Rückkehr nach Strapen. Stefan Raile

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Название Rückkehr nach Strapen
Автор произведения Stefan Raile
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748560494



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ich folge ihm. Ein Kellner eilt uns entgegen. Er führt uns zu einem reservierten Tisch. Während wir uns setzen, wedelt er mit seinem Tuch über die weiße Decke. „Was darf‘s sein?“

      „Trinkst du ein Bier?“, fragt Mergelt.

      „Ja, das kann ich jetzt vertragen.“

      „Und was hältst du von Wildschweinbraten?“

      „Eine Menge.“

      „Ein Pils, eine Cola“, bestellt er, „und zwei ordentliche Stücke vom Borstentier.“

      Der Kellner bringt die Getränke rasch. „Zum Wohl.“

      Ich trinke. „Schmeckt. Aber das Budvár-Bier war besser.“

      Mergelt lächelt. „Dein Gedächtnis ist wirklich erstaunlich. Du denkst doch an den Abend nach eurem ersten Schießen?“

      „Genau daran“, bestätige ich.

      Beim Appell wurden die Namen der besten Schützen verlesen. Aus unserer Gruppe gehörten neben Dudky, Bahle sowie Kambert auch Sigi und ich dazu. Man fuhr uns zum „Jagdhaus“. Unterwegs prophezeite Jörg: „Das wird ‘ne Schlemmerei, Männer. Und ich will Jesus heißen, wenn der Alte nicht ‘nen Trupp Miezen eingeladen hat.“

      Er sollte recht behalten. Wir hängten gerade unsere Schirmmützen an die Garderobe, als draußen ein Bus vorfuhr. Zwei Dutzend Mädchen stiegen aus. Es waren Facharbeiterinnen aus einer nahen Weberei. Sie setzten sich in kleinen Gruppen zwischen uns an die beiden Tafeln.

      Zum Abendbrot wurden Platten gereicht, und es gab Flaschenbier aus Ceské Budejovice.

      In einer Ecke entdeckte ich drei Musiker. Sie rückten ihre Instrumente bereit. Die hätte man sich sparen können. Dachte ich. Immer dieser Ringelpietz!

      Dudky, der links von mir saß, war anderer Ansicht. „Hoffentlich greifen die Jungs bald in die Saiten“, meinte er. „Mir zucken schon die Beine.“

      Sobald nach dem Essen die ersten Musiktöne im Raum schwangen, sprang er auf und holte eine Schwarzhaarige.

      Bei der nächsten Tour füllte sich die Tanzfläche. Das Trio spielte einen Tango, über uns erloschen die Lichter, ein paar rötliche Lichter glommen noch an den Seitenwänden und verbreiteten schummrigen Schein. Dudky ging auf Tuchfühlung, die Brünette schmiegte sich an ihn. Bahle hingegen hielt Abstand, er hielt sich so unnatürlich gerade, dass es aussah, als stützte ein Brett seine Wirbelsäule. Doch nicht nur dadurch stach er von den Übrigen ab. Er trug auch das blankste Koppel, seine Haare glänzten, dass man sich beinah darin spiegeln konnte, und ein intensiver Duft nach Pomade sowie Eau de Cologne umgab ihn. Unterwegs hatte Dudky gesagt: „Du riechst wie ein halbes Freudenhaus!“

      Nach einiger Zeit wurde Sigi unruhig, er rangelte auf seinem Stuhl.

      Ich fragte: „Möchtest wohl auch schwofen?“

      „Nicht unbedingt“, erwiderte er. „Mir gefällt nur nicht, dass einige Mädchen rumsitzen. Sie müssen uns doch für totale Nieten halten.“

      „Dann schmeiß dich mal ran“, riet ich. „Oder hindert dich was? Deine Regina sieht es doch nicht. Außerdem kann ein Tänzchen in Ehren dir niemand verwehren.“

      „Hast recht“, stimmte er zu. „Warum soll ich Trübsal blasen?“

      Er tanzte sicher. Bestimmt war er in einer Tanzschule, dachte ich. Auch ich hatte eine besucht, erinnerte mich aber ungern daran. Es lag an Lieselotte. Sie war sehr hübsch, und es schmeichelte mir, dass ich ihr ebenfalls gefiel. Als sie mich fragte, ob ich mit ihr zum Abschlussball gehen möchte, sagte ich sofort zu. Auf dem Heimweg nach der gelungenen Festveranstaltung lud sie mich fürs folgende Wochenende zu sich ein. Der Kaffee war gut, auch der von ihrer Mutter gebackene Kuchen. Weniger schmeckte mir, dass sie sich gleich mit mir verloben wollte. Ich ließ mich nicht wieder bei ihr sehen.

      Sigi tanzte vorbei und lächelte mir aufmunternd zu. – Gib dir keine Mühe, Kumpel, bei mir ist‘s sinnlos.

      Ich trank etliche Schlucke. Während ich das Glas absetzte, bemerkte ich, dass ein blondes Mädchen von der anderen Tafel herüberschaute. Gaff ruhig, dachte ich. Damit lockst du mich nicht. Keine schafft das.

      Werner Kambert rutschte auf den Platz neben mir. „Das Bier ist große Klasse“, sagte er. „Die Tschechen verstehen sich aufs Brauen. Man müsste einige Pullen schnappen und sich in eine Ecke zurückziehen. Was hältst du davon?“

      „Nichts“, erwiderte ich, obwohl ich seinen Vorschlag keineswegs übel fand. Mich störte nur, dass er von ihm kam; denn ich hatte den Streich im Bahnhofsrestaurant und das Vorkommnis auf dem Taktikgelände nicht vergessen.

      „Was wäre dabei?“, fragte er.

      „Wir sind gewissermaßen dienstlich hier und haben Gäste“, sagte ich. „Das erfordert Rücksichtnahme.“

      „Ausgerechnet du musst so reden“, spottete er. „Bist du nicht oft genug aus der Reihe getanzt?“

      „Eben deswegen“, konterte ich. „Einmal muss Schluss sein!“

      „Ach“, staunte er, „und da fängst du hier an, wo du dich zum Gähnen langweilst?“

      „Mir macht das Zuschauen Spaß“, behauptete ich.

      „Mir nicht.“

      „Dann tanz doch“, riet ich. „In der Bahnhofsgaststätte hast du auch kaum eine Tour ausgelassen.“

      „Da war mir danach“, sagte er.

      „Jetzt nicht?“

      „Nein. Jetzt ist mir nach Trinken.“

      Der Tanz endete, Sigi kam zurück. „Ihr seid vielleicht Helden“, monierte er. „Sitzt da wie Miesepeter und starrt Löcher in die Luft!“

      „Hast du was dagegen?“, fragte Kambert.

      „Es macht nicht gerade den besten Eindruck.“

      „Wenn es so ist, räume ich das Feld. Ich muss sowieso mal raus.“ Er leerte sein Glas und stakste davon.

      „Was hat er denn?“, forschte Sigi.

      Ich hob die Schultern. „Keine Ahnung. Als Beichtvater würde er mich zuletzt auswählen. Aber was Ernstes wird‘s wohl kaum sein. Vielleicht hat seine Puppe einen andern.“

      „Das wäre schlimm genug. Ich werde mit ihm reden.“

      „Übertreib‘s nicht“, mahnte ich.

      Sigi goss sich ein, trank ein paar Schlucke, behielt das Glas in der Hand und betrachtete die Blume. „Vielleicht hast du erneut Recht“, sagte er. „Warten wir erst mal ab.“ Er schüttelte das Bier, es schwappte über den Schaum und löste sich langsam auf. Augenblicke beobachtete er, wie die letzten Flocken zerfielen, dann blickte er mich an, während er fragte: „Und bei dir ist‘s immer noch die alte Geschichte?“

      „Ja, immer noch.“

      „Ich will mich nicht einmischen“, sagte er, „aber ich finde dein Verhalten unnormal. Wenn dich eine enttäuscht hat, musst du nicht alle verachten.“

      „Tue ich‘s denn?“

      „Es sieht so aus. Und es fällt auf die gesamte Truppe zurück. Die Menschen neigen zum Verallgemeinern. Für sie sind nicht die Soldaten Bylak und Kambert schnöselig, für sie ist es die halbe Ausbildungskompanie.“

      „Hör auf! Bei mir brauchst du nicht den Natschalnik herauszukehren. Auf dem Ohr bin ich nämlich taub.“ Seit er FDJ-Sekretär war, kümmerte er sich um alles und fühlte sich für jeden verantwortlich. Dabei schoss er mitunter übers Ziel hinaus.

      Sigi biss sich auf die Lippe. „War nicht so gemeint“, lenkte er ein. „Komm, trinken wir was.“

      „Darf ich mich anschließen?“, fragte Mergelt, der plötzlich hinter uns stand.

      „Natürlich, Genosse Leutnant“, sagte