Название | Braco - kleiner Bruder, großer Engel |
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Автор произведения | Anina Toskani |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748599494 |
Noch immer erinnere ich mich gern an die Schulzeit am Gymnasium in Düren. Da waren Deli und ich noch glücklich, ja fast überglücklich gewesen. Wenn sie oft stundenlang, mit Näharbeiten auf dem großen Schneidertisch, saß und die Beine herunterbaumeln ließ, saß ich oft, in unserem großen Badezimmer der Altbauwohnung, in Norddüren, zu ihren Füßen und lauschte, denn Deli erzählte mit ihrem typisch Kölschen Humor im Kölschen Dialekt lustige Geschichten vom Land und Omas Bauernhof, was da alles mit Kühen, Schweinen, Hühnern und den Knechten und Mägden und den vielen Dorfkindern vorgefallen war. Bei meinen Freundinnen und sogar bei den Lehrern am Gymnasium war Deli sehr beliebt, denn sie war immer gern auf Schulausflügen dabei und machte mit uns im Sommer Radtouren über Land zum Freibad oder zum Bauernhof ihrer Zwillingsschwester in der Umgebung von Düren. Ihre Fröhlichkeit war einfach ansteckend. Umso mehr lastete nun ihre Trübsal und Verzweiflung auf meinem Gemüt, denn so hatte ich meine geliebte Mutter nie in Erinnerung gehabt.
Ihre Versteinerung und der Starrsinn arteten nun, als sie auf die 90 zuging, immer mehr in eine totale Ablehnung des Lebens, schlimmer als jede Wehrdienstverweigerung, die durch Zivildienst abzuleisten wäre. Erst viel später sollte ich, in der Geriatrie der psychiatrischen Klinik, noch vielen ähnlichen Fällen begegnen, die vom Altersstarrsinn wie besessen waren und konstant nein zu ihrem täglichen Leben sagten, ganz gleich, wie es ihnen ging.
Zwar hatte mir Delis Zwillingsschwester, meine Patin, Tante Tinni, schon ab und zu gesagt, dass Deli schon als Kind zu Absonderung und Melancholie neigte, wenn sie stundenlang im Garten, ganz allein, ihren Tränen im Kummer freien Lauf ließ, aber das war nie ein Anlass zur Sorge gewesen, so wie jetzt. Eigentlich waren die Zwillinge fröhlich und unbeschwert auf dem Land großgeworden. Gelegentlich sah es, auch in meinem Inneren, düster, ja zappendüster, aus: Hoffnung und Verzweiflung wechselten einander ab, wie das Auf und Ab einer Achterbahn. Fand ich jemand, der mich unterstützen konnte, um meinen Berufsalltag und die Betreuung Delis besser zu bewältigen, war die Freude groß, aber nie von langer Dauer. Nach und nach kündigten alle, die ich zu Hilfe holte, den Job oder warfen kurzerhand das Handtuch: Die Putzhilfen, der Pflegedienst und gelegentlich auch ich selbst, wenn die Wand des Starrsinns nicht mehr zu durchbrechen war.
Tinni, links, und Deli mit drei Jahren
Unsere Ärztin konnte leider auch keine Hausbesuche machen, wenn Deli nicht in der Verfassung war, zu ihr zu gehen, denn ihre Praxis war überfüllt mit Kranken. Der benachbarte Pflegedienst stellte nach 10 Tagen einfach seinen Service ein, weil Deli aggressiv auf stets wechselnde Pfleger/innen reagierte und zuletzt dem Mann mit dem knallorangefarbenen T-Shirt, der, morgens um 8 Uhr, an der Tür klingelte, um sie an die Medikamente zu erinnern, nicht hereinließ: sie hielt ihn, wie sie mir später erzählte, schlicht und ergreifend für ein Mitglied der gefährlichen, asiatischen Bettel-Sekte, mit den orangefarbenen Kutten, die bei älteren Damen und Hausfrauen gelegentlich an der Tür hausieren. Als sie mir dies aufgebracht schilderte, musste ich schmunzeln. Insgeheim freute ich mich über ihren gesunden Menschenverstand. Ein Betrüger an der Haustür hätte bei Deli nie eine Chance gehabt. Im Alltag war sie klar im Kopf trotz der merkwürdigen Alzheimer Dämonen!
Zu alledem war sie, weder auf den Kopf, noch auf den Mund gefallen, wenn es um ihre Freiheit und ihre Selbständigkeit ging. Ich, dagegen, war inzwischen mit meinem Latein am Ende und mit meinen Kräften auch. Burnout nannte der Arzt diesen Zustand, wenn man morgens ebenso müde und zerschlagen aufsteht, wie man am Abend ins Bett gefallen ist. Ab und zu hatte ich regelrechte Schwächeanfälle, bekam dazu die letzten Winter mehrmals eine langwierige Lungenentzündung und verlor schließlich täglich ein halbes Pfund Körpergewicht. Der Hausarzt notierte es mit Kopfschütteln und großer Besorgnis. Er redete mir ernsthaft ins Gewissen, ich solle ein Pflegeheim finden, sonst sei ich noch vor meiner Mutter im Grab und schaute mir dabei, ernsthaft besorgt, tief in die Augen.
