Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil. Theodor Fontane

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Название Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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Sie haben vom Aquarium gehört. Nun, in dem Aquarium befindet sich auch eine Vogelhecke, die mir das Liebste vom ganzen ist. Jeder hat so seinen Geschmack. Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitscher der anderen Vögel einen Augenblick schweigt, was höre ich da plötzlich aus der Voliere heraus? Die leisen, langgezogenen Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir war, als ob ich einen alten Bekannten wiedersähe. Da saß er und starrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat dich verstanden.

      Alles schwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal. Dann knipste der Förster mit den Fingern und sagte: nichts für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieselang-Drossel; ihr Leather-head hat mich ganz melancholisch gemacht. Ich bin für das Fidele.

      Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf war abvotiert.

      Inzwischen begann sich Gewölk am Himmel zu sammeln. Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs. „Haben Sie viel Gewitter im Brieselang?“ fragte ich.

      Oft nicht, aber wenn sie kommen, kommen sie gut. Im vorigen Juli ging es hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort die Brandstelle (er zeigte nach rechts); da stand vor Jahresfrist noch das Remonte-Depot, einhundertundachtzig Pferde, alle schwarz.

      Und es schlug ein?

      Es schlug ein und es gab ein Wetter, wie ich es hier nicht wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde, daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da habe ich gesehen, was ein preußischer Futtermeister ist.

      Ein Futtermeister?

      Ja, solch Remonte-Depot, müssen Sie wissen, hat einen Wachtmeister von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze; er ist wie ein kleiner König. Und ich sage Ihnen, dieser Futtermeister, … nun, der verstand es. Das Remonte-Depot hatte acht Türen. Als nun das Wetter über uns stand und die ersten Blitze herunterfuhren, stellte er seine acht Knechte an die acht Eingänge, sich selber aber mitten auf diesen Platz da.

      Da stand er wie ein Feldherr, während das Feuer in breiten Scheiben niederfiel. „Kerls“, schrie er, „wenn ich rufe: Vorwärts, Türen auf! dann ist’s Zeit, dann hat’s eingeschlagen“. So vergingen wohl zehn Minuten; die Blitze ließen nach, ein Hagelwetter kam, Körner wie die Tauben-Eier. Mit einemmal schwieg auch das; der Hagel war wie abgeschnitten. Aber im nächsten Augenblick „Krach“ und der Blitz lief über den First hin. „Vorwärts!“ Alle Türen flogen auf; die Schloßen fielen nieder wie ausgeschüttet, und im nächsten Moment jagten die einhundertundachtzig schwarzen Pferde an mir vorbei, hier über die Brücke hin, in die Büten-Heide hinein, auf Pausin zu. Zwölf Minuten später hatten wir die Spritzen hier; denn als die einhundertundachtzig schwarzen Pferde wie die wilde Jagd durchs Dorf jagten, da wußten die Pausiner, was los war. „Das Remonte-Depot brennt“ und heidi ging es in den Wald hinein, auf das Depot zu. Solch Wettfahren hat die alte Büten-Heide ihr Lebtag nicht gesehen. Ein schöner Tag war es, aber ich mag ihn nicht wieder erleben.

      3.

      Die Königseiche

      Man sieht noch am zerhaunen Stumpf,

      Wie mächtig war die Eiche.

Uhland

      Diese Erzählung konnte nicht umhin, uns leise daran zu mahnen, daß wir noch einen Teil unserer Wanderung vor uns hätten, ein letztes Drittel, einen Schlußabschnitt, den es auf alle Fälle gut sei hinter sich zu haben, umsomehr als das sich ansammelnde grelldurchleuchtete Gewölk am Himmel das Einbrechen eines Brieselang-Gewitters nicht geradezu unwahrscheinlich machte.

      Ein Wind machte sich auf, das Gewölk zerstreute sich wieder, die Schwüle ließ nach; so ging es vorwärts. Als wir den entgegengesetzten Waldrand nahezu erreicht hatten, nahm unser Führer die Tete und brach mit dem Kommando „halb rechts“ in das Unterholz der Bütenheide ein. Es schien undurchdringliches Gestrüpp, bald aber lichtete es sich wieder und in eine breite, durch den Forst gehauene Avenue tretend, hatten wir die Königseiche auf etwa dreihundert Schritte vor uns. Wir ließen sie zunächst als ein Ganzes auf uns wirken. Sie steht da, wie ein Riesen-Skelett mit gen Himmel gehobenen Händen. Die Avenue hat ganz den Charakter eines feierlichen Aufgangs, einer Trauer-Allee, die zu einem Denkmal oder Mausoleum führt. Erst ein Weißbuchen-, dann immer schmaler werdend ein Weißdorn-Spalier, bis die Avenue in einen tannenumstellten Kreis mündet, aus dessen Mitte die „Königs-Eiche“ aufsteigt.

