Название | Fjodor Dostojewski: Hauptwerke |
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Автор произведения | Fjodor Dostojewski |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754189153 |
»Wozu braucht es jetzt erst noch Tag zu werden, wo man draußen auch ohne das lesen kann?« bemerkte jemand.
»Damit ich ein Stückchen Rand von der Sonne sehen kann. Kann man auf die Gesundheit der Sonne trinken, Fürst? Wie denken Sie darüber?«
Ippolit stellte seine Fragen in scharfem Ton und wendete sich ungeniert, wie wenn er kommandierte, an alle, schien sich aber dessen selbst nicht bewußt zu sein.
»Trinken wir darauf, meinetwegen! Nur sollten Sie sich beruhigen, Ippolit; nicht?«
»Sie reden immer von Schlafen; Sie sind meine Kinderfrau, Fürst! Sobald die Sonne erscheint und am Himmel ertönt (wer hat das doch in einem Gedicht gesagt: ›Die Sonn' ertönte schon am Himmel‹? Es ist sinnlos, aber schön!) – dann will ich mich schlafen legen. Lebedjew! Die Sonne ist ja wohl die Quelle des Lebens? Was bedeuten die ›Quellen des Lebens‹ in der Offenbarung des Johannes? Sie haben wohl von dem Wermutstern gehört, Fürst?«
»Ich habe gehört, daß Lebedjew diesen Wermutstern als das Eisenbahnnetz erklärt, das Europa überzieht.«
»Nein, erlauben Sie; das ist nicht gestattet!« schrie Lebedjew, indem er aufsprang und lebhaft mit den Armen gestikulierte, wie wenn er das allgemeine Gelächter, das sich erhob, hemmen wollte. »Erlauben Sie! Mit diesen Herren ... all diese Herren ...«, wandte er sich plötzlich an den Fürsten, »das ist in mehreren Punkten gegen die Verabredung; hören Sie nur ...«
Und er schlug sehr ungezwungen zweimal auf den Tisch, wodurch das Gelächter noch ärger wurde.
Lebedjew befand sich nicht nur in seinem gewöhnlichen »Abendzustand«, sondern es kam diesmal auch noch hinzu, daß er durch die vorhergehende lange »gelehrte« Debatte besonders aufgeregt und gereizt war; in solchen Fällen benahm er sich gegen seine Opponenten mit grenzenloser und im höchsten Grade offenherziger Geringschätzung. »Das ist nicht gestattet! Fürst, vor einer halben Stunde haben wir eine Verabredung getroffen: es darf niemand unterbrochen werden; es darf nicht gelacht werden, solange jemand spricht; es soll jeder alles frei heraus sagen dürfen. Nachher können ja auch die Atheisten, wenn sie wollen, ihre Erwiderungen vorbringen. Wir haben den General als Vorsitzenden eingesetzt; jawohl! Denn wie würde es sonst zugehen? Man könnte jeden, der eine hohe Idee, eine tiefsinnige Idee vorbringt, konfus machen ...«
»Reden Sie doch, reden Sie doch! Niemand wird Sie stören!« riefen mehrere.
»Reden Sie; aber reden Sie nicht zu viel Unsinn!«
»Was ist das für ein Wermutstern?« erkundigte sich jemand.
»Ich habe keine Ahnung!« antwortete General Iwolgin und nahm mit wichtiger Miene den ihm vorhin zuerkannten Platz als Vorsitzender ein.
»Ich liebe all diese gereizten Debatten außerordentlich, Fürst, natürlich nur Debatten über gelehrte Themata«, murmelte unterdessen Keller, der in höchster Begeisterung und Ungeduld auf seinem Stuhl hin und her rückte, »über gelehrte und politische Themata«, wandte er sich plötzlich und unerwartet an Jewgeni Pawlowitsch, der in seiner Nähe saß. »Wissen Sie, ich lese furchtbar gern in den Zeitungen die Berichte über die Sitzungen des englischen Parlaments, das heißt, mich interessieren dabei nicht die Gegenstände, über die sie beraten (wissen Sie, ich bin kein Politiker), sondern die Art, wie sie untereinander reden und sich sozusagen wie Staatsmänner benehmen: ›Der sehr ehrenwerte Vicomte, der mir gegenüber sitzt‹, ›der sehr ehrenwerte Graf, der meine Ansicht teilt‹, ›mein sehr ehrenwerter Gegner, der durch seinen Antrag Europa in Erstaunen versetzt hat‹, das heißt diese ganze Ausdrucksweise, dieser ganze Parlamentarismus eines freien Volkes – das hat für unsereinen etwas Verlockendes. Dafür begeistere ich mich, Fürst. Ich bin immer in tiefster Seele ein Künstler gewesen, das schwöre ich Ihnen, Jewgeni Pawlowitsch.«
»Und was ist nun das Resultat aus alledem?« ereiferte sich Ganja an einer andern Ecke des Tisches. »Ihrer Meinung nach ergibt sich daraus, daß die Eisenbahnen verflucht sind, daß sie das Verderben der Menschheit sind, daß sie eine Pest sind, die die Erde befallen hat, um die ›Quellen des Lebens‹ zu trüben?«
Gawrila Ardalionowitsch befand sich, wie es dem Fürsten schien, an diesem Abend in einer besonders angeregten, heiteren und beinah triumphierenden Stimmung.
