und auf die andere Weise entstehen. Aus dieser Erfahrung, die ich nicht genug betonen kann, erklären sich zahlreiche Widersprüche der Mikrographen, welche das Meiste dazu beigetragen haben, die Mikrographie überhaupt in Misskredit zu bringen. Jeder Forscher betrachtet seine Beobachtungen als die maassgebenden, und statt zu fragen, ob nicht vielleicht auch der andere Forscher richtig gesehen habe, erklärt er die fremden Angaben, welche mit den seinigen nicht übereinstimmen, sofort für falsch. Wie immer, führt die Exclusivität zur Einseitigkeit und damit zum Irrthum. So hat lange der Streit darüber geschwebt, ob Knochen immer aus Knorpel entstehe. Schon die älteren Beobachter behaupteten, er könne auch aus Membranen entstehen. Ich habe dargethan, dass er aus Bindegewebe und aus Mark hervorgehen kann17. Spätere Beobachter haben dann geradezu geleugnet, dass Knorpel direct in Knochengewebe übergehe, und in diesem Augenblicke hat diese Meinung das Uebergewicht. Meiner Ueberzeugung nach ist dieselbe einseitig und daher irrthümlich. Vielmehr entsteht Knochengewebe aus Knorpel in doppelter Weise: gewöhnlich per secundam intentionem aus Mark, welches aus Knorpel durch Metaplasie hervorgegangen ist, aber in geringerem Umfange auch per primam intentionem aus Knorpel. In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem Bindegewebe. Lange Zeit liess man alles pathologisch neugebildete Bindegewebe aus fibrinösem Blastem (plastischer Lymphe) entstehen, welches auf dem Wege der Exsudation aus dem Blute austreten sollte. Von diesem ganz exclusiven Standpunkte aus bestritt man sogar die Möglichkeit einer Organisation des Thrombus innerhalb der Gefässe, obwohl doch in demselben derselbe Faserstoff vorhanden ist, der die eigentlich plastische Substanz des Exsudates darstellen sollte. Ich habe nicht bloss die Entstehung von Bindegewebe aus dem Thrombus, sogar die Vascularisation des letzteren nachgewiesen18, sondern auch die Entstehung von Bindegewebe an Orten, wo niemals ein fibrinöses Blastem erkennbar ist. Bindegewebe entsteht direct aus Knorpel, aus Knochengewebe, aus Neuroglia. Die eine Art der Entstehung schliesst die andere nicht aus. Sogar an derselben Stelle kann Bindegewebe auf verschiedene Art sich bilden, z. B. an der inneren Oberfläche einer Arterie kann es entstehen durch Wucherung der Intima und durch Organisation von Thrombusmasse. Zuweilen verwandelt sich ein anderes Gewebe, wie wir sahen, durch Metaplasie unmittelbar in Bindegewebe; andermal erzeugt präexistirendes Bindegewebe neues durch directe Hyperplasie, ohne dass der Charakter des Gewebes sich während dieser Zeit im Wesentlichen ändert; andermal wiederum entsteht aus präexistirendem Bindegewebe zuerst ein indifferentes Granulationsgewebe und erst dieses geht durch Metaplasie wieder in Bindegewebe über. Es entsteht also nicht nur dasselbe Gewebe unter verschiedenen Bedingungen auf verschiedene Weise, sondern es kann sogar dieselbe Matrix dasselbe Gewebe auf verschiedene Weise hervorbringen. Ich bemerke jedoch ausdrücklich, dass, soweit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, dieser Satz nicht auf alle pathologischen Gewebe



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Gesammelte Abhandl. 1856. S. 323.