Schleuderkurs. Christina Hupfer

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Название Schleuderkurs
Автор произведения Christina Hupfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748561392



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denken. Wenn ich jetzt umkehrte, würde ich nicht peinlich berührt unserem Hausverwalter erklären müssen, warum die von ihm eingezogene Wohnnebenkostenjahresnachzahlung von meiner Bank wieder zurückgeholt worden war. Ich könnte alle meine Schulden auf einen Schlag tilgen. Ich könnte mich zur Feier des Tages in das vielgerühmte, mit einem Stern verzierte Restaurant am Marktplatz setzen, anstatt das günstige Essen in der Kantine zu mir zu nehmen und verstohlen die Hälfte für den Abend einzupacken.

      Was soll ich nur tun? Seit ich vor drei Tagen widerstrebend meinen Kontoauszug ausgedruckt und danach ungläubig die schwarze Zahl darauf angestarrt hatte, falle ich abwechselnd von euphorischen Höhen in die Tiefen dunkler Ängste. Sehe mich unbeschwert durch wilde Partys tanzen, in den teuersten Läden einkaufen und Gerd eine lange Nase drehen. Dann wieder schlägt mein Herz panikartig im Takt von ‚Aber, was wäre wenn?‘.Und ich frage mich gerade wieder: Wer hat mir diese fünfundzwanzigtausenddreihundertundfünf Euro und dreiundvierzig Cent, in Zahlen: 25305,43 Euro, überwiesen??? Aus den Nummern auf dem Auszug werde ich nicht schlau, auch wenn ich sie mir noch so oft ansehe. Und bis heute hat niemand diesen Betrag zurückgefordert. Gibt es tatsächlich Menschen, denen es nicht auffällt, wenn solche Summen von ihrem Konto verschwinden? Ich kann es mir nicht vorstellen. Die unruhigen Nächte vor und nach diesem unerwarteten Geldsegen stecken mir in den Knochen. Zuerst die Gedanken an eine drohende Armut, an das Ausgegrenzt sein. Nicht mehr mal schnell ein interessant wirkendes Buch kaufen, nicht mehr mit jemandem ohne zu überlegen einen Cappucino trinken gehen können. Ich müsste mir andauernd Ausreden überlegen. Das alles könnte ich mir ersparen. Und vor allem weitere unerfreuliche Gespräche mit Herrn Bäuerle.

      Oder es käme noch schlimmer. Was geschähe, wenn das Geld eines Tages doch noch vermisst würde?

      Aber wenn ich an die Summen denke, die man unseren Politikern, Fußballern und anderen Prominenten hinterher wirft! In solchen Kreisen kauft jemand vielleicht schnell mal ein Wohnmobil oder ein Segelboot, bei dem nur das Zubehör so viel wie ein Kleinwagen kostet. Der oder die merkt bestimmt nicht, dass seine Überweisung auf ein falsches Konto geraten ist und bezahlt wahrscheinlich nach einer Mahnung einfach noch mal. Und was kann mir schon passieren, wenn ich das nicht melde? Ich würde so gern diese Chance nutzen. Wenn ich dann trotzdem sparen würde, hätte ich die Summe vielleicht beisammen, bis der Fehler auffällt.

      Ja. Ich überlege noch einmal fieberhaft. Ich würde meine Schulden abbezahlen. Und vielleicht noch tausend Euro extra behalten, Den Rest würde ich auf einem Tagesgeldkonto parken. Und dann jeden Monat eine feste Summe sparen. Wie lange müsste ich…? Die Versuchung zieht mich mit Macht in Richtung Ausgang.

      Ich schaue auf die Uhr. In fünfzehn Minuten schließt die Bank. Es ist Donnerstag Abend. Ich könnte mir doch mit meiner Entscheidung bis Montag Zeit lassen?

      ***

      Genervt pfeffere ich die einzig verbliebene Tüte Gummibärchen mit dem sinnigen Aufdruck ‚Ihre Bank — immer für Sie da‘ in die Ecke. Mir ist schlecht von diesen Süßigkeiten, die ich gerade eben in mich hineingestopft habe. Aber die zerfetzten kleinen Tüten im Korb erinnern mich an die Igelhaare meines Beraters, die, als er mir meinen Dispokredit genehmigte, beifällig mitnickten. Und an die hilflose Wut, mit der ich mir währenddessen die Taschen mit den verfluchten Gummibären vollgestopft hatte. Bald ist Wochenende. Das fünfte ohne Gerd. Vor kurzem war ich noch seine anmutige Gazelle, die er gerne überall vorgezeigt hatte. Was ich, entwöhnt aller Lagerfeuerromantik und des Jeanslooks meiner Jugend, ausgiebig genossen hatte. Vorbei!

      Ich muss immer noch gewaltsam die Tränen unterdrücken wenn ich dran denke, wie er es mir beigebracht hatte. Nach dem Abendessen, das er sich noch schmecken ließ, hatte er mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Er hatte sich das alles schon fein ausgedacht. Angewidert von meinem verheulten Gesicht nahm er seine Autoschlüssel und öffnete die Wohnungstür.

      „Es tut mir leid, aber Bille hat mich einfach umgehauen. Sie ist so tough, so sportlich und verwegen.“ Keine so zimperliche Heulsuse wie du, Paulina. Das sagte er zwar nicht, aber ich sah ihm an was er dachte, und wie es ihn drängte, zu verschwinden.

