Название | Nachtmahre |
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Автор произведения | Christian Friedrich Schultze |
Жанр | Языкознание |
Серия | Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742796592 |
Mach das ruhig mal, mein Junge! Geh nachts bei klarem Himmel auf einen Berg und beschau dir den Kosmos! Dann wirst du wissen, was ich meine.
Es fehlt uns in unseren Neonlichterstädten.
Von unten blitzten schwach Lichter böhmischer Dörfer herauf. Werde ich nochmal hierher kommen?, fragte ich mich.
„Dein Bild ist, glaube ich, nicht besser als irgendeines“, nahm ich den Faden wieder auf.
„Du versuchst, alles aus einem unbewiesenen Gott heraus zu erklären. Das ist ebenfalls ein sehr einseitiger Blickwinkel, oder etwa nicht?“
„Mag sein, aber im Mittelpunkt stehen nur Gott und ich. Und ich bin glücklicherweise nicht ganz unwichtig dabei. Es ist meine persönliche Beziehung. Die benötige ich, bereits hier und jetzt, um überleben zu können, unabhängig vom fragwürdigen Entwicklungsstand einer mehr, aber eher weniger perfekten Gesellschaft. Mir nützt keine abstrakte Hoffnung auf eine im Trüben liegende Zukunft, in der sich das Positive schon noch zeigen wird. Ich brauche Hoffnung für mich, jetzt. Ich lehne es ab, mich auf die Zukunft vertrösten zu lassen. Die Entschuldigung, dass wir zur Zeit noch nicht ganz so weit sind, hilft mir nicht. Ich will EWIG LEBEN, mein Freund. Diese Verheißung benötige ich täglich aufs Neue, denn es kann mich jede Sekunde ereilen.“
„Du bist komplett verrückt! Du weißt so gut wie ich, dass das eine Utopie ist. Wie soll das aussehen? Sind deine Glaubensbrüder etwa anders gewesen als die Heiden? Denk mal an Rom und die Inquisition, denk an die Kreuzritter! Haben die nicht genauso massenhaft Not und Elend über die Völker gebracht wie diejenigen, welche nichts von christlicher Nächstenliebe gewusst haben?“
„Das waren nicht meine Glaubensbrüder. Das waren Menschen, die nichts begriffen hatten, wie die meisten. Sie dienten der Macht. Und dennoch scheint es so zu sein, dass sie ihre Funktion hatten. In meinen Augen waren es Werkzeuge zur Erfüllung des Gesetzes.“
„Das ist doch die Höhe! Stell dir vor, Hitler und Stalin, Bukassa und Pol Pot als Werkzeuge Gottes.“
„Du vereinfachst! Wo ist das rein Gute, wo das rein Böse? Man lebt zwischen beidem. Das ist die entscheidende Sache zwischen Gott und mir, ob ich ihm diene oder der Macht. Ich hab da eine reelle Chance.“
„Demnach waren Marx, Engels und Lenin ebenfalls Werkzeuge?“
„Für mich, ja. Warum denn nicht? Durch sie hat sich doch zweifellos etwas bewegt in der Geschichte. Nicht nur dorthin, wie es uns die heutigen Antikommunisten weismachen möchten. Aber auch anders, als jene es sich so schön vorgestellt hatten. Denn kaum hatten sie ihren Glauben artikuliert, begann auch schon der Verfall ihrer Lehre. Und zwar dadurch, dass sie von den verschiedensten Seiten dogmatisiert wurde. Schau dir nur die Richtungskämpfe zwischen den Moskauern, Pekingern, Jugoslawen und Eurokommunisten an. Ganz wie seinerzeit innerhalb der christlichen Kirche. Millionen rennen wieder den Dogmen hinterher.
Wie die Sache ausgeht, werden wir vielleicht noch erleben. Denn schon entstehen ganz andere Drücke auf die Menschheit, die neue Propheten notwendig machen.“
„Ich finde deine Sicht einigermaen zynisch angesichts der riesigen Verluste, unter denen die Menschheit zu leiden hat. Soll das im Sinne des Herrn sein?“
„Eben nicht! Das sage ich ja! Es liegt daran, dass der Mensch sich nicht an das Gesetz hält, dass er sich abwendet, es besser wissen will, dass er sein will wie ER.“
Wir befanden uns seit einer Weile auf dem Rückweg. Durch die Dunkelheit des Waldes verlief er etwas beschwerlicher als der Aufstieg. Der Mond, der unseren Weg etwas hätte erhellen können, war noch nicht aufgegangen.
„Da muss ich mich ein bisschen wundern, dass sich dein Gott einen so unvollkommenen Partner geschaffen hat. Es hätte das Risiko doch von vornherein erkennen müssen, das in der uns übertragenen Freiheit liegt. Meinst du nicht, dass er sich nur ein Spiel gemacht hat, das in einem grandiosen Inferno sein Ende finden wird?“
Es entstand ein kurzes, intensives Schweigen. Ich spürte, dass ich ihn jetzt getroffen hatte.