Ein Pflegeheim wollten weder Deli noch ich akzeptieren, denn ich liebte und versorgte sie genauso wie sie mich lange Jahre, als ihr einziges Kind, immer beschützt, versorgt und verwöhnt hatte. Pflegeheim? Nein! Das wollte und konnte ich ihr nicht antun! Das wäre der allerletzte Ausweg, wenn gar nichts mehr ginge. Wie sollte ich Deli auch ohne ihr Einverständnis dazu bringen. Gedankenschwer und müde, saß ich eines Abends, nach einem anstrengenden Arbeitstag vor meinem Computer daheim und hangelte mich auf dem youtube Kanal zur Ablenkung von den Alltagsproblemen durch eine Reihe von Videos erwachter Meister, deren Weisheit mich oft tröstete, wenn ich einfach nicht mehr weiterwusste. Teilweise lauschte ich dem Sat-sang von Mooji oder interessanten Gesprächen mit Sathguru. Doch, gaben mir beide keine Tipps zu unserer häuslichen Situation mit Alzheimer Dämonen, Depression und Panikattacken.
Als ich müde vor mich hin döste, poppte in der Vorschlagsliste ein Video auf, das einen Mann mittleren Alters mit halblangen dunklen Haaren und ein paar Silbersträhnen zeigte. Er trug ein weißes Hemd und seine dunklen Augen blickten mich intensiv an. Sein Blick schien tiefer zu gehen als der Blick normaler Menschen. Etwas in seinen Augen faszinierte mich, das erregte meine Neugier und hielt mich ab, wegzuschauen. Seine Augen zogen mich magisch in den Bann. Ich klickte auf das Video und saß dann fasziniert vor Braco‘s gebendem Blick. Mir kam das Gefühl, ich könne mich gar nicht sattsehen an seinem Blick, einfach unglaublich! Meine Augen schienen an seinen zu kleben. Ich wunderte mich maßlos und schaute das Video gleich mehrmals hintereinander an. Angestrengt versuchte ich zu begreifen, was Braco, der "kleine Bruder“, da eigentlich tat.
Aufgrund meiner Hypnose-Ausbildung, hielt ich seine faszinierende Ausstrahlung für eine Art Hypnose. Doch, selbst bei professionellen Hypnotiseuren, hatte ich noch nie eine so tiefe innere Ruhe erfahren wie hier. In den sieben Minuten seines Blicks konnte er spürbar eine Seelenverbindung herstellen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich dieses Video mit Braco‘s Blick anschaute. Ich verbrachte eine ganze Weile damit und kehrte auch an den nächsten Abenden wieder zu Braco’s Blick zurück. Manchmal hatte ich dabei den Eindruck, als schiene die Welt für einen Moment stillzustehen, so, als würden Planetenbewegungen angehalten und das Universum befände sich im Haltezustand, komisch! Ich spürte und sah deutlich, wie silbrig-weißes Licht zu mir kam, das irgendwie lebendig vibrierte und meine Energie veränderte. Der ganze Raum um mich herum schien irgendwie in dieser Vibration lebendig zu werden. Ich staunte, beobachtete und spürte, wie sich meine Stimmung hob und die trüben Gedanken nach und nach wie vom Wind weggeblasen erschienen. Als das geschah, wurde ich so neugierig auf Braco, der mir unverwandt seelenruhig in die Augen blickte, dass ich anfing nachzuforschen, wer er war und, was es mit diesem magischen Blick auf sich hatte. Ich las über ihn und seine Vergangenheit mit dem Propheten Ivica. Seitdem hat mich Braco’s Blick nicht mehr losgelassen. Ich saß noch bis in die Puppen vor dem Computer, konnte mich nicht abwenden und bestaunte die Heilungszeugnisse der Besucher seiner weltweiten Veranstaltungen.
Das geschah im Frühjahr 2013, als ich wirklich, mit meinem Latein und meinen Nerven, völlig am Ende war und nicht wusste, wie ich die störrische Deli und ihre Bedürfnisse noch mit meiner Ganztagsarbeit inklusive der unbezahlten Überstunden und dazu unsere beiden kleinen Singlehaushalte unter einen Hut bringen sollte. Deli weigerte sich immer mehr, vor die Tür zu gehen. Sie saß nur noch mürrisch auf der grünen alten Velourcouch und grübelte über das Sterben nach. Auf vernünftige Ratschläge hörte sie schon lange nicht mehr.
An den nächsten Tagen vertiefte ich meine Braco-Forschungen und gelangte irgendwann an einen Punkt der inneren Einkehr, von dem es kein Zurück mehr gab. Ich spürte, dass etwas Besonderes am Werke war, eine Art Engel-Energie, die mein Leben intelligent neu zu organisieren und neue Prioritäten zu setzen schien. Alles, was ich in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte, Operngesang, Bücher und meine Sehnsüchte und Träume, alles blieb auf der Strecke durch den Dschungel des Alltags mit Deli und den Dämonen. Es kam mir oft vor, als sei mein normales Dasein in einen Abgrund oder eine Bergspalte gerutscht und mir einfach so durch die Finger geglitten, in eine dunkle Ungewissheit, von der ich nicht wusste, wann sie enden würde.
Ich war schon erschöpft durch den Vollzeitjob für ein Team aus zwei Chefs