Название | Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof |
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Автор произведения | Christoph Kessel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783745004892 |
Inselhüpfen nach Norden
Etappe: Von Inverness, Alba 57° Nord 04° West (GMT+1) nach Seydisfjörður, Ísland 65° Nord 14° West (GMT+0): 1.710 km – Total 4.470 km
Seydisfjörður, 5. September 2002
Dass in Großbritannien bei den Insulanern nicht alles so abläuft wie bei uns, habe ich mittlerweile besonders beim Bahn fahren bemerkt. So auch die Ankunft in Inverness: Wir sind zunächst im halben Bogen am Bahnhof vorbei gefahren, ehe der Zug mitten im Nichts anhielt und rückwärts in den Sackbahnhof schließlich einparkte. Zum Glück wollte der Lokführer nicht noch Wenden in drei Zügen üben. Da ich Nessie nicht durch Lärm erschrecken wollte, begab ich mit dem Velo auf die Suche nach dem unbekannten Wesen. Leider sind anscheinend manche Zweiräder mindestens so alt wie die Sage um Nessie, denn kurz hinter Inverness stellte ich fest, dass mein Sattel für meine Körpergröße viel zu niedrig eingestellt war. Daher versuchte ich ihn etwas weiter oben zu fixieren. Das Resultat war eine gebrochene Schraube, die sicherlich noch nie richtig festgedreht wurde. Nun hatte ich »endlich« meine erste Panne auf der Reise. Dummerweise befand ich mich am Loch Ness und keine Menschenseele oder auch nur Nessie war da, um mir zu helfen. Zum Glück hatte dieses Rad einen Gepäckträger mit Schrauben und Muttern. Schnell wurde die Schraube, mit der der Gepäckträger am Rahmen befestigt war, zur Sattelschraube umgerüstet. Ein kleiner Ast diente fortan als Gepäckträger-Halterung. Der Eigentümer dieses Schrottrads freute sich später über meinen Einfallsreichtum, und ich war froh, dass ich meine Kaution ohne Probleme wiederbekam. Vor lauter Schrauben hatte ich Nessie natürlich verpasst.
Bisher konnte ich mich über die britischen Bahnen tatsächlich nicht negativ auslassen. 15 Bahnfahrten liefen ohne größere Probleme ab, und trotz Streiks in Manchester kam ich immer an meinem Zielpunkt ohne Zwischenfälle an. Am letzten Tag meiner Bahnreise allerdings musste der Zug wirklich halbwegs pünktlich sein, damit ich mein Schiff auf die Orkneyinseln nicht verpasste. Daher war ich etwas enttäuscht über Scot rail, dass der Zug bereits morgens um sieben Uhr angeblich zehn Minuten Verspätung hatte. Aus diesen zehn Minuten wurden schließlich 30 Minuten Verzögerung. Dann ging es endlich auf der nördlichsten Bahnstrecke Großbritanniens von Inverness in Richtung Thurso. Noch war alles nicht so schlimm, da ich bei pünktlicher Abfahrt 75 Minuten Aufenthalt in Thurso gehabt hätte, bevor das Schiff losfahren sollte. Allerdings hatte ich meine Kalkulation leider ohne Scot rail gemacht. Nach einer Stunde Fahrt blieb der Zug für etwa 20 Minuten in einem kleinen Bahnhof stehen: Die Strecke war eingleisig und der Gegenzug musste abgewartet werden. Danach rollte ich wieder im Zuckeltempo durch die Highlands. Mittlerweile war das romantische Tuckern durch die schöne Landschaft ein nervenaufreibender Umstand, schließlich sah ich so langsam mein Schiffchen in Gedanken davonfahren. Aber vielleicht klappte es ja doch noch, so hoffte ich.
Bald darauf hielten wir in einem weiteren Bahnhof. Nun wurde die Zugfahrt endgültig zu einem Erlebnis der besonderen Art. Der Zug fuhr abwechselnd vor und zurück. Ich stellte mir die Frage, wie es dem Lokführer möglich war, zu erkennen, was rund 200 Meter hinter ihm geschah, während er mit seinem Bähnchen permanent das Gleis hinauf- und hinabfuhr. »Zum Glück« wurden wir Fahrgäste irgendwann aufgeklärt, dass wir eine Panne hatten. Ach nee. Leider gab es Probleme mit den Funksignalen, die ständig auf Rot standen, obwohl kein Zug kam. Der Gegenzug machte schließlich diesen Schienenwalzer ebenso auf dem Nachbargleis.
