Название | Lieber Liebe |
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Автор произведения | Beate Morgenstern |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738055573 |
Dunstiger kühler Maimorgen. Das Gras des kleinen Bauernhofs feucht. Auf der Straße ein paar Männer, Frauen mit Fahrrädern unterwegs, wahrscheinlich zur Genossenschaft. Sie grüßte, war das gewohnt von ihrer Kindheit in thüringischem Dorf, wurde auch mal zurückgegrüßt. Vor der feldsteingemauerten Kirche ein roter Wartburg. Wohl sein Auto. Der Wagenschlag wurde geöffnet. Grinsekatze noch nicht aufgewacht, sekundenkurzes Lächeln wie gegen seinen Willen. Aus den Federn gefunden? - Das ist nie mein Problem, sagte sie. Während sie fuhren, entschuldigte er sich für seine Rostlaube, fragte, ob sie eine Anmeldung auf ein Auto laufen hätte, empfahl, sich anzumelden. Wenn sie das Auto nicht brauche, könne sie Geld damit verdienen, die Anmeldung bei fälliger Lieferung an andere weitergeben. So ist das bei uns in der Zone. Lachen aus dunkler Kehle. (Er hatte wohl viel Spott nötig. Noch nie hatte sie jemanden gehört, der dieses Wort über das eigene Land gebrauchte. Und war doch Journalist. Aber vielleicht brachte ihn gerade sein Beruf in große Missstimmung.) Immer noch billiger, auf ein neues Auto was draufzuzahlen, als jemandem eine Schrottkiste abzukaufen. Waren also wieder beim üblichen Thema: Mangel, Unzulänglichkeiten, Absurditäten hierzulande. Erschien ihr wie ein Ritual, darüber zu sprechen, worüber man gestern und vorgestern auch schon gesprochen hatte. Man hatte was, über das man noch lieber sprach als über das Wetter. Der Austausch schaffte einen Grundkonsens. Das Gefühl gegen die da oben stiftete einen Zusammenhalt zwischen den Menschen. Die Gespräche sicher auch notwendiges Ventil. Allerdings, sie langweilten Gespräche, die nicht irgendwann - irgendwann! - zu etwas führten. Lange blieb es dunstig, woraus sich eine Staffelung der Landschaft ergab. Mal ließen sie den Wagen stehen, liefen am Bodden entlang, feuchte Ufer-Pfade durch dumpfig-sumpfig riechendes hohes Schilf. Freie Sicht bei einem Weg oberhalb des Wassers. Lange hätte sie laufen können. Wer lief schon mal mit ihr. Jo doch nicht. Ihr Begleiter drängte auf Umkehr. Sie fuhren wieder, stiegen aus, besahen mal eine Kirche, mal ein Städtchen, schauten auf den Bodden hinaus, stiegen aus, ein. Hatte er wohl einen Blick, aber keine Ruhe. Auch keinen Hunger. Sie meldete sich dann doch. Ach ja, entschuldige, sagte er. Beim nächsten Bäcker holst du uns was. Heute Abend gehen wir dann in die Kneipe. Das plötzliche »du« fuhr ihr durch und durch. Erschreckte sie auch, wie er über sie verfügte. Als wäre sie eine Katze und würde am Nackenfell gepackt und aufgehoben, so dass sie in eine Tragestarre verfiel.
Abends gingen sie, die See zu begrüßen. Zum Angstkriegen gewaltvoll war sie. Feuer ertränkte man schließlich. Gegen Wasser hatte man keine Macht. Da sind wir hergekommen, sagte sie nach langem Hinblicken. Und wenn wir von der Erde verschwunden sind, das Meer ist immer noch da. Das ist gut. - Weiß nicht. Ist doch schade, wenn wir nicht mehr da sind. Sie wandte ihren Blick ihm zu. Er hatte seine Lippen wieder in die Breite gezogen. Kannte sie nun die verschiedenen Arten, wie er lächelte: Nur mit den Augen, liebevoll oder spöttisch. Oder er öffnete den Mund zu einem breiten, jungenhaften Lachen. Sollte jedenfalls so aussehen. Manchmal bewegte er nur die Lippen, ohne sie zu öffnen, und seine Augen blieben ernst. War dann Grimasse, sollte auch eine sein. - Ich hätte gedacht, dass du Menschen nicht sehr magst. - Aber ich mag mich. Und du, magst du dich nicht auch? - Ich könnte schon hin und wieder auf mich verzichten. - Glaub ich dir nicht. Er legte seinen Arm um sie. Vielleicht wie ein ganz guter Freund. So was wollte sie mal denken.
Ließen sich in der Kneipe zum Bier Kartoffelsalat mit Spiegeleiern bringen, hätten auch Kartoffelsalat mit Boulette haben können, aber Eiern trauten sie mehr als gebratenem Hackfleisch. Sie bekam ihre Augen nicht von ihm los. Die vielen Stunden miteinander schafften fatale Nähe. Wusste von sich, sie sprach auf Männer an. Sie fuhr die Linien und Flächen seines eigenartigen Gesichts lang. Mochte, dass er zehn, zwölf Jahre älter war. Drängte ihr die Vorstellung auf, er wäre klüger und könne nötigenfalls Widrigkeiten von ihr abhalten. Noch immer hatte sie sich nicht von dieser Erwartung gelöst, obwohl sie durch Jo eines Besseren belehrt sein sollte. Nach langem Tag brauchte Gemeinschaft nicht mehr durch viele Worte bewiesen zu werden. Wenigstens wich er ihren Fragen nicht aus. In seiner Ehe (ja, natürlich, der Mann Harald verheiratet!) gab es einen vierzehnjährigen Sohn. Gegenüber reichhaltigerem Familienleben war er abgeneigt. Wenn meine Frau mich doch mal satt haben sollte und mich rauswirft, ich wollte eine Partnerin ohne Familie, sagte er. Den Satz behielt sie. Der schien sich auf sie zu beziehen.
Spät in der Nacht begleitete er sie zu ihrem Bauernhof. An schwarz gebeizter langer Bretterwand nahm er ihren Kopf zwischen seine Hände, presste seinen Körper gegen ihren und sie gegen die Wand. Sie spürte seine Erregung deutlich wie noch nie bei einer Umarmung, waren fast gleich groß, vielleicht deshalb. Zündete der Mann sie an, damit sie dann lichterloh brannte, und was dann? Sie war ihm von einer Sekunde zur nächsten verfallen, war niemals jemandem so ausgeliefert gewesen, im ganzen Leben nicht. Versuchte aber doch, die deutlich vor Augen stehende Katastrophe abzuwenden. Hatte die Vorstellung, sie müsse lediglich der Bretterwand entkommen. Dann würde sie laufen, laufen, und in der Kammer im Bauernhof wäre sie dann in Sicherheit. Lass mich gehen!, bat sie. Lass mich, bitte! Heißes Wasser trat ihr in die Augen vor lauter Inständigkeit. Aber warum denn, warum denn bloß?, fragte er zwischen den Küssen, die sie fast erstickten. Fuhren sich gegenseitig in die Schlünde und bissen leicht auf schlängelnd-feuchte Ungeheuer. Lass mich, lass mich!, klagte sie. War nicht imstande, mehr als diesen Satz zu sagen. Eine so dringliche Bitte! Konnte er sie doch leicht loslassen, stehenbleiben, bis sie weggerannt war! Er aber verstand nichts. Wohl, weil sie anderes sagte, als tat, und in ihrer Kopfschwachheit nichts herausbrachte an irgendwelchen Argumenten. Hatte nichts mit Verliebtheit, geschweige denn Liebe zu tun, dass sie von einem Augenblick auf den nächsten nicht mehr über sich selbst verfügen konnte. War wohl vom Wahnsinn befallen. Wollte aber mit Wahnsinn nichts zu tun haben. Bitte!, sagte sie zum letzten Mal, sah die schwarze Bretterwand vor sich. Könnte sie bloß loslaufen, die Wand hinter sich bringen! Als er sie losließ, war es zu spät, ihr eigener Wille von nun an - für wie lange? - ausgeschaltet. Würde alles ihm zuliebe tun.
Nach dem Aufwachen packte sie ihre Sachen. War offenbar doch zu paar Stunden Schlaf gekommen. Wie immer hatte die Bäuerin in der Küche ein Frühstück bereit. So plötzlich!, meinte die Bäuerin, als sie ihr mitteilte, sie müsse gleich abreisen. Ich hab mit Berlin telefoniert, sagte sie. Ich hab ein Angebot. Das muss ich mir anhören. - Arbeit geht vor, sagte die Bäuerin, bestellte Grüße an Bruder und Schwägerin. Über ihren Bruder war sie zu dieser Adresse gekommen. Bevorzugt, wer eine private Unterkunft an der See wusste. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund hatte die Küste fest im Griff.
Sie fuhren von der Insel. Er nannte den Namen einer Stadt als nächstes Ziel. Was immer er ihr vorschlug, sie war einverstanden. Einfach mal durch die Gegend kutschieren. (Jo fuhr ungern. War er auf Suche nach Schauplätzen für einen Film, saß sein Kameramann am Steuer. Sie kamen selten weiter als bis zum Stadtrand und im Sommer ans Schwarze Meer.) Nie grelle Sonne. Die Zweige gegenüberliegender Bäume trafen sich und gaben ein Dach ab. Kaum noch existierten Feldwege mit Obstbäumen, Hecken am Rande. Die großräumige Bewirtschaftung des Bodens ließ dies offenbar nicht mehr zu. Wenigstens durchzogen Alleen die hügelige Landschaft, Eis hatte den Boden gedrängt, geschoben. Die Dörfer bescheidene Siedlungen wie eh. In diesem Landstrich, sagte man, würde auch ein Weltuntergang erst hundert Jahre später bemerkt. Sie fuhren durch Buchen- und Mischwälder. Manchmal sah sie auf ihn, sein Profil, hohe Stirn, schmale Nase, vorgewölbter Mund. Traf sie ein Lächeln, wurde ihr schwindlig.
Auf breitem Platz vor einem Schloss parkten sie. Das Schloss, die Sommerresidenz der Großherzöge von Schwerin, gerade restauriert, so Harald, Dreigeschossig, die Geschosse voneinander abgesetzt, das ebene