      Ich darf nicht an diese eingebildete fette Kuh aus der Marketingabteilung denken. Warum musste die vor ein paar Monaten ausgerechnet bei uns anfangen?! Sybille Müller-Oberbauer! Ha! Aber, wenn ich ehrlich bin: sie ist nur nicht ganz so knochig wie ich. In ihrem Beruf funktioniert sie tadellos und kleiden kann sie sich perfekt. Dass ich Gerd jeden Tag in der Firma begegne, trägt auch nicht gerade zur Besserung meiner Verfassung bei. Und es ist nicht das erste Wochenende, an dem ich kurz davor bin, ihn anzurufen. Obwohl ich mir, verlassen, gedemütigt und gekränkt, geschworen hatte, das nie zu tun. Aber an wen soll ich mich denn sonst wenden? Der Besuch vorher in der Werkstatt hat mir den Rest gegeben. Wenn ich gehofft hatte, der Händler würde mir Kulanz geben und den, wie ich dachte, kleinen Schaden an meinem Auto umsonst reparieren, so hatte ich mich bitter getäuscht.

      „Weiber“, höre ich den Mechaniker noch immer knurren. Können nicht mal den richtigen Sprit tanken. Das kostet!“

      Dabei bin ich mir sicher — na ja, zu neunundneunzig Prozent — dass ich nichts falsch gemacht habe. Ratlos lasse ich meinen Kopf auf den Esstisch sinken. Jetzt komme ich auch MIT dem Kredit an die Grenzen meiner Berechnungen. Mit diesem unerwarteten Geldsegen auf meinem Konto jedoch…

      Miri, ich muss Miri fragen!

      Aber meine beste Freundin kann und will ich nicht einweihen. Sie hat sich erst vor kurzem mit ihrer Erfindung selbständig gemacht, sich dabei finanziell weit aus dem Fenster gelehnt, und reist nun gerade in der ganzen Republik herum, um Aufträge zu ergattern.

      „Paulina, wenn der Laden mal läuft, dann kommst du zu mir!“, hatte sie zu mir gesagt. Aber so weit ist es noch lange nicht. Ich würde sie nicht mit meinen Problemen behelligen. Dazu kommt, dass sie nicht verstehen kann, warum ich mich mehr und mehr aufgegeben und so sehr an Gerd und seinen Lebensstil angepasst hatte. Und es ist mir peinlich, weil ich langsam, sehr langsam, einsehe, dass sie Recht hatte.

      Papa. Es bleibt mir nichts anderes übrig.

      Ich werde ihn anrufen müssen. Jetzt gleich! Er will schon in drei Tagen losfahren. Seine erste große Reise. Für ihn als Alleinerziehenden und kleinen Handwerker war nie mehr drin als Radtouren und Wanderungen von Jugendherberge zu Jugendherberge. Meine Klassenfahrten mussten schließlich auch finanziert werden, und was er sonst noch alles für nötig hielt, um seiner Tochter die viel zu früh verstorbene Mutter zu ersetzen. Gut, da gab es schon mal eine Mary, die das mit Torten und Hausmütterchengehabe versucht hatte, und ich denke schuldbewusst an eine Ursula, die ich ebenfalls vergraulte. Isabel dagegen, die mich zuerst mit modischen Fähnchen bestach, stellte ganz schnell fest, dass Selbstständigkeit nicht zwangsläufig mit Reichtum einhergeht, und hatte selbst die Flucht ergriffen.

      Lange Zeit dachte ich, er legt keinen Wert mehr auf weibliche Einengung seiner gut eingerichteten Lebensweise, aber nun will er mit Elfi, seiner neuen Bekannten aus dem Fotoworkshop auf diese verrückte Abenteuerreise gehen.

      Papa! Er ist meine letzte Rettung. Ich sehe unsere alte Wohnung vor mir. Zwei Zimmer. Das Große enthielt sein Schlafsofa, auf dem wir oft vor dem Fernseher kuschelten, seinen Schreibtisch mit den überquellenden Ordnern, an dem er oft bis spät in die Nacht saß und sämtliche Bürohengste verwünschte, die Essecke, an der ich über meinen Hausaufgaben schwitzte.

      Das etwas kleinere war mein Reich. Meine Märchenburg, mein Abenteuerspielplatz, mein Musikstudio, mein Studierzimmer. Nach meinem Auszug wurde es zum Schlafzimmer meines Vaters, und als ich ihn das letzte Mal besuchte, waren da schon überall Spuren dieser Elfi.

      „Weißt du, Paulina“, hatte er verschämt zu mir gesagt. „Ich komme mir vor wie ein junger Bengel. Aber wir wollen es langsam angehen. Wenn wir uns nach dieser Reise noch ausstehen können…“ Er wurde tatsächlich rot. Und ich muß kurz lächeln als ich daran denke. Er war so voller Vorfreude.

      Und jetzt komme ich mit meinen Problemen daher. Ich weiß, was er mir raten wird. Und ich weiß auch, er wird mir helfen. Er wird bestimmt alles noch mal verschieben können und mir mit einem Teil des Geldes unter die Arme greifen, bis ich eine Lösung gefunden habe. Ich muß eine Lösung finden!

      „Ja,