Die Untreue der Frauen. Emma Gold

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Название Die Untreue der Frauen
Автор произведения Emma Gold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748563143



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Trennung zwischen Ihrem Geist und Ihrem Körper herbeigeführt hat, der physiologische Faktor, der hier mitspielt. Sie besitzen das, was wir in der Ausbildung feixend einen Expressauslöser genannt haben. Der flüchtigste klitorale Reiz führt in ihrem Traum zu einem Orgasmus. Sie kommen in weniger als zehn Sekunden zum Höhepunkt und erzielen über eine unabsehbare Zeitdauer auch danach noch eine Reihe weiterer Orgasmen. Sie können nie genug Sex bekommen.“

      „Diese Schlampe, diese ekelhafte. Sie ist durch und durch schlecht.“

      „Seien Sie kein Narr. Die meisten Frauen würden ihre beiden Brüste hergeben, wenn sie dadurch die Fähigkeit erwerben könnten, so schnell und so häufig wie Sie zu kommen. Es ist ein physischer Vorzug, keine Verpflichtung, aber statt ihn zu genießen, haben Sie ihn irgendwo auf halber Strecke unterbrochen, oder ausgeschaltet, oder von Ihrem Verstand abgetrennt. Aber das kommt Sie teuer zu stehen. Geist und Körper sind symbiotisch. Jeder ist für den anderen lebensnotwendig. Das ist der Grund, warum Sie eine Stimme hören. Es ist die Stimme Ihres Körpers, der sich wieder mit ihrem Geist verbinden möchte. So erscheint Ihnen diese Sehnsucht nach Verbindung ständig im Traum.“

      Elvira Bergström gab keinerlei Anzeichen, ob sie verstanden hatte, was ich sagte. Das überraschte mich nicht. Einem Patienten zu erklären, was nicht in Ordnung war, war als Therapie ungefähr so wirksam wie der Versuch, Warzen mit Zaubersprüchen zu beseitigen. Der Trick – und ich betrachtete es als Trick, eine Fähigkeit, die manche Analytiker besaßen und andere nicht -, war, in den Kopf des Patienten einzusteigen und in den Landschaften seines Geistes spazieren zu gehen. Dann konnte man die Auswege finden, falls es welche gab. Aber um das zu bewerkstelligen, musste man wissen, wie sie die Realität sahen. Und um zu verstehen, wie sie die Realität sahen, musste man wissen, wie ihre Realität aussah. Ich musste erfahren, was meine Patienten getan hatten, oder immer noch tun, um diese Trennung von Körper und Geist herbeigeführt zu haben.

      „Sie müssen mir etwas mehr erzählen, wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe!“

      „Über was?“, fragte Elvira im gleichen, ausdruckslosen Ton.

      „Über diese Stimme in ihren Träumen. Ja, über die Stimme möchte ich mehr wissen.“

      „Sie können Sie sich ja ansehen. Alle haben sie gesehen. Aber das ist schon lange her.“

      „Sie weichen schon wieder aus. Das sind typische paranoide Fluchtversuche. Und obendrein sind sie kindisch. Wenn Sie mich nicht verstehen können oder wollen, dann müssen Sie bitte einen anderen Psychiater aufsuchen.“

      Sie klimperte mit den Augen. „Was wollen Sie wissen?“, fragte sie.

      „Ich möchte mit dem Ding sprechen.“

      „Ich werde mich schön hüten, sie hochkommen zu lassen.“

      „Dann ist es also eine »sie«?“

      Für den Bruchteil einer Sekunde erschien auf Elviras Gesicht ein Ausdruck, in dem Groll und Bewunderung sich die Waage hielten. Dann wurde ihr Blick wieder öd.

      Ich zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. „Hat sie einen Namen?“

      „Ja“, sagte Elvira.