Mit Lebedjew trieb er offenbar Scherz, indem er ihn aufstachelte; aber er wurde dabei bald selbst hitzig.
»Nicht die Eisenbahnen, nein!« versetzte Lebedjew, der zu gleicher Zeit außer sich geriet und einen maßlosen Genuß empfand. »Was die Quellen des Lebens trübt, das sind nicht speziell die Eisenbahnen; sondern all diese verdammten Dinge zusammen sind verflucht; diese ganze Richtung der letzten Jahrhunderte mit ihren gesamten wissenschaftlichen und praktischen Zielen ist vielleicht tatsächlich verflucht.«
»Tatsächlich verflucht, oder nur vielleicht verflucht? Das zu wissen ist wichtig«, fragte Jewgeni Pawlowitsch.
»Verflucht, verflucht, tatsächlich verflucht!« versicherte Lebedjew hitzig.
»Übereilen Sie sich nicht, Lebedjew; Sie sind morgens immer viel gutmütiger«, bemerkte Ptizyn lächelnd.
»Aber dafür bin ich abends offenherziger! Abends bin ich vertraulicher und offenherziger!« rief Lebedjew, sich mit Lebhaftigkeit zu ihm wendend. »Aufrichtiger und bestimmter, ehrlicher und achtbarer; und wenn ich euch auch allen damit ins Gesicht schlage, das ist mir ganz gleichgültig. Jetzt fordere ich euch alle heraus, euch Atheisten alle: wodurch werdet ihr die Welt retten, und wodurch habt ihr für die Welt den rechten Weg gefunden, ihr Männer der Wissenschaft und der Industrie, die ihr immer von Verbänden und Arbeitslöhnen und solchen Dingen redet? Wodurch? Durch den Kredit? Was ist das für ein Ding, der Kredit? Wohin wird euch der Kredit führen?«
»Sind Sie aber mal neugierig!« bemerkte Jewgeni Pawlowitsch.
»Meiner Ansicht nach ist jeder, der sich für solche religiösen Fragen nicht interessiert, ein geckenhafter Hohlkopf!«
»Aber der Kredit hat doch die Wirkung, die Interessen solidarisch zu machen und ins Gleichgewicht zu setzen«, bemerkte Ptizyn.
»Weiter aber auch nichts, weiter nichts! Von irgendeiner sittlichen Grundlage ist dabei nicht die Rede, sondern nur von einer Befriedigung des persönlichen Egoismus und des materiellen Bedürfnisses. Der allgemeine Friede, das allgemeine Glück soll durch die Befriedigung des Bedürfnisses herbeigeführt werden? Wenn ich mir die Frage erlauben darf: verstehe ich Sie da auch recht, mein Herr?«
»Aber es ist doch ein allgemeines Bedürfnis, zu leben, zu essen und zu trinken, und die wissenschaftlich völlig feststehende Überzeugung, daß dieses Bedürfnis nur durch einen allgemeinen Zusammenschluß und eine Solidarität der Interessen befriedigt werden kann, ist, wie mir scheint, ein Gedanke von hinreichender Kraft, um als Stützpunkt und ›Quelle des Lebens‹ für künftige Jahrhunderte der Menschheit zu dienen«, bemerkte Ganja, der jetzt im Ernst hitzig geworden war.
»Das Bedürfnis zu essen und zu trinken, das heißt also nur der Selbsterhaltungstrieb ...«
»Genügt etwa der bloße Selbsterhaltungstrieb nicht? Der Selbsterhaltungstrieb ist doch das Fundamentalgesetz der Menschheit ...«
»Wer hat Ihnen das gesagt?« rief auf einmal Jewgeni Pawlowitsch. »Daß er ein Gesetz ist, das ist richtig; aber fundamental ist dieses Gesetz nicht in höherem Grade als das Gesetz des Zerstörungstriebes und vielleicht auch als das vom Trieb der Selbstzerstörung. Besteht denn etwa das ganze Fundamentalgesetz der Menschheit einzig und allein im Selbsterhaltungstrieb?«
»Ah!« rief Ippolit, indem er sich schnell zu Jewgeni Pawlowitsch hinwandte und ihn mit scheuer Neugier betrachtete; aber als er sah, daß dieser lachte, lachte er ebenfalls, stieß den neben ihm stehenden Kolja an und fragte ihn wieder, was die Uhr sei; ja, er zog sogar Koljas silberne Taschenuhr selbst zu sich heran und blickte eifrig nach den Zeigern.
Dann streckte er sich, wie wenn er alles vergessen hätte, auf dem Sofa aus, legte die Hände