Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Thomas-Gabriel Rüdiger

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Название Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Автор произведения Thomas-Gabriel Rüdiger
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Год выпуска 0
isbn 9783866766464



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Kinder, S. 11. Brettel umgeht diese Begriffsauseinandersetzung in dem er zu dem Punkt kommt, dass die Kriminologie eine eigene deliktspezifische Betrachtung vornehmen muss, wobei sich dies an den strafrechtlichen Deliktskategorien ausrichten soll. Göppinger/Brettel 2008, Kriminologie, § 29 RN. 52 ff.. Dies erscheint sinnvoll, so nutzt die Kriminologie auch den Begriff des sexuellen Missbrauchs, da auch die für diese Arbeit relevanten Strafrechtstatbestände sprachlich den Begriff des „sexuellen Missbrauch“ verwenden. So beginnen u. a. § 176 a Abs. 1 und 2 StGB sehr eindeutig mit „Der sexuelle Missbrauch von Kindern […]“. Entsprechend wird auch in dieser Arbeit diese Begrifflichkeit, trotz der bekannten Schwächen, verwendet.

      20 Neutze/Osterheider 2015, Missbrauch von Kindern, S. 6.

      21 Schulzki-Hadouti 2016, Außer Kontrolle, S. 64.

      22 HR-Fernsehen 2014, Auf der Jagd nach Pädophilen, Minute 0:24–0:36; Rüdiger registrierte in einem vergleichenden Versuch in der virtuellen Welt „Habbo Hotel“ innerhalb von nur 40 Minuten insgesamt 26 sexualisierte Anbahnungen gegenüber seiner kindlichen Legende, vgl. Rüdiger 2013, Sexualtäter in Virtuellen Welten, S. 18.

      23 LKA NRW 2013, Cybercrime in Nordrhein-Westfalen, S. 21.

      24 BMI 2004–2019, Polizeiliche Kriminalstatistik 2003–2018, einschließlich Tabelle 05 2012–2018.

      25 Solmecke 2013, Internetrecht für Eltern, Kap. 3.3 Position 1389.

      26 Eisele 2012, Tatort Internet, S. 697.

      27 MemoHD hat in einem Video, dass er bei Youtube am 11. Dezember 2017 hochgeladen hat, verkündet, dass er alle seine entsprechenden Videos löschen wird und einen neuen „Fashion-Kanal“ gründen möchte. Entsprechend sind die auch in dieser Arbeit zitierten Videos nicht mehr öffentlich aufrufbar, teilweise wurden die Videos jedoch durch andere Youtuber besprochen und erneut hochgeladen. MemoHD 2017, Ich höre auf.; vgl. hierzu auch Borchardt 2016, Dieser 19-Jährige stellt Pädophile bloß.

      28 MrGamerPros/MemoHD 2016, Pädophiler wird Ertappt!, Minute 0:10.

      29 Datskid 2018, Knuddels Pädos ärgern; Farina 2017, Ich mach den Pädophilen-Check!; Schultz 2017, BadbroTV; Yuppo 2017, Pedophiler auf MSP will N*cktbilder.

      30 Terre Des Homes 2016, Webcam child sex tourism, S. 54 ff.

      31 Terre Des Homes 2016, Webcam child sex tourism, S. 5.

      32 Anmerkung: Im Laufe des formellen Promotionsverfahrens wurde durch den Bundestag am 17.01.2020 die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit für § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB auf den Weg gebracht. Vgl. BT.-Drs.19/13836, S.1. Dieses Gesetzesvorhaben wurde am 14.02.2020 durch den Bundesrat gebilligt. Vgl. BR.-Drs. 25/20, S. 1. Die Ausführungen im Rahmen dieser Publikation behalten insofern ihre Gültigkeit, als dass bereits von einer ähnlichen Entwicklung ausgegangen wurde und vor allem die Kritik an der Einführung einer solchen absoluten Versuchsstrafbarkeit vollumfänglich aufrechterhalten werden kann.

      33 BMJV 2017, Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, S. 111.; Winkelmeier-Becker 2017, Das Recht sichert die Freiheit, S. 274 ff.

      34 CDU/CSU/SPD 2018, Zeilen 6131 bis 6134.

      35 BR.-Drs. 518/18, S. 4.

      36 CDU/CSU/SPD 2018, Koalitionsvereinbarung, Zeilen 6131 bis 6134.

      37 LKA BW 2014, Cybergrooming; Schulzki-Haddouti 2016, Außer Kontrolle, S. 64.

      38 Alexiou 2018, Cyber-Grooming, S. 115 ff., S. 203 ff.

      39 Schwind 2016, Kriminologie und Kriminalpolitik, § 1 RN. 37; ähnlich Clages/Zeitner 2016, Kriminologie, S. 33; Kaiser et al. 1993, Kleines kriminologisches Wörterbuch, S. 280.

