Название | Die Zwanzigste Stunde |
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Автор произведения | Thomas Riedel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783748552109 |
Niemand achtete auf ihn, während er sich durch die Menge schlängelte. Der Abend war viel zu fortgeschritten, als dass man einem noch so sorgenvoll aussehenden jungen Mann, der seine Garderobe nicht abgegeben hatte, Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
Robert erblickte den Gesuchten.
Straightbolt saß auf einem hohen Schemel an der Bar, umgeben von mehreren Gentlemen. Der eine war Bruce, der Besitzer des Lokals, ein anderer der Oberkellner, die übrigen waren ungepflegte, übernächtigt aussehende junge Leute, die belustigt zu sein schienen. Bruce und der Oberkellner trugen eine gläserne Miene zur Schau, wie es der Fall bei solchen Menschen ist, wenn ihnen ein wertvoller Kunde Unannehmlichkeiten bereitet.
»Alle sollen etwas trinken«, sagte Dwayne betont würdevoll.
»Gewiss, Mr. Straightbolt, gewiss«, beschwichtigte Bruce.
»Und sie sollen alle an der Bar sitzen, schön der Reihe nach … Los, Bruce, mein Freund, holen Sie sie her!«
Es mochten sich an die hundert Personen im Vorraum befinden. Die Lage war schwierig. Wenn Bruce sich weigerte, dem Wunsch seines Gastes nachzukommen, würde Dwayne ungemütlich werden. Kam Bruce seinem Befehl nach, so würde er, wenn er erst einmal nüchtern war, wegen der hohen Rechnung toben.
Robert näherte sich und legte seine Hand auf Dwaynes Arm.
Wütend fuhr dieser herum, um den neuen Störenfried tüchtig anzuknurren.
Aber Robert ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Dwayne! Ich muss mit dir unter vier Augen sprechen!«
»Ausgeschlossen«, erwiderte Dwayne. »Unter gar keinen Umständen gebe ich vor dem frühen Morgen Audienz.«
»Komm' zur Besinnung, Dwayne!«, erwiderte Robert scharf.
Dwayne rutschte von seinem Schemel herunter und breitete seine Arme aus. »Oh, und wie ich mich besinne, mein Sohn. Oh, ja, ich besinne mich! Aber lass' dir einen guten Rat geben …«
»Ich brauche keinen guten Rat«, unterbrach Robert ihn rau. »Ich habe mit dir zu reden. Auf der Stelle! Und zwar unter vier Augen!«
Dwayne schaute blinzelnd in den raucherfüllten Raum. »Hier sind zu viele Augen.« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Der Waschraum! Eine hochvornehme Sache. Waschräume gibt's in den meisten Pubs nicht … Los, komm!« Er griff nach Roberts Arm.
»Zigarren? Zigaretten?« Ein Mädchen mit einem Tablett stellte sich vor Dwayne auf und schaute ihn lockend an.
»Gerne, mein schönes Kind. Eine Schachtel ›Wild Woodbine‹, eine Schachtel ›Old Judge‹, dann noch eine Schachtel ›Craven A‹ …«
»Um Himmels willen, komm endlich!«, drängte Robert. »Lass' doch diese Komödie!«
Dwayne lächelte das Mädchen an. »Nachher, mein schönes Kind.« Er versetzte ihr einen unsittlichen Klaps, als sie weiterging.
*
Sie schritten die Stufen hinunter.
Im Waschraum ließ Dwayne Wasser in ein Becken laufen und fing an sich die Hände zu waschen.
»Höre, Dwayne«, begann Robert, »wir haben Margaret gefunden.«
»In welcher Opiumhöhle hat sie sich versteckt?«, fragte Dwayne, sich die Hände einseifend.
»Schön, wenn es so einfach wäre«, meinte Robert und musterte ihn. »Du wirst dich fassen müssen, Dwayne.«
»Warum?«
»Margaret ist tot. Sie wurde ermordet.«
Dwayne fuhr herum, verlor das Gleichgewicht und sank gegen die Wand. Dort lehnte er, die Hände wie abwehrend ausgestreckt, sodass das Seifenwasser auf den Boden tropfte. »Das ist eine höllische Art, einen nüchtern zu machen«, stöhnte er.
