Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
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Год выпуска 0
isbn 9783754958056



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      Hugo Friedländer

      Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band

      Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Vergangenheit

      Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band

      Hugo Friedländer

      Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Vergangenheit

      Impressum

      Texte: © Copyright by Hugo Friedländer

      Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

      Verlag: Das historische Buch, 2022

      Mail: [email protected]

      Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

      Berlin

      Inhalt

       Ein Presse-Skandal

       Die Vorgänge in der Provinzial-Arbeitsanstalt zu Brauweiler vor Gericht

       Manolesco, der König der Diebe vor Gericht

       Der Brand der Neustettiner Synagoge vor den Schwurgerichten zu Köslin und Konitz

       Massenmörder Hugo Schenk und Genossen vor einem Wiener Ausnahmegerichtshof

       Die Ermordung des Justizrats Levy

       Der Zopfabschneider vor Gericht

       Eine Rittergutsbesitzerin wegen Anstiftung zur Ermordung ihres Gatten vor den Geschworenen

       Der König der Spieler Rudolf Stallmann und Genossen auf der Anklagebank

      Erpressungsprozeß gegen die Redakteure des »Unabhängigen« vor der I. Strafkammer des Landgerichts Berlin I (Juni 1883).

      Die Grundlage aller modernen Kultur ist zweifellos die Buchdruckerkunst. Ohne die großartige Erfindung Johann Gutenbergs wäre es kaum möglich gewesen, die Werke Rousseaus, Goethes, Schillers und aller anderen geistigen Heroen der Nachwelt zu überliefern. Selbst die Reformation wäre ohne die Buchdruckerkunst kaum durchführbar gewesen. Wie wäre es ohne die Buchdruckerkunst um die medizinische Wissenschaft, ja um die Wissenschaft überhaupt bestellt? Allerdings gab es lange vor Gutenberg, selbst im grauen Altertum, eine ziemlich hochentwickelte Kultur. Es soll sogar vor Erfindung der Buchdruckerkunst in Deutschland geschriebene Zeitungen gegeben haben. Man kann es sich aber heute kaum vorstellen, daß es vor 500 Jahren noch keine Buchdruckerkunst und folgerichtig auch keine Presse gegeben hat. Ich behaupte jedenfalls nicht zuviel, wenn ich die Presse als den ersten Kulturfaktor bezeichne. Ohne Presse wäre es wohl kaum möglich gewesen, den Aberglauben und die damit verbundene Barbarei des Mittelalters zu überwinden. Die Presse wird die siebente Großmacht genannt. Das trifft heute kaum noch zu. Die Presse hat eine Bedeutung erlangt, daß sie fast als erste Großmacht bezeichnet werden kann. Im November 1879 hielt der verstorbene Hofprediger Stöcker einen Vortrag über die Presse und bezeichnete sie als erste Großmacht. Selbst die Mächtigen dieser Erde verkennen nicht die Macht der Presse. Der mächtigste Kanzler des Deutschen Reiches, Fürst Otto von Bismarck, der fast drei Jahrzehnte die Geschicke Europas geleitet hat, war aufs emsigste bemüht, Einfluß auf die Presse zu gewinnen. Ferdinand Lassalle äußerte sich im Jahre 1863 in seiner »göttlichen Grobheit« etwas sehr abfällig über die Presse. Er sagte von den »Zeitungsschreibern«: »Zu unfähig zum Elementarschullehrer, zu faul zum Postschreiber, zu keiner anderen bürgerlichen Hantierung fähig, fühlt er sich berufen, Volksbildung und Volkserziehung zu treiben.« Wer wollte bestreiten, daß diese Worte noch heute auf verschiedene »Journalisten« zutreffen. Fürst Bismarck sagte einmal; »Die Journalisten sind fast sämtlich Leute, die ihren Beruf verfehlt haben.