„Habe ich denn behauptet, dass ein Christ wirklich mehr weiß als andere? Dass er frei ist von Zweifeln und Anfechtungen? Ich frage mich genauso unentwegt, wieso der Mensch dermaßen unfähig ist, sich die Erde in einem ganz positiven Sinne untertan zu machen. Das ist das schlimme Dilemma eines gewissenhaften Christenmenschen: Bin ich wirklich unfähig, den mir übergebenen Laden in Ordnung zu halten oder scheint es nur so? Bin ich selbst nicht in der Lage, mir das ewige Leben zu verdienen? Wieso bin ich auf die Gnade des HERRN angewiesen, an dieser Ungereimtheit nicht zu verzweifeln?
Das ist die Scheidelinie zwischen Erkennen und Glauben, das ist genau das, was verstandesmäßig nicht zu gewinnen ist. Da hören alle Erklärungen auf.“
„Was willst du mir damit sagen, mein Freund? Denn dann hast du`s ja auch nicht besser als einer, der das nicht glaubt. Dazu könnte ich mich jedenfalls nicht bekennen: wissen, wie unvollkommen ich bin und mich auf jemanden verlassen müssen, von dem ich nicht genau weiß, ob es ihn überhaupt gibt. Da wundert es einen nicht, wenn viele selbst Gott sein wollen. Dieser Widerspruch verführt ja geradezu, alle Macht der Welt zu erstreben: Es gibt Zeiten, da hält man`s dann mit dem Teufel.“
“Wenn ich aber ewig leben will, bleibt mir, vereinfacht ausgedrückt, keine andere Hoffnung als die von der Wiederkunft Jesu Christi zusammen mit der Pflicht, das Gesetz zu erfüllen. Dann fühle ich wieder, dass es gut ist, einen Gott zu haben, dem man für sein Leben verantwortlich ist und dass es Gebote gibt, die nicht dazu aufrufen, der Macht zu dienen, sondern der Liebe.“
„Gegen das Liebesgebot habe ich überhaupt nichts einzuwenden“, sagte ich.
„Dann tu`s doch. Lieb dich und dann die anderen mehr als dich selbst. Das ist die einzige Legitimation, um überhaupt irgendwo einzugreifen. Mir scheint jedoch, du liebst dich nicht, deshalb rennst du andauernd im Kreise.“
„Das kann man leicht sagen von einem anderen.“
„Mein Lieber, wo du dich befindest, in welcher Gesellschaft, in welchem System, ist doch vollkommen gleichgültig. Als was für einer du dich darinnen wiederfindest, allein darauf kommt es an.“
„Ich bezweifle nicht einmal, dass das sehr klug ist, was du sagst. Aber wenn das Problem wirklich darin besteht, dass ich mich so lieben muss, wie ich bin, ich es jedoch noch nicht schaffe, dann kann ich es ebensogut mal in einer anderen Gegend probieren. Vielleicht fällt es mir dort sogar leichter.“
„Da du es an dem nötigen Ernst mangeln lässt, fasse ich meine beiden Hauptargumente für dich leichtverständlich zusammen: Erstens rührt deine Unsicherheit von deiner wankenden weltanschaulichen Basis, die nun nicht mehr ausreicht, die Wirklichkeit zu verstehen. Zweitens bin ich ganz entschieden davon überzeugt, dass dich eine Trennung von deinen menschlichen und heimatlichen Bindungen noch weniger zu dir selbst führen würde.“
„Wirklich erstaunlich, wie einfach alles ist“, sagte ich mit einem bitteren Unterton. „Was weiß ich, was hier alles zusammenkommt. Meine Abenteuerlust, der Drang, aus dem Gleichmaß, das vor allem Mittelmaß ist, heraus zu gelangen und mal was Großes zu machen, etwas, wovon man wieder leben kann. Vielleicht wollte man es gar nicht, wenn es einem nicht durch eine Reihe lächerlicher Gesetze und Vorschriften verboten wäre.“
„Vielleicht ist es tatsächlich eine Charakterfrage“, erwiderte Thomas. „Vielleicht bin ich mehr ein Ackerbauer und du ein Nomade.“
Der Abstieg hatte uns an der Skihütte und an der ehemaligen Sprungschanze vorbei weiter über die Wiesen, die im Winter als Skigelände genutzt werden, hinunter geführt. Die Masten des Schleppliftes standen finster, verlassen und untätig am Berg.
Wir wandten uns nach links zur Nordostrinne und kamen bald am Haus Nummer 175 vorbei, das einsam am Waldessaum liegt und das stets mein besonderes Interesse hervorruft, weil ich gern wüsste, wie die Leute darinnen leben. Einmal klopfe ich noch an diese Haustür.
Jetzt war alles dunkel im Haus.
Über