DER AUFBRUCH. Michael Wächter

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Название DER AUFBRUCH
Автор произведения Michael Wächter
Жанр Языкознание
Серия Die Raumsiedler von Puntirjan
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742734709



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Malalo schnupperte kurz, schätzte den Alkoholgehalt ab und schob das Glas beiseite. „Es bringt nichts, Handelsbeziehungen mit Krøg stiften oder Sorgen im Krøg ersäufen zu wollen, denn Sorgen sind bessere Schwimmer als Handelsbeziehungen.“

      Gugay überhörte ihn.

      „Mein Projekt ist genial, ehrlich!“, hakte er nach und wartete, um Atem zu holen und eine geeignete Lautfolge zu finden. „Es ist … Es ist von fast göttlichem Genie!"

      „Naja…“ wiederholte Malalo. Er naschte ein paar Ravrokylkörner mit Schokoladenüberzug, goss sich Krøg in den Becher, hielt diesen behutsam einen Moment fest und nahm dann bedächtig einen kleinen Schluck, ehe er weitersprach. „Ich muss also nur einen Fracht-Shuttle im Werte von...“ Nach kurzem Überlegen rundete er die Summe auf. „ … von 2400 Cisni abschreiben?"

      „Nein, du kriegst ihn unbeschadet zurück. Und das ist gegenüber deinem Gewinn doch nur ein Prozent!“ warf Gugay schnell ein.

      Malalo sah ihn halb zweifelnd, halb staunend an – staunend über so viel naiven Optimismus, den Gugay da zur Schau stellte.

      „Du schätzt den Gewinn aus deinem Erzvertrieb wirklich so gigantisch ein?“ fragte er.

      „Das ist das Minimum, Malalo, überleg doch mal! Kryolithionit und Pegmatit sind hochgradig Lithium-reiche Mineralien, die gibt es im Sar-Gebiet in Massen! Lithium für Tausende von Akku-Fabriken! Und das Sar-Gebiet als Naturschutzgebiet ist völlig unbewohnt, ist das privaten Jagdrevier des Großkaisers, da ist ansonsten seit Generationen keine Erz mehr abgebaut worden! Die Lithiumvorräte dort sind gewaltig, man muss sie nur vom Boden aufheben und in den Frachtraum schieben!" Unwillkürlich formte sich seine Hand so, als wolle er eine handvoll Kryolithionit-Knollen vom Boden aufheben.

      „Selbstmord!“, flüsterte Malalo kreidebleich, doch die Gier milderte seinen sonst harten Gesichtsausdruck. „Du willst also vom Ozean her in den Fluss hineinsegeln, die Hoheitszeichen der Cisnair République mitten im Jagdrevier des sarkarischen Großkaisers funken und das Shuttle mit geraubtem Erz füllen. Das ist praktisch Selbstmord!“

      „Ich schon wieder weg, ehe der Gouverneur die erste Kurznachricht an seinen Großkaiser schickt, und schon wieder daheim, wenn der sich bei unserem Président beschwert. Die Sarkarier sind bisher auf keiner der Sar-Inseln präsent, außerdem ist das Sar-Gebiet ein hoheitlich neutrales Naturschutzreservat!“

      „Sie wären innerhalb weniger Momente mit einer gigantischen Schlagkraft da, du Phantast! Das Sarjowa-Geschwader liegt drüben im Hangar in Bereitschaft, ein Kampfjet mit Laser-Geschützen!“

      „Wir sind unter dem Schutz der Cisnair-Zeichen, da können es nicht riskieren, uns festzunehmen! Und erst recht nicht auf freiem Ozean, so wie die Lage zwischen den Reichen von Sarkar und der Cