Der Stechlin. Theodor Fontane

Читать онлайн.
Название Der Stechlin
Автор произведения Theodor Fontane
Жанр Зарубежная классика
Серия
Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
isbn



Скачать книгу

weil er in seinem Geiste mal wieder einer allgemeineren und zugleich höheren Auffassung der Dinge zustrebte. »Ja, meine Herren,« hob er an, »das geschmähte Mittelalter. Da verstand man's. Ich wage den Ausspruch, den ich übrigens nicht einem Kunsthandbuch entnehme, sondern der langsam in mir herangereift ist: ›Die Platzfrage geht über die Stilfrage.‹ Jetzt wählt man immer die häßlichste Stelle. Das Mittelalter hatte noch keine Brillen, aber man sah besser.«

      »Gewiß,« sagte Czako. »Aber dieser Angriff auf die Brillen, Rex, ist nichts für Sie. Wer mit seinem Pincenez oder Monocle so viel operiert …«

      Das Gespräch kam nicht weiter, weil in eben diesem Augenblick mächtige Turmuhrschläge vom Städtchen Wutz her herüberklangen. Man hielt an, und jeder zählte »Vier«. Kaum aber hatte die Uhr ausgeschlagen, so begann eine zweite und tat auch ihre vier Schläge.

      »Das ist die Klosteruhr,« sagte Czako.

      »Warum?«

      »Weil sie nachschlägt; alle Klosteruhren gehen nach. Natürlich. Aber wie dem auch sei, Freund Woldemar hat uns, glaub ich, für vier Uhr angemeldet, und so werden wir uns eilen müssen.«

      Kloster Wutz

      Siebentes Kapitel

      Alle setzten sich denn auch wieder in Trab, mit ihnen Fritz, der dabei näher an die voraufreitenden Herren herankam. Das Gespräch schwieg ganz, weil jeder in Erwartung der kommenden Dinge war.

      Die Chaussee lief hier, auf eine gute Strecke, zwischen Pappeln hin; als man aber bis in unmittelbare Nähe von Kloster Wutz gekommen war, hörten diese Pappeln auf, und der sich mehr und mehr verschmälernde Weg wurde zu beiden Seiten von Feldsteinmauern eingefaßt, über die man alsbald in die verschiedensten Gartenanlagen mit allerhand Küchen- und Blumenbeeten und mit vielen Obstbäumen dazwischen hineinsah. Alle drei ließen jetzt die Pferde wieder in Schritt fallen.

      »Der Garten hier links,« sagte Woldemar, »ist der Garten der Domina, meiner Tante Adelheid; etwas primitiv, aber wundervolles Obst. Und hier gleich rechts, da bauen die Stiftsdamen ihren Dill und ihren Meiran. Es sind aber nur ihrer vier, und wenn welche gestorben sind – aber sie sterben selten –, so sind es noch weniger.«

      Unter diesen orientierenden Mitteilungen des hier aus seinen Knabenjahren her Weg und Steg kennenden Woldemar waren alle durch eine Maueröffnung in einen großen Wirtschaftshof eingeritten, der baulich so ziemlich jegliches enthielt, was hier, bis in die Tage des Dreißigjährigen Krieges hinein, der dann freilich alles zerstörte, mal Kloster Wutz gewesen war. Vom Sattel aus ließ sich alles bequem überblicken. Das meiste, was sie sahen, waren wirr durcheinander geworfene, von Baum und Strauch überwachsene Trümmermassen.

      »Es erinnert mich an den Palatin,« sagte Rex, »nur ins christlich Gotische transponiert.«

      »Gewiß,« bestätigte Czako lachend. »Soweit ich urteilen kann, sehr ähnlich. Schade, daß Krippenstapel nicht da ist. Oder Tucheband.«

      Damit brach das Gespräch wieder ab.

      In der Tat, wohin man sah, lagen Mauerreste, in die, seltsamlich genug, die Wohnungen der Klosterfrauen eingebaut waren, zunächst die größere der Domina, daneben die kleineren der vier Stiftsdamen, alles an der vorderen Langseite hin. Dieser gegenüber aber zog sich eine zweite, parallel laufende Trümmerlinie, darin die Stallgebäude, die Remisen und die Rollkammern untergebracht waren. Verblieben nur noch die zwei Schmalseiten, von denen die eine nichts als eine von Holunderbüschen übergrünte Mauer, die andere dagegen eine hochaufragende mächtige Giebelwand war, dieselbe, die man schon beim Anritt aus einiger Entfernung gesehen hatte. Sie stand da, wie bereit, alles unter ihrem beständig drohenden Niedersturz zu begraben, und nur das eine konnte wieder beruhigen, daß sich auf höchster Spitze der Wand ein Storchenpaar eingenistet hatte. Störche, deren feines Vorgefühl immer weiß, ob etwas hält oder fällt.

