Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

Читать онлайн.
Название Die Brüder Karamasow
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754189092



Скачать книгу

du denn?«

      »Warum ich flüstere? Ach, hol's der Teufel!« schrie Dmitri Fjodorowitsch plötzlich aus voller Kehle. »Ja, warum flüstere ich denn? Na, da siehst du selbst, was für Dummheiten man manchmal macht. Ich bin hier auf Geheimposten und lauere auf etwas. Ich werde dir das bald erklären. Aber weil ich mir bewußt bin, daß es ein Geheimnis ist, fing ich auf einmal an, geheimnisvoll zu sprechen und zu flüstern wie ein Narr, wo es gar nicht nötig ist. Komm! Dorthin! Bis dahin schweig! Ich möchte dich küssen!

      Ruhm dem Höchsten, der die Welten

       all erfüllt und meine Brust!

      Das habe ich eben, während ich hier saß, ein paarmal wiederholt ...«

      Der Garten mochte etwa eine Deßjatine groß sein oder etwas darüber, war aber nur ringsherum, an den vier Zäunen, mit Bäumen bepflanzt: mit Apfelbäumen, Ahorn, Linden und Birken. Die Mitte des Gartens war leer und bildete eine Wiese, auf der im Sommer einige Pud Heu gemäht wurden. Der Garten wurde von der Eigentümerin vom Frühling an für einige Rubel verpachtet. Auch Beete mit Himbeerstauden, Stachelbeer- und Johannisbeersträuchern waren da, ebenfalls sämtlich an den Zäunen; kleine Beete mit Gemüse, erst kürzlich angelegt, befanden sich dicht am Haus. Dmitri Fjodorowitsch führte seinen Gast in eine vom Haus besonders weit entfernte Ecke des Gartens. Dort wurde plötzlich mitten unter dichtstehenden Linden und alten Johannisbeer-, Holunder-, Schneeball- und Fliedersträuchern etwas wie die Ruine einer uralten grünen Laube sichtbar, schon schwärzlich und schief geworden, mit Gitterwänden und einem Dache, so daß man darin Schutz vor Regen finden konnte. Errichtet war die Laube Gott weiß wann, der Überlieferung nach vor etwa fünfzig Jahren, von dem damaligen Besitzer des Häuschens, einem Oberstleutnant a. D. Alexander Karlowitsch von Schmidt. Alles war schon verfault, der Fußboden vermodert, die Dielen schwankten, das Holz roch nach Nässe. In der Laube war ein hölzerner grüner Tisch, und um ihn herum liefen ebenfalls grüngestrichene Bänke, auf denen man noch sitzen konnte. Aljoscha hatte sofort die begeisterte Stimmung seines Bruders, bemerkt. Als er in die Laube trat, erblickte er auf dem Tischchen eine halbe Flasche Kognak und ein kleines Gläschen.

      Deßjatine

      Pud

      »Das ist Kognak!« sagte Mitja lachend. »Und du machst ein Gesicht, als ob du sagen wolltest: Säuft er schon wieder? Glaub nicht dem Schein, der trügt!

      Glaub nicht der lügenhaften Menge,

       vergiß den Zweifel, der dich quält ...

      Ich saufe nicht, ich ›nippe‹ nur, wie sich dieser Schweinehund ausdrückt, dein Freund Rakitin, der noch als Staatsrat sagen wird: ›Ich nippe‹ ... Setz dich! Ich möchte dich nehmen, Aljoscha, und dich an meine Brust drücken, aber so, daß ich dich erdrücke! Denn auf der ganzen Welt, wahrhaftig, wahr-haftig ... liebe ich nur dich!«

      Er hatte die letzten Worten beinahe verzückt gesprochen.

      »Nur dich! Und dann noch eine ›Verworfene‹, in die ich mich verliebt habe! Und dadurch bin ich denn auch ins Verderben gestürzt. Aber sich verlieben, das bedeutet nicht dasselbe wie lieben. Sich verlieben kann man, auch wenn man haßt. Vergiß das nicht! Jetzt sage ich das noch heiter! Setz dich, hier an den Tisch, und ich werde mich neben dich setzen und werde dich ansehen und werde reden. Du wirst immerzu schweigen, ich aber werde immerzu reden, weil die richtige Zeit dafür gekommen ist. Übrigens, weißt du, ich habe mir überlegt, daß ich tatsächlich leise sprechen muß, weil hier ... hier ... ganz unerwartet offene Ohren sein können. Ich werde dir alles erklären. Wie sagt man: Fortsetzung folgt. Warum habe ich mich auf dich gestürzt, mich nach dir gesehnt, alle fünf Tage und noch soeben? Es sind nämlich schon fünf Tage, daß ich hier vor Anker liege. Warum also? Weil ich dir allein alles sagen will, weil das notwendig ist, weil ich dich brauche, weil morgen mein Leben zu Ende geht und neu beginnt. Kennst du das aus eigener Erfahrung? Hast du einmal geträumt, wie man von einem Berg in eine Grube stürzt? So gleite auch ich jetzt hinab, bloß nicht im Traum. Und ich fürchte mich nicht, und fürchte du dich auch nicht! Das heißt, ich fürchte mich, aber es ist ein süßes Gefühl. Das heißt, es ist kein süßes Gefühl, sondern ich bin begeistert ... Na, zum Teufel, es ist ja ganz egal, was das für ein Gefühl ist. Ganz egal, ob mein Geist stark oder schwach oder weibisch ist! Laß uns die Natur preisen! Sieh, nur, wieviel Sonne wir noch haben und wie rein der Himmel ist und wie grün noch alle Blätter, es ist noch ganz Sommer, und jetzt um vier Uhr nachmittags diese Stille! Wohin wolltest du gehen?«