      40 Anders hingegen Meier, der einerseits einen Unterschied zwischen Kriminologie und Kriminalpolitik macht und andererseits die Kriminalpolitik als Veränderung der Strafrechtsordnung sieht, um den inneren Frieden einer Gesellschaft in der Zukunft zu verbessern oder zu sichern. Meier 2016, Kriminologie, § 1 RN. 8.

      41 Dolata 2014, Compliance contra Wirtschaftskriminalität, S. 137.

      42 Zur Diskussion: Durkheim 1968, Kriminalität als normales Phänomen, S. 27; Frevel 2008, Kriminalpolitik im institutionellen System der Bundesrepublik Deutschland, S. 104; Smaus 1985, Das Strafrecht und die Kriminalität in der Alltagssprache der Deutschen Bevölkerung, S. 54.

      43 Schwind 2016, Kriminologie und Kriminalpolitik, § 1 RN. 2.

       II. Der sexuelle Kindesmissbrauch im physischen Raum

      Für eine Betrachtung des Phänomens Cybergrooming erscheint es zunächst sinnvoll, es nicht losgelöst vom sexuellen Kindesmissbrauch im physischen Raum zu betrachten. Vielmehr erscheint es naheliegend, dass Täter, die früher klassisch auf Kinder in physischen Raum eingewirkt haben bzw. hätten, nun auch die digitalen Medien nutzen. Entsprechend sollen zunächst die für das Untersuchungsfeld relevanten Erkenntnisse zum sexuellen Kindesmissbrauch betrachtet werden.

      Dass Kinder unterschiedlichsten Alters zu Objekten der sexuellen Gewalt erwachsener und jugendlicher Täter, aber auch anderer Kinder werden, ist vermutlich ein Phänomen so alt wie die Menschheitsgeschichte. Bereits aus der Frühzeit sind Überlieferungen in Form von Mythen und Sagen bekannt, die inhaltlich sexuelle Gewalt an Kindern zum Inhalt haben44. Als bekanntes Beispiel lässt sich die antikgriechische Päderastie – die ‚Knabenliebe‘ – nennen45. Dies wurde als „Eromenos“-System benannt, bei dem ein jugendlicher bzw. pubertierender Junge – der Eromenos – mit Erreichen der Geschlechtsreife bei einem älteren Mann – dem sogenannten Erastes – in die Lehre gehen sollte46. Dieses System beinhaltete letztlich auch die Zurverfügungstellung bzw. Unterwerfung des Eromenos als sexuelles Objekt für den Erastes von seinem 12. bis 17. Lebensjahr47. Insbesondere die Symposien, in denen die Eromenos von den Erastes angeleitet wurden bzw. in denen der Wissensstoff vermittelt werden sollte, beinhalteten auch den sexuellen Missbrauch der Jungen48. Füller betont, dass zwar die platonische Form des sexuellen Missbrauchs, also eine ‚Beziehung‘ zwischen einem Mann und einem Knaben ohne sexuellen Missbrauch, als Ideal in der griechisch-antiken Gesellschaft existent war. Er arbeitet jedoch gleichzeitig heraus, dass dieses Ideal in vielen Fällen der Realität des Missbrauchs durch die Erastes weicht49.

      Diese ‚Knabenliebe‘ – beispielsweise in Form des Schenkelverkehrs, seltener des Analverkehrs – wurde auf antiken Urnen und anderen Gefäßen in entsprechend expliziter Form künstlerisch festgehalten50. Diese Art der Darstellung könnte bereits als eine frühe Form kinderpornografischer Abbildungen angesehen werden51. Dabei stellte diese Form der Päderastie letztlich einen frühen, erfolgreichen Versuch einer Institutionalisierung des sexuellen Missbrauchs von Kindern dar. Dies mag auch daran gelegen haben, dass im antiken Griechenland von Männern ein historisch-kultureller Kontext – beispielsweise durch die literarische Überhöhung der Päderastie52 – geschaffen wurde, der den sexuellen Missbrauch legalisierte. Durch die Etablierung dieses Systems kann von der Schaffung eines institutionellen Rahmens gesprochen werden, der den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ermöglichte oder zumindest förderte.

      Füller zieht den Schluss, dass sich in neuerer Zeit durch die Etablierung eines interaktionsbezogenen digitalen Raumes eine ähnliche Situation gebildet hat, in der eine Form des sexuellen Missbrauchs von Kindern institutionell gefördert bzw. durch Untätigkeit ermöglicht wird53. Dies macht er insbesondere fest an dem aus seiner Sicht mangelnden Schutz von Kindern in diesem digitalen Raum vor sexuellen Übergriffen wie Cybergrooming. Dieser besteht insbesondere dadurch, dass keine