»Es ist aber wahr. Sie wurde erwürgt. Ich fand ihren Leichnam auf der hinteren Bank von Darlenes Landauer. Scotland Yard hat mich geschickt, dich zu suchen. Wir sollen in die Wohnung der Newdales kommen.«
Dwayne schüttelte den Kopf, als hätte man ihm einen Schlag versetzt. »Mord?« Ungläubig starrte er Robert an. »Das ist wirklich kein übler Scherz von dir?«
»Mir wäre wohler, wenn es einer wäre.«
»Bei Gott!« Dwayne trocknete seine Hände ab und schaute in den Spiegel. Er zog die Lider herunter und betrachtete seine blutunterlaufenen Augen. »So etwas …«, murmelte er. »Das ist wirklich ein Gespräch ohne Zeugen, Robert … Aber lass' uns jetzt gehen.«
*
Von allen Seiten eilte man dienstbeflissen herbei, als sie wieder oben auftauchten. Diensteifrig brachte der Oberkellner Dwaynes Mantel und Zylinder aus der Garderobe.
Bruce half ihm in den Mantel und winkte unwillig ab, als Dwayne ihm einen Scheck ausstellen wollte. »Ein anderes Mal. Ihr Kredit ist unbegrenzt.« Für ihn war es wichtig, dass er sein Etablissement schnellstens verließ. »So hab' ich ihn noch nie gesehen«, flüsterte er Robert zu. »Er muss bei Pferdewetten ordentlich verloren haben oder sonst etwas.«
*
Der Portier winkte ein ›Hansom Cab‹ heran.
»›Boyton Road‹ 91«, wies Robert den Kutscher an und ließ sich neben Dwayne auf der Bank nieder.
»Nein!«, widersprach der. »›Cobham Road‹ 21. Und zwar rasch!«
Der Mann mit dem Zylinder auf dem Kutschbock zeigte sich geduldig. »Entschließen Sie sich, Gentlemen.«
»Sie kutschieren in die ›Cobham Road‹ 21«, knurrte Dwayne. »Und wenn du dich nicht fügst, Robert, kannst du dir ein anderes Cab nehmen.«
Der Einspänner setzte sich in Bewegung.
»Ist das nicht Rachel Evermers Adresse?« Robert sah ihn schräg von der Seite her an.
»Richtig erraten«, erwiderte er.
»Sie ist aber nicht zu Hause«, erklärte Robert. »Sie ist bei Darlene.«
»Wetten, dass sie nicht bei Darlene ist?«
»Ich beschwöre dich, Dwayne. Sie ist bei Darlene!«
In der ›Meads Road‹ musste die Kutsche kurz halten, da ein anderes Gespann kreuzte.
»Du kannst ja aussteigen, wenn du nicht mitkommen willst«, bemerkte Dwayne. »Wechsel nur die Pferde mitten auf dem Weg!«
Robert zuckte die Schultern und setzte sich zurück. Es war wichtig, Dwayne zu den Newdales zu bekommen. Flanders hatte sich großzügig gezeigt und Darlene die Möglichkeit gegeben, ihre Familie selbst von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, und ihn ausgesandt, Dwayne zu suchen, ohne ihm die Polizei auf die Fersen zu hetzen. Außerdem hatte er es bis jetzt vermieden, die Presse zu benachrichtigen.
*
Zehn Minuten später hielt das ›Hansom‹ in der ›Cobham Road‹ vor der Hausnummer 21.
»Warten Sie«, befahl Robert dem Mann auf dem Kutschbock. »Wir brauchen Sie noch.«
Gemeinsam betraten sie den Vorraum des großen Wohnhauses. Der Nachtwächter betrachtete Dwayne, der wie ein Baum in starkem Wind schwankte, voll Misstrauen.
»Miss Rachel Evermer«, sagte Dwayne.
»Miss Evermer ist nicht da.«
»Unmöglich«,