Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Thomas-Gabriel Rüdiger

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Название Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Автор произведения Thomas-Gabriel Rüdiger
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Год выпуска 0
isbn 9783866766464



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Menschen, wie erwähnt, mit Klarnamen auftreten, da es keine Verpflichtung und dementsprechend auch keine Überprüfung gibt. Im Rahmen von netzpolitischen Debatten wird teilweise als Teil der positiven Utopie des digitalen Raumes gesehen, dass sich Menschen frei im Internet bewegen können. Als vorteilhafte Aspekt dieser Entwicklung werden zumeist die Aufrechterhaltung der Meinungsfreiheit auch in diktatorischen und autokratischen Systemen angebracht, insbesondere über Soziale Medien wie Twitter, Facebook oder Instagram. Im Rahmen des sogenannten ‚arabischen Frühlings‘ haben sich diese Sozialen Medien und auch TOR-Netzwerke als ein mitentscheidender Faktor für die politische Mobilisierung und Demokratieentwickung etabliert448. Dabei sind es letztlich nicht die Medien als solche, die helfen, sondern die weitestgehend anonyme Nutzungsmöglichkeit449. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich auch im Rahmen der klassischen Diskussion um Anonymität und Vertraulichkeit der Kommunikation. Nach den islamistisch motivierten Anschlägen von San Bernadino in den USA am 2. Dezember 2015, bei denen ein Ehepaar insgesamt 14 Personen ermordete, beabsichtigte das FBI das aufgefundene Mobiltelefon eines der toten Attentäter nach sicherheitsrelevanten Informationen zu überprüfen, ein iPhone 5C von Apple450. Im Februar 2016 wurde durch ein öffentliches Schreiben von Tim Cook, CEO von Apple, bekannt, dass ein Bundesgericht Apple auf FBI-Antrag zur Entschlüsselung des besagten Smartphones verpflichtet hatte451. Apple weigerte sich in der Folge diesen Beschluss umzusetzen und verwies darauf, dass die Menschen sich dann nicht mehr sicher sein könnten, ob ihre Daten oder sie geschützt seien. Diese Form der digitalen Anonymität wurde für so relevant gehalten, dass sich eine massive globale Berichterstattung anschloss und andere führende IT-Firmen wie Microsoft, WhatsApp, Twitter, Facebook und Amazon452 ihre Unterstützung für Apple verkündeten. Die Anonymität bzw. Vertraulichkeit der Kommunikation wurden von den Unterstützer von Apple höher eingestuft als der eventuelle Erkenntnisgewinn aus Informationen eines Attentäters mit Bezug zum Islamischen Staat (IS). Im Bundesstaat New York wurde zudem eine Gesetzesinitiative gestartet, die Hersteller von Smartphones verpflichten soll, einen Schlüssel für die Entschlüsselung von Smartphones bereitzuhalten453. Die Anonymität der Kommunikation erscheint als so relevant, dass sich große IT -Firmen gegen einen legitimierten Rechtsstaat wenden. Dies könnte auch ein Grund für die bisher kaum ernsthaften Versuche sein, das Internet auch für Kinder sicher zu gestalten.

      Diese Entwicklung ist nicht neu. Die prinzipiell als Vigilanten-Gruppen einzustufenden, nicht hierarchisch gegliederten ‚Zellen‘ des Anonymous-Kollektivs tragen bereits im Namen diese Form der Anonymität454. Sie haben ihre Ursprünge auf der Internetplattform 4Chan, auf der sich Nutzer weitestgehend anonym über alle Themenfelder austauschen, aber z. B. auch Mediendateien zur Verfügung stellen können455. Wie bei ähnlichen Imageboards und Chat-Foren erscheinen die Nutzer dabei entweder mit selbst gewählten Pseudonymen oder sie erhalten die generalisierende Betitelung „Anonymous“456. Obwohl ein Imageboard wie 4Chan Anonymität und die daraus entstehende Handlungsfreiheit als Markenzeichen sieht, gibt es dort die Grundregel, dass keine kinderpornografischen Dateien geduldet werden457. Trotzdem kommt es auch dort immer wieder dazu458.

      Die weitestgehend vorgegebene oder von vielen angenommene digitale Anonymität erscheint also als ein relevanter Aspekt der gegenwärtigen Mediennutzung. Dabei kann auch diskutiert werden, ob vielen Menschen diese Form der Anonymität überhaupt bewusst ist. Denn eine Vielzahl von digitalen Risiken basiert ja gerade darauf, dass Menschen im Netz denken, es mit echten Menschen zu tun zu haben, und gar nicht erkennen, dass derjenige ein Pseudonym nutzt und damit doch in der Anonymität verbleibt459. Im Gegenzug versucht gerade Facebook immer auch die Klarnamenpflicht durchzusetzen, jedoch ohne effektive Mechanismen der Personenidentifizierung bspw. über ein Postident-Verfahren460.

      Die grundsätzliche Anonymität des digitalen Raumes findet auch dort keine Grenzen, wo sich nachweislich Kinder im digitalen Raum bewegen. So werden so gut wie keine effektiven Personen- bzw. Altersidentifizierungssysteme für Programme bzw. Webseiten eingesetzt, die von Kindern genutzt werden oder könnten461. Die Anonymität erscheint auf den ersten Blick auch durchaus für Kinder sinnvoll, da sie damit nicht klar als Kinder oder Jugendliche z. B. in Onlinespielen identifiziert werden können. Jedoch scheinen Minderjährige überwiegend dazu zu neigen, sich bei Pseudonymen Namen des gleichen Geschlechts und auch Avataren in Spielen dasselbe Geschlecht zu geben, was diesen Vorteil wieder teilweise negiert462. So konnte im Rahmen einer Studie an Spielerinnen und Spielern des MMORPG World of Warcraft zu Genderswapping463 – also dem bewussten Tauschen seines Geschlechts nicht nur, aber insbesondere im Rahmen digitaler Aktivitäten, häufig verkörpert in digitalen Spielen durch die Auswahl eines Avatars des anderen Geschlechts – festgestellt werden, dass nur 20 Prozent der Spieler überhaupt Erfahrungen mit Genderswapping gemacht haben464. Erfahrungen von Kindern in diesem Zusammenhang können im Umkehrschluss auch einen Einfluss auf die Risikoeinschätzungen zum Alter und Geschlecht des Chat- oder Spielpartners haben. Bei der genannten Studie wurde nicht nach Altersstrukturen unterschieden, sodass nicht gesagt werden kann, inwiefern Kinder und Jugendliche zu einem entsprechenden Verhalten neigen. Daneben enthalten Nutzernamen, gerade auch von Kindern und Jugendlichen, immer wieder Hinweise auf das Geburtsdatum bzw. Alter. Im Rahmen einer Analyse von 500.000 Nutzernamen von „League of Legends“ des Herstellers Riot Games konnte im Abgleich mit Angaben bei der Registrierung festgestellt werden, dass 11.630 Nutzer in der Alterskategorie 14–20 Jahre zutreffende Altershinweise in den Nutzernamen integriert hatten465.

      Ähnliche Zahlen finden sich auch in anderen digitalen Bereichen. Nach einer Studie des Branchenverbandes Bitkom sollen 25 Prozent der Nutzer von Dating-Apps wie Tinder oder Lavoo bereits falsche Angaben über ihr Geschlecht, Aussehen, aber auch über das Alter gemacht haben466. In derselben Studie konnte herausgearbeitet werden, dass insbesondere die Altersgruppen von 14–29467 Jahren am ehrlichsten auftreten, wo nur 17 Prozent über die entsprechenden Punkte lügen468. Die Quote der Falschangaben stieg kontinuierlich mit der Altersstruktur und 32 Prozent der 50- bis 64-jährigen Befragten gaben zu, falsche Angaben gemacht zu haben469.

      Einerseits ist es also für einen beachtlichen Anteil der Menschen im digitalen Raum durchaus akzeptabel bzw. normal, beispielsweise falsche Angaben über Aussehen, Gewicht, aber auch über kritischere Aspekte wie das eigene Geschlecht und Alter zu machen. Anscheinend neigen insbesondere jüngere Internetnutzer dazu relevante Informationen bereits durch die Wahl eines Nutzernamens (Alter und Geschlecht) und ggf. auch beispielsweise durch die Wahl eines Avatar-Geschlechts in der virtuellen Welt zu verbreiten470. So können Nutzernamen wie „Lisa12“ oder „Peter2005“ besonders vulnerable Informationen über den jeweiligen Nutzer mitteilen.

      Im Umkehrschluss kann allerdings kein Nutzer Sozialer Medien sich auch nur annähernd sicher sein, mit wem er in einer Interaktion tatsächlich kommuniziert. Hierfür würden effektive Personenidentifizierungssysteme benötigt, die solche spezifischen Daten im Rahmen einer Kommunikation verifizieren, um die vorherrschende Anonymität zu durchbrechen.

      Der digitale Raum in seiner jetzigen Form ist geprägt von der Nutzung Sozialer Medien. Jedes Soziale Medium, das keine effektive Kontrolle, bspw. in Form von Alters- und Personenidentifizierungsmechanismen, der nutzenden Personen vornimmt, kann auch von Cybergroomern genutzt werden, sofern Kommunikation möglich ist, um mit Kindern Kontakt aufzunehmen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Mediennutzung von Minderjährigen in Deutschland auf Bilder- und Videoplattformen, Messenger und Onlinespiele konzentriert. Diese Mediengruppen sind nicht als gegenseitig exklusiv zu betrachten, vielmehr nutzen v. a. ältere Kinder alle Medien aktiv selbst. Nur weil ein Kind z. B. Onlinespiele spielt, heißt das nicht, dass es nicht auch einen Account auf Instagram unterhält. Dabei können die Bilder- und Videoangebote und Onlinespiele als Anbahnungsplattformen für Cybergrooming-Prozesse dienen. Hierbei zeigt sich, dass ein Cybergrooming-Prozess sich nicht auf ein Soziales Medium konzentrieren muss. So kann ein Täter in einem Onlinespiel den Kontakt mit einem Kind aufbauen und die Kommunikation dann im Laufe des Prozesses auf einen Messenger überführen. Auf diesen kann der Täter dann den digitalen Missbrauch in Form von Videolivestreams und der Übersendung von Bildern und Videos durchführen.

      Anhand des