Nach einer weiteren dreiviertel Stunde war schließlich dieser bizarre Tanz zu Ende, da die Signalstörung anscheinend behoben war. Nachdem ich relativ lange wegen meines Anschlusses verzweifelt gewesen war, befand ich mich mittlerweile im Zustand der völligen Gleichgültigkeit. Ich dachte nur noch an ein banales Umtaufen von Scot rail in »Schrottrail« und genoss den Kaffee auf Kosten des Hauses. Plötzlich meinte der Schaffner, das Schiff würde warten. Ich war diese Art der Vertröstung von der Airline-Branche gewohnt und gab keinen Cent auf diese Aussage. Mich ärgerte eigentlich nur der Umstand, sechs Stunden im Fährhafen von Thurso bei mittlerweile einsetzendem Regen verbringen zu müssen und die eventuell anfallende Umbuchungsgebühr. Mitten in den Highlands hielt nun der Zug plötzlich an, und der Schaffner meinte, wir Fährpassagiere sollten aussteigen. Ein Direkt-Transfer-Bus würde uns zur Fähre bringen. Zunächst fuhr dieser über Feldwege zur nahe gelegenen Straße, denn der Zug hielt tatsächlich mitten auf dem Feld an einem Ausweichbahnhof. Leider wartete die Fähre natürlich nicht, aber wenigstens musste ich keine Umbuchungsgebühr zahlen. So schlug ich mich sechs Stunden im Fährterminal und im Lidl von Thurso herum und kaufte noch einmal gutes deutsches Pils, um den strömenden Regen und das Grau in Grau, in das die Landschaft eingehüllt war, zu ertragen.
Abschließend kann ich sagen, dass die Insulaner oder auch Briten genannt, tatsächlich nette, vielleicht etwas schüchterne Wesen sind, bei denen es sich aber durchaus gut leben lässt. Das einzig Befremdende an den Insulanern ist das Faible für alles Militaristische. Sehe ich gewöhnlich in anderen Ländern Warnschilder, die vor Kühen, Kängurus oder Schafen warnen, so sah ich in Großbritannien oft das Schild »Tank crossing.«{18} Statt Cola trinkt der Brite auch gerne einmal eine Bomba Limonade im Handgranaten-Format. Der Clou dabei ist der Kronenkorken, der wie bei einer Handgranate abgerissen werden kann. Außerdem begegnete ich vielen Fallschirmspringern, Militärhubschraubern und Tieffliegern, die vielleicht bereits für den Irakeinsatz trainieren mussten. Ansonsten stellt man sich sogar auf der Insel langsam auf Europa ein. Euro wurden zum Teil als Zahlungsmittel akzeptiert. Vollkommen verwirrend waren jedoch die Maßeinheiten, die benutzt wurden. Meist fand ich Schilder in Meilen, oft in Yards und manchmal in Metern. Die dreisteste Preisstrategie leisteten sich die Supermärkte, in denen Tomaten zum Pfund-Preis vergleichsweise günstiger angeboten wurden als nebenan der Tomatenhaufen zum Kilo-Preis. Diese Aktion haben wir der EU zu verdanken, die den Insulanern auferlegt, endlich Kilo statt »pounds«{19} zu benutzen. Bei den Geschwindigkeitsangaben und dem Linksverkehr besteht hingegen eine unbefristete Ausnahmeregelung.
Schließlich kam ich auf den Orkneyinseln an. Sie liegen etwa 15 Kilometer nördlich der schottischen Küste und sind historisch sehr bedeutsam. Das Dorf Skara Brae ist mit seinen 5000 Jahre alten Häusern das älteste Europas. Ein kleiner geschichtlicher Überblick verhilft dem Leser vielleicht das Alter dieser Steinhütten einzuschätzen:
1905 Gründung des 1. FSV Mainz 05
1776 Unabhängigkeitserklärung der USA
1400 Höhepunkt des Inka-Reichs
1095 Erster Kreuzzug
476 Der Fall Roms
0 Jesu Geburt
12 v. Chr. Gründung von Mainz
220 v. Chr. Errichtung der chinesischen Mauer
962 v. Chr. Bau des Tempel des Salomon
2100 v. Chr. Bau von Stonehenge
2500 v. Chr. Bau der Pyramiden von Giseh
3100 v. Chr. Errichtung der Häuser von Skara Brae auf den Orkneyinseln
Die Häuser waren bis zum Ende des 19. Jh. im Sand verschüttet, ehe ein gewaltiger Sturm die Mauern freilegte. Diese Rundbauten besaßen ein Tunnelsystem mit Zugang zum Nachbarhaus. Da es auf den Orkneyinseln keine Bäume gibt, waren die Bewohner darauf angewiesen, alles aus Stein zu errichten. Mauern, Betten, Küchenschrank, Feuerstelle – alles war noch relativ gut erhalten und deutlich zu erkennen. Lediglich die Dächer bestanden, unseren Ökohäusern ähnelnd, aus einer Art Torf-Wiesen-Dach. Daher waren die Häuser von Skara Brae nur noch in der »Kabrio-Version« zu bestaunen. Aber trotzdem konnte ich mir das Leben mit den ebenfalls noch vorhandenen Küchenutensilien sehr gut vorstellen. Dass die Durchgänge und die Betten lediglich etwas über einen Meter hoch beziehungsweise lang sind, wäre für uns etwas gewöhnungsbedürftig, falls wir in den Hütten