Die Pyrenäenträumer - Band 2. Wolfgang Bendick

Читать онлайн.
Название Die Pyrenäenträumer - Band 2
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия Zu Wasser und zu Lande
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750216471



Скачать книгу

das Fahrzeug passte! Am schönsten erschienen mir die Stände, die vorne mit einer Plane geschlossen waren, vielleicht noch mit einem Bild oder Inschrift darauf und so die dahinter gelagerten Kisten verbargen. Das gab mir neue Ideen, den eigenen Warenstand zu verbessern und vor allem zu verschönern, denn schöne Stände fielen, ebenso wie die hässlichsten ins Auge!

      Ich hatte einen Campingsessel mitgebracht, worin ich es mir dann bequem machte, in Erwartung des Kommenden. Und der erste der kam, war der Platzwart, der Garde Champêtre, wie er sich vorstellte. Er wollte wissen, ob ich mich für den Markt eingeschrieben hatte. Natürlich hatte ich das nicht. Wie hätte ich das überhaupt wissen sollen? Und wie ich von den anderen Händlern erfahren hatte, waren auch sie so gekommen. Es war ja überall angeschrieben, dass heute der große Markt war! Als er dann meinte, in diesem Fall müsste ich wieder einpacken, wurde ich etwas laut. Darauf kamen die Nachbarn mir zu Hilfe und meinten, auf einem öffentlichen Markt hat jeder das Recht, sich zu installieren! Etwas kleinlaut verlangte er nun die Länge meines Standes und ließ mich 20 Francs Standgebühr zahlen. Dann ging er, den nächsten abkassieren. „Bist du nicht von hier?“, fragte mich einer der Händler. „Doch!“, sagte ich und zeigte auf mein Holzschild, „von Augirein!“ „Der Gauner! Der weiß genau, dass die aus dem Kanton keine Standgebühr zahlen müssen und kassiert dich trotzdem ab!“

      So langsam belebte sich die Straße. Ein paar Passanten kamen näher, es war Feiertag und Franzosen lieben es, am ersten Mai Maiglöckchen zu kaufen. Das hatte sich der Junge vom Kramladen zu Nutze gemacht und verkaufte aus einer umgehängten Kiste Sträußchen mit Maiglöckchen. Er machte heute wohl das meiste Geschäft, denn oft verschwand er, um einen neuen Vorrat zu holen. Wo die wohl herkamen? Aus China, oder Marokko?

      Doch die Leute liefen vorbei. Sie schauten erst mal, was es alles gab, verglichen vielleicht auch die Preise, die inzwischen jeder angeschrieben hatte. Gingen vielleicht mit ihren Kindern erst mal die Schafe am Platz hinter der Schule streicheln. Ich setzte mich wieder hin. Wahrscheinlich würden die Leute erst auf dem Heimweg etwas kaufen! Ein paar Bekannte hielten an, probierten, wir diskutierten. Andere gesellten sich zu uns, man redete und probierte wieder. „Mach mir ein Stück fertig, ich hole es am Mittag ab!“, meinte dann einer. „Gib mir gleich eines, so 500 Gramm, dann vergesse ich es wenigstens nicht!“, sagte ein anderer. „Komisch!“, dachte ich, „wenn jemand am Stand steht, stellt sich bald noch einer dazu. Ich würde eher an einen anderen Stand gehen, um nicht warten zu müssen…“ Doch Zeit hatten sie heute anscheinend alle. Zeit zu einem Plausch, einer Zigarette, einem Glas oder zweien in der Kneipe…

      Die mich kannten, hielten fast alle an, auch wenn sie nichts kauften. Andere schauten nur von fern und fragten anschließend jemanden der mich verließ, wer das sei. „L’Allemand d‘Augirein! Tu le connais pas?“ Doch mit der Zeit kannten sie mich alle! Und mein Stand wurde zu einem Treffpunkt der Bauern und der Neos. So manchmal reichte mir einer einen Joint rüber und ich versuchte, ganz diskret einen Zug zu nehmen. „Was soll‘s!“, dachte ich, „die denken ja eh, dass wir den ganzen Tag nur kiffen!“ Heute jedenfalls rauchte ich nicht mit. Es war sozusagen die Generalprobe. Wenn diese gut ablief, würde auch in Zukunft alles wie geschmiert gehen!

chapter10Image1.jpeg

      Aber auch heute schon lief es gut! Gegen 11 Uhr überkam die Leute ein Kauffieber. Kleine Trauben bildeten sich vor den Ständen, die Verzweiflung der Marktleute war verschwunden, die Nasen blieben ungeputzt, die Filzläuse hatten ihre Ruhe! Zum Glück war Doris mit den Kindern gekommen, welche mit der Kleinen zu den Tieren liefen. Einer von uns schnitt ab, ließ probieren, der andere verpackte, wog, kassierte und unterhielt sich zugleich noch mit den Kunden, denn deren Neugier war langsam erwacht, vor allem, als sie ein Stück gekostet hatten. Sie stellten alle mögliche Fragen und wir luden sie ein, den Hof zu besuchen. Zum Glück kamen am Ende nur wenige zu uns hoch!