      „Wie heißt sie?“

      „Luder. Schlampe. Dreckige Hure.“

      „Nein, ich meine, wie ist ihr Name?“

      „Das sage ich Ihnen nicht.“

      „Was haben Sie getrieben, als Sie ihre Stimme zum ersten Mal gehört haben, zum allerersten Mal?“

      „Das haben Sie schon einmal gefragt!“

      „Ja, aber Sie haben nicht geantwortet.“

      „Das werde ich jetzt auch nicht tun.“

      „Hatten Sie das erste Mal Geschlechtsverkehr?“

      „Ich kann mich nicht entsinnen.“

      „Was war das für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen hatten?“

      „Es nicht gereicht. Nie. Und sie will, dass ich dafür einen Baum suche.“

      „Einen Baum?“

      „Ja. So ein Luder. Was soll ich mit einem Baum?“

      „Lassen wir kurz den Baum. Was spüren Sie nach dem Akt? Wenn der Mann ejakuliert hat?“

      „Nichts! Ich spüre gar nichts.“

      „Kommen Sie. Sie müssen etwas spüren, sonst könnten Sie keinen heißen Kaffee trinken, ohne sich die Zunge zu verbrennen. Sie könnten nicht laufen, wenn Ihre Füße nicht den Boden spüren würden. Irgendwelche sensorischen Informationen müssen immer aufgenommen und verarbeitet werden.“

      „Nein.“

      „Schmecken Sie Dinge? Schmecken Sie, ob etwas süß oder sauer oder salzig ist?“

      „Nein. Das Ding schmeckt. Ich weise es an, zu kauen und zu schlucken. Ich sage ihm, wie es sich in einem Restaurant zu verhalten hat und wie man Suppe isst, ohne zu schlürfen.“

      „Elvira Bergström fühlt überhaupt nichts?“

      Es schoss aus ihr heraus: „Nein!“

      Ich lachte, um die Sache zu verharmlosen. „Das ist gelogen. Elvira Bergström empfindet etwas. Das ist der Grund, warum sich ihr Körper so sehr nach der Sexualität sehnt. Warum Sie ständig Sex brauchen. Sie kennen und verstehen die sexuelle Lust und den intensiven Schmerz.“

      „Schmerz ist gut für das Ding. Das lehrt es, sich zu benehmen.“

      „Irrtum. Schmerz ist gut für Elvira Bergström. Schmerz zeigt ihr, dass sie immer noch existiert, in einem Körper existiert.“

      „Ich empfinde nichts. Ich lebe an einem kühlen, trockenen Ort.“

      „Wo ist dieser kühle, trockene Ort? Wie sieht er aus? Wie schaut er aus, die Topographie. Sind Sie innerhalb oder außerhalb, ist es Winter oder Sommer?“

      „Ich lebe in einer Burg, einer Festung.“

      „Ist diese Festung von einem Graben umgeben?“

      „Ja! Woher wissen Sie das?“

      „Festungen sind von Gräben umgeben. Ein beliebtes Traummotiv. Sagen Sie, hat diese Festung oder Burg ein Fallgatter?“

      „Was ist das?“

      „Eine Eisentür, die man herunterlassen kann, um Eindringlinge abzuwehren.“

      „Ja.“

      „Führt eine Zugbrücke über den Graben?“

      „Nein.“

      „Wie kommt man dann über den Graben? Irgendein Weg muss doch hinüberführen, richtig?“

      „Man muss schwimmen!“

      Die Stimme, die aus ihrer Kehle drang, klang tiefer, sonorer. Die neue Stimme ließ gut zehn Sekunden lang ein höhnisches Glucksen vernehmen, dann streckte sich ihr Körper, als hätten unsichtbare Hände ihn in ihrem Sessel aufgerichtet.

      Als sie jetzt fortfuhr, hatte ihre Stimme wieder ihr übliches Timbre.

      „Das Scheusal lebt dort, in dem Graben, wo es hingehört. Im Morast! Ich lebe drinnen, wo es sauber und trocken ist. Die Mauern sind dick und fest. Da kommt niemand rein.“

      „Ja, und raus kommt auch niemand“, erklärte ich und spielte unverändert mit dem Kugelschreiber.

      „Und was heißt das nun, Doktor Gold?“

      „Sie werden mir aus Ihrem Leben erzählen müssen. Ich muss wissen, wie es zu Ihrer sexuellen Gier kam. Zu Beginn Ihrer Ehe waren Sie noch glücklich, oder?“

      „Ja. Aber er konnte mich nie sexuell befriedigt.“

      „Dann beginnen wir mit der Zeit, in der sie selbst merkten, dass Ihnen etwas fehlt.“