      Sie führt ihren Namen mit Recht. Es ist ein majestätischer Baum, acht Fuß Durchmesser, achtzig bis hundert Fuß hoch; man braucht zwanzig Schritt, ihn zu umschreiten. Sein Holzinhalt wird auf fünfundzwanzig Klafter und sein Alter auf tausend Jahre berechnet. Bis vor kurzem lebte er noch; seit etwa drei Jahren indes ist er völlig tot, nirgends ein grünes Blatt, die Rinde halb abgefallen. Aber noch im Tode ist er gesund. Alles Kernholz. Die Forstleute sagen: er steht noch hundert Jahr. Dem wird jeder zustimmen, der die „Königseiche“ sieht. Auf einen Laien macht sie den Eindruck, als halte sie nur einen langen Winterschlaf, als brauche sie dazu mehr Zeit als junge Bäume und müsse deshalb ein paar Sommer überschlagen, aber als sei ihr Erwachen unter allen Umständen gewiß und als würde es binnen kurzem im ganzen Brieselang heißen: sie lebt wieder.

      Eine Welt von Getier bewohnt die alte Eiche. Der Bockkäfer in wahren Riesenexemplaren hat sich zu Hunderten darin eingenistet; am ersten großen Ast schwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kahlen Geäst, höher hinauf, haben zahllose Spechte ihre Nestlöcher.

      In den Tagen sich regenden deutschen Geistes, in den Tagen Jahns und der Turnerei, wurde die Eiche Wanderziel und Symbol. Dies war ihre historische Zeit. Damals vereinigte man sich hier, gelobte sich Treue und Ausharren und befestigte in Mittelhöhe des Stammes die Inschrifttafel, die bis diese Stunde dem Baum erhalten worden ist. Die Inschrift selbst aber, die um des Kaisergedankens willen, den sie ausspricht, in diesem Augenblicke wieder ein besonderes Interesse gewährt, ist die folgende:

      Sinnbild alter deutscher Treue,

      Das des Reiches Glanz gesehn,

      Eiche, hehre, stolze, freie,

      Sieh, Dein Volk wird auferstehn.

      Brüder, alle die da wallen

      Her zu diesem heil’gen Baum,

      Laßt ein deutsches Lied erschallen

      Auf dem altgeweihten Raum:

      Wie in Sturmeswehn die Eiche,

      Stehet fest bei Treu und Recht,

      Einend schirme alle Zweige

      Einer Krone Laubgeflecht.15

      Außer diesen Turnerfahrten scheint die Eiche, vorher und nachher, nicht allzuviel gesehen und erlebt zu haben. Sie lebte wie so mancher Alte, still und abgeschieden. Ein beständiges Gleichmaß in beständigem Wechsel. Auf Sommerdürre folgten die Stürme, dann fiel Schnee, dann war alles Sumpf und Bruch, dann wieder Sommerdürre; – so kamen die Jahre, so gingen sie. Nichts geschah. Es gibt Hollunderbäume in Pfarrgärten, die in fünfzig Jahren mehr gesehen haben, als die große Eiche in fünfhundert. Nur die letzten Jahrzehnte schufen einen Wandel: Landpartien und Berliner kamen.

      Es handelte sich jetzt für uns darum, ihr ein besonderes Zeichen unserer Huldigung zu geben. Ein dreimaliges Hurra erschien uns für unsere zivilen Verhältnisse teils zu prätensiös, teils unausreichend. Aus dieser Verlegenheit indes sollten wir alsbald gerissen werden; – unser Reisegefährte hatte alles bereits sinnig erwogen. Er nahm seine umsponnene Flasche, füllte ein Glas mit rotgoldenem Kap Konstantia-Wein, trat vor und sprach: „Eiche, tausendjährige, sei uns gegrüßt! Hier hat der Wende gelagert und der Berliner, und allerlei Wein, fränkischer und deutscher, nicht minder die ‚gebrannten Wasser‘ beider Indien, Jamaikas und Goas, sind Dir zu Ehren an dieser Stelle verschüttet worden. Aber ob Süd-Afrika, ob Mohrenland von jenseit der Linie, Dir je gehuldigt, das ist mindestens fraglich. Empfange denn die Gabe aus Gegenden, in denen nur Freiligrath und der Kaffer ‚einsam schweift durch die Karroo‘, empfange diesen Tropfen Kap Konstantia; – die Hänge des Tafelberges grüßen Dich und den Brieselang!“ Damit goß er den Kapwein ihr zu Füßen. Wir schwenkten die Hüte, stimmten Lieder an von Arndt und Körner und machten uns auf



<p>15</p>

Diese Verse, wie ich nachträglich erfahre, rühren nicht aus der Jahnschen Zeit her, sondern sind erst, vor kaum zwanzig Jahren, niedergeschrieben und an der Brieselang-Eiche befestigt worden. Das geschah an einem heißen August-Nachmittage 1862 durch zwei Mitglieder des kurz zuvor gegründeten Nauener Turnvereins. Der eine dieser beiden Turner hatte die Verse verfaßt, der andere die technische Niederschrift geliefert. Beide Turner blieben seitdem vereint; sie dienten in demselben Truppenteil der Garde; sie fochten am 3. Juli bei Königgrätz; und abermals an einem heißen Augusttage, heißer als jener Wandertag, der sie acht Jahre vorher zur Königseiche geführt hatte, stürmten sie gemeinschaftlich gegen St. Privat. Beide fielen schwerverwundet, der eine durch den Schenkel, der andere durch die Brust geschossen; beide sind genesen.