      Jemand vom Organisations-Komitee fragte nach einem Stück Käse für die Tombola um 13 Uhr. Wir gaben noch ein Gläschen Honig dazu. Irgendwer hatte Musik aufgelegt, die aus den überall in der Straße aufgehängten Lautsprechern plärrte. Das machte die Verständigung fast unmöglich, man musste schreien oder sich mit Zeichen verständigen. Aber irgendwie schuf das eine Jahrmarktstimmung, die auch mich nach dem zweiten Glas Wein von einem wohlmeinenden Nachbarn ergriff. Die Sonne schien, die wenigen Autos auf der Straße waren in der Menschenmenge gefangen, die Kinder zerrten quengelnd ihre Eltern zum Käsestand zurück, weil ihnen die Probe so geschmeckt hatte! Und irgendwann war der Tisch leer, bis auf ein paar Gläser Honig. Wir stopften das Papiergeld aus der Kasse in die Hosentasche, versteckten die Kasse unterm Tisch und schlenderten an den anderen Ständen vorbei zum Marktplatz, wo es einen Gratisaperitif gab und anschließend Preisverteilung. Der Credit Agricole, die Bauernbank, vergab Ölkanister mit Zweitaktöl an die Bauern, die die schönsten Herden hatten, Crama, die Bauernversicherung, verteilt Pokale für die schönsten Tiere. Dann kommt die Ziehung der Tombola. Der erste Preis ist ein Schinken, gestiftet von einem der lokalen Metzger, der zweite Preis unser halber Käse mit dem Glas Honig, gestiftet von ‚Le Pourteres‘ aus Augirein. Diejenigen, die uns erkannt haben, prosten uns zu. Und irgendwie fühlen wir uns plötzlich alle hier auf diesem Platz wie eine große Familie.

      Von nun an ging ich regelmäßig auf den Markt. Anfangs stellte ich mich nahe der Apotheke hin, da war auch eine Metzgerei und ein Restaurant mit Bistro, gut besucht, vor allem abends. Doch stank es hier herum dermaßen nach Urin, dass ich es vorzog, mich an das andere Ende des Marktes zu stellen. Der Markt fand jeden dritten Dienstag statt und 14 Tage später. Das war eine Regelung, die noch auf früher zurückging und die abzuändern kompliziert war, wegen des nationalen Märkte-Registers. Es kam vor, dass mal niemand da war und auch die Stammkunden nicht recht wussten, ob Markt war oder nicht.

      Im Sommer war an den marktfreien Dienstagen Markt in Sentein, einem Dorf am Ende des Biros-Tales. Auch hier gewöhnten sich die Einheimischen bald an unsere Anwesenheit. An Regentagen kam es vor, dass wir die einzigen Verkäufer waren, was die Anwohner damit belohnten, dass sie bei uns kauften. Auch der Kramladen vom Dorf nahm uns Käse ab. Hier diente ebenfalls die Hauptstraße als Verkaufsort als auch der angrenzende Platz. Meist waren es die gleichen Verkäufer, die auf diesen kleinen Märkten zusammenkamen, man machte Brotzeit zusammen, tauschte untereinander Waren aus. Kam mal einer zu spät, konnte er sicher sein, dass ihm die anderen seinen Platz freihielten. Bewässerungsgräben flossen entlang der Straße und verliefen sich dann in den Wiesen oder Gärten. Gestutzte Akazien gaben etwas Schatten und ermöglichten einem das Aufhängen von Bildtafeln. Außer der mit den Käsefotos hatten wir bald eine zweite mit Honig-Fotos. Inzwischen hatte ich eine wasserfeste Sperrholzplatte zurechtgeschnitten, die ich aber auf dem Dachträger des R 4 transportieren musste, ebenfalls den fast neuen Marktschirm mit breitem Klappfuß, den ich einem Kumpel, der mal Bonbon-Händler gewesen war, abgekauft hatte, der für ein Jahr im Dorf wohnte. Wochenlang aßen wir seine letzten Reste auf, wenn wir Jungen uns bei ihm trafen. Außerdem hatte ich jetzt auf dem Markt immer einen Wasserkanister mit Hahn dabei, um bisweilen das Messer zu waschen oder die Hände.

      Da wir auch hier in Sentein viele kannten, schon von früher von der Alm her, begrüßte man sich, wie üblich, mit Handschlag. Nur wir Neos unter uns begrüßten uns mit einer Umarmung. Da ich mir schlecht nach jedem Händedruck die Hände waschen konnte, machte ich es mir zur Gewohnheit, mit der rechten Hand den Käse zu schneiden und das Geld zu nehmen, mit der linken aber ausschließlich das Packpapier und den Käse anzufassen. Somit war ich sicher, keine Bakterien auf die Käse zu übertragen. Für einen Gegenüberstehenden war das gar nicht erkenntlich, außer er war Muselman. Aber die aßen ja sowieso keinen Käse. Ich kippte den abgeschnittenen Käsekeil von oben mit einem Finger leicht zur Seite, damit ich die Unterseite mit dem Daumen zu fassen bekam. So berührte ich nur die Rinde, nicht aber die Schnittfläche. Manche Käse- oder Fleisch-Verkäufer wollten ganz hygienisch erscheinen und zogen Latex-Handschuhe an. Doch dann berührten sie damit den Käse an den Schnittflächen, um ihn einzupacken, kassierten das Geld ein und gaben raus. Und schon war der nächste Kunde dran…

      Direkt hinter unserem Marktstand wohnte die alte Bäckerin, eine große Frau, die trotz ihrer 80 Jahre noch mit dem Fahrrad fuhr. Sie war eine der ersten, die zum Stand kam. Sie kaufte ein kleines Stückchen Käse, lebte sie doch alleine. Sie erzählte