      »Zum Vater. Und vorher wollte ich noch bei Katerina Iwanowna vorbeigehen.«

      »Sie und der Vater! Na so was! Ist das ein Zusammentreffen! Warum habe ich dich gerufen? Warum habe ich mich nach dir gesehnt, nach dir gehungert und gedürstet mit allen Kammern meines Herzens und sogar mit allen meinen Rippen? Um dich mit einem Auftrag zum Vater zu schicken und dann zu ihr, zu Katerina Iwanowna! Damit ich auf diese Weise mit ihr wie auch mit dem Vater zu Ende komme. Einen Engel wollte ich schicken. Ich könnte ja jeden beliebigen schicken, aber ich wollte einen Engel schicken. Und da bist du nun von selber auf dem Weg zu ihr und zum Vater!«

      »Wolltest du mich wirklich hinschicken?« entfuhr es Aljoscha, und auf seinem Gesicht drückte sich Schmerz aus.

      »Warte mal, du hast es gewußt. Ich sehe, daß du alles mit einem Schlag begriffen hast. Aber schweig, schweig vorläufig! Bedauere mich nicht und weine nicht!«

      Dmitri Fjodorowitsch stand auf, dachte nach und hielt den Finger an die Stirn. »Sie selbst hat dich rufen lassen. Sie hat dir einen Brief oder sonst etwas geschrieben. Deshalb wolltest du zu ihr gehen. Denn sonst wärst du noch nicht gegangen?«

      »Da ist das Billett«, sagte Aljoscha und zog es aus der Tasche. Mitja überflog es.

      »Und du bist hinten herum gegangen! O ihr Götter! Ich danke euch, daß ihr seine Schritte hinten herum gelenkt habt und er gerade auf mich gestoßen ist – wie im Märchen das goldene Fischchen auf den alten dummen Fischer. Hör zu, Aljoscha! Hör zu, Bruder! Jetzt werde ich dir alles sagen. Denn irgend jemandem muß ich es doch sagen, ich muß. Meinem Schutzengel im Himmel habe ich es schon gesagt, aber ich muß es auch einem Engel auf Erden sagen. Du bist ein Engel auf Erden. Du wirst mich anhören, du wirst dein Urteil fällen, und du wirst mir verzeihen. Und das ist mir eben ein Bedürfnis. Jemand, der über mir steht, soll mir verzeihen. Höre. Wenn zwei Menschen sich plötzlich von allem Irdischen losreißen und in ungewöhnliche Regionen fliegen, oder wenigstens der eine von ihnen, und wenn dann dieser eine vorher zu dem anderen kommt und sagt: Tu für mich das und das, etwas, worum man niemand bittet, worum man nur auf dem Sterbebett bitten darf – wird dieser andere seine Bitte unbedingt erfüllen? Wenn er sein Freund, sein Bruder ist?«

      »Ich würde sie erfüllen. Aber sag, worum es sich handelt, und sag es schnell!« erwiderte Aljoscha.

      »Schnell. Hm. Nicht so eilig, Aljoscha. Du hast es eilig und beunruhigst dich. Jetzt ist kein Grund zur Eile. Jetzt ist die Welt auf eine neue Straße gekommen. Schade, Aljoscha, daß du mit deinem Denken nicht bis zur Begeisterung angelangt bist! Doch, was rede ich da? Du, du wärst nicht dahin gelangt? Was rede ich da, ich Tölpel!

      Edel sei der Mensch!

      Von wem ist dieser Vers?«

      Aljoscha beschloß abzuwarten. Er begriff, es war seine einzige Aufgabe, jetzt tatsächlich hier zu sein. Mitja dachte einen Augenblick nach, dabei stützte er sich mit dem Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die hohle Hand. Beide schwiegen.

      »Ljoscha«, sagte Mitja, »du bist der einzige, der mich nicht auslachen wird! Ich möchte meine Beichte mit Schillers Hymne ›An die Freude‹ beginnen. Aber ich kann nicht Deutsch, deutsch kenne ich nur die Überschrift ›An die Freude‹. Glaube nicht, daß ich betrunken bin und deshalb allerlei zusammenschwatze. Ich bin ganz und gar nicht betrunken. Kognak ist Kognak, aber ich brauche zwei Flaschen, um betrunken zu werden. Und ich habe noch keine Viertelflasche getrunken und bin nicht betrunken. Sondern ich habe einen Entschluß für mein ganzes Leben gefaßt! Sei unbesorgt, ich gerate nicht ins Salbadern, ich werde sachlich reden und sofort zur Sache kommen. Ich werde dir schon nicht auf die Nerven gehen! Warte mal, wie war das doch ...«

      Er