      Von der Maueröffnung, durch die man eingeritten, bis an die in die Feldsteintrümmer eingebauten Wohngebäude waren nur wenige Schritte, und als man davor hielt, erschien alsbald die Domina selbst, um ihren Neffen und seine beiden Freunde zu begrüßen. Fritz, der, wie überall, so auch hier Bescheid wußte, nahm die Pferde, um sie nach einem an der andern Seite gelegenen Stallgebäude hinüberzuführen, während Rex und Czako nach kurzer Vorstellung in den von Schränken umstellten Flur eintraten.

      »Ich habe dein Telegramm,« sagte die Domina, »erst um ein Uhr erhalten. Es geht über Gransee, und der Bote muß weit laufen. Aber sie wollen ihm ein Rad anschaffen, solches, wie jetzt überall Mode ist. Ich sage Rad, weil ich das fremde Wort, das so verschieden ausgesprochen wird, nicht leiden kann. Manche sagen ›ci,‹ und manche sagen ›schi‹. Bildungsprätensionen sind mir fremd, aber man will sich doch auch nicht bloßstellen.«

      Eine Treppe führte bis in den ersten Stock hinauf, eigentlich war es nur eine Stiege. Die Domina, nachdem sie die Herren bis an die unterste Stufe begleitet hatte, verabschiedete sich hier auf eine Weile. »Du wirst so gut sein, Woldemar, alles in deine Hand zu nehmen. Führe die Herren hinauf. Ich habe unser bescheidenes Klostermahl auf fünf Uhr angeordnet; also noch eine gute halbe Stunde. Bis dahin, meine Herren.«

      Oben war eine große Plättkammer zur Fremdenstube hergerichtet worden. Ein Waschtisch mit Finkennäpfchen und Krügen in Kleinformat war aufgestellt worden, was in Erwägung der beinah liliputanischen Raumverhältnisse durchaus passend gewesen wäre, wenn nicht sechs an ebenso vielen Türhaken hängende Riesenhandtücher das Ensemble wieder gestört hätten. Rex, der sich – ihn drückten die Stiefel – auf kurze zehn Minuten nach einer kleinen Erleichterung sehnte, bediente sich eines eisernen Stiefelknechts, während Czako sein Gesicht in einer der kleinen Waschschüsseln begrub und beim Abreiben das feste Gewebe der Handtücher lobte.

      »Sicherlich Eigengespinst. Überhaupt, Stechlin, das muß wahr sein, Ihre Tante hat so was; man merkt doch, daß sie das Regiment führt. Und wohl schon seit lange. Wenn ich recht gehört, ist sie älter als Ihr Papa.«

      »O, viel; beinahe um zehn Jahre. Sie wird sechsundsiebzig.«

      »Ein respektables Alter. Und ich muß sagen, wohl konserviert.«

      »Ja, man kann es beinahe sagen. Das ist eben der Vorzug solcher, die man ›schlank‹ nennt. Beiläufig ein Euphemismus. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren und die Zeit natürlich auch; sie kann nichts nehmen, wo sie nichts mehr findet. Aber ich denke – Rex tut mir übrigens leid, weil er wieder in seine Stiefel muß – wir begeben uns jetzt nach unten und machen uns möglichst liebenswürdig bei der Tante. Sie wird uns wohl schon erwarten, um uns ihren Liebling vorzustellen.«

      »Wer ist das?«

      »Nun, das wechselt. Aber da es bloß vier sein können, so kommt jeder bald wieder an die Reihe. Während ich das letztemal hier war, war es ein Fräulein von Schmargendorf. Und es ist leicht möglich, daß sie jetzt gerade wieder dran ist.«

      »Eine nette Dame?«

      »O ja. Ein Pummel.«

      Und wie vorgeschlagen, nach kurzem »Sichadjustieren« in der improvisierten Fremdenstube, kehrten alle drei Herren in Tante Adelheids Salon zurück, der niedrig und verblakt und etwas altmodisch war. Die Möbel, lauter Erbschaftsstücke, wirkten in dem niedrigen Raume beinah grotesk, und die schwere Tischdecke, mit einer mächtigen, ziemlich modernen Astrallampe darauf, paßte schlecht zu dem Zeisigbauer am Fenster und noch schlechter zu dem über einem kleinen Klavier hängenden Schlachtenbilde: »König Wilhelm auf der Höhe von Lipa«. Trotzdem hatte dies stillose Durcheinander etwas Anheimelndes. In dem primitiven Kamin – nur eine Steinplatte mit Rauchfang – war ein Holzfeuer angezündet; beide Fenster standen auf, waren aber durch schwere Gardinen so gut wie wieder geschlossen, und aus dem etwas schief über dem Sofa hängenden Quadratspiegel wuchsen drei Pfauenfedern heraus.

      Tante Adelheid hatte sich in Staat geworfen und ihre Karlsbader Granatbrosche vorgesteckt, die der alte Dubslav wegen der sieben mittelgroßen Steine, die einen größeren und buckelartig vorspringenden umstanden, die »Sieben-Kurfürsten-Brosche« nannte. Der hohe hagere Hals ließ die Domina noch größer und herrischer erscheinen, als sie war, und rechtfertigte durchaus die brüderliche Malice: »Wickelkinder, wenn sie sie sehen, werden unruhig, und wenn sie zärtlich