« Bismarck hatte insofern recht, als es noch heute keinen akademischen Lehrstuhl für Journalistik gibt. Trotzdem sind die Anforderungen, die an einen wirklichen Journalisten gestellt werden, sehr hohe und vielseitige. Ich glaube auch nicht, daß durch Schaffung akademischer Lehrstühle für Journalistik die Zahl der tüchtigen Journalisten eine größere werden würde. Die Ausübung der Journalistik läßt sich nicht erlernen. Es gehört dazu in erster Reihe Talent und Befähigung. Wer nicht Talent und Befähigung zum Journalisten besitzt, sollte es nicht werden. Ich halte deshalb die Journalistenschulen, auch die »journalistischen Hochschulen« für gänzlich wertlos. Bis zum Inkrafttreten des Reichspreßgesetzes (1. Juli 1874) mußte für Herausgabe einer Zeitung eine ziemlich hohe Kaution in mündelsicheren Papieren bei der Ortspolizei hinterlegt und eine hohe Stempelsteuer, die nach der Auflage der Zeitung bemessen wurde, allvierteljährlich gezahlt werden. Seit Aufhebung dieser Bestimmungen hat sich das Zeitungswesen ganz unendlich entwickelt. Es ist begreiflich, daß damit Auswüchse verbunden gewesen sind. Jeder Provinzbuchdrucker ist in der Lage, eine Zeitung herauszugeben. In der Hauptsache gehört dazu eine Schere, ein Kleistertopf und ein Pinsel. Die Mitarbeiter der größeren Zeitungen sind gleichzeitig seine unfreiwilligen und selbstverständlich unbezahlten Mitarbeiter. »Geistiges Eigentum« sind vielen Zeitungsherausgebern unbekannte Dinge. Die Richter in der Provinz und auch die sogenannten Sachverständigenkommissionen bekunden bei Klagen wegen unerlaubten Nachdrucks oftmals eine geradezu erstaunliche Weltfremdheit, zumal die Sachverständigenkommissionen zumeist nicht aus Fachleuten bestehen. Daher kommt es, daß viele, selbst sehr befähigte Journalisten und Schriftsteller, die doch zweifellos zu den Pionieren der Kulturbewegung gehören, trotz großen Fleißes mit großen Nahrungssorgen zu kämpfen haben. Es ist geradezu ungeheuerlich, daß sogenannte Sachverständigenkommissionen spaltenlange Berichte über Gerichtsverhandlungen, Kongresse und Versammlungen als vogelfreies Zeitungsmaterial bezeichnen. Wenn im großen Publikum die Ansicht herrscht, ein Bericht über eine Gerichtsverhandlung, Kongreß oder Versammlung sei keine geistige Arbeit, da doch der Berichterstatter nur sein Stenogramm den Zeitungen gesandt hat, so kann man über diese Naivität lächeln, es vielleicht auch bedauern, daß in unserem fortgeschrittenen Zeitalter noch derartige Anschauungen herrschen. Wenn aber eine aus Gelehrten zusammengesetzte »Sachverständigenkommission« dieser Ansicht Ausdruck gibt, also ein Urteil abgibt, das als Grundlage eines richterlichen Urteils zu gelten hat, so ist das sehr bedauerlich. Wissen die gelehrten Sachverständigen wirklich nicht, daß die erwähnten Berichte nicht Stenogramme, sondern mit Blitzgeschwindigkeit gemachte Aufzeichnungen der interessantesten und wichtigsten Vorgänge sind? Ein wörtliches Stenogramm wäre schon, aus Anlaß der Länge und des Mangels an jeder Lebendigkeit, als Zeitungsbericht nicht zu verwenden. Wäre die Ansicht der Sachverständigen richtig, dann brauchten die Zeitungen keine geschulten Berichterstatter. Der erste beste junge Mann aus der Expedition, der gut stenographieren kann, genügte, um über die wichtigsten Prozesse, Kongresse und Versammlungen zu berichten. Daß zur Berichterstattung ein sehr umfassendes, gründliches Wissen erforderlich ist, um einmal die Themata zu beherrschen und andererseits das Wichtige vom Unwichtigen sondern zu können, und daß auch die Beherrschung der deutschen Sprache in vollendetster Form notwendig ist, sollten auch gelehrte Sachverständige und auch gelehrte Richter begreifen. Prinz Heinrich von Preußen, Bruder des Kaisers Wilhelm II., hat vor einigen Jahren auf einem Festmahl in Amerika die Vertreter der Presse mit »kommandierenden Generalen« verglichen. Es wird mehrfach behauptet, der Prinz habe mit diesem Ausspruch nur die amerikanischen Journalisten im Auge gehabt. Ich teile diese Ansicht, zumal die Journalisten in Deutschland und vornehmlich in Berlin noch vielfach mit Geringschätzung behandelt werden. Dank dem Fortschritt der Kultur ist es allerdings auch in dieser Beziehung besser geworden. Vor dreißig bis vierzig Jahren wurden die Vertreter der Presse, insbesondere die Berichterstatter in Versammlungen, bisweilen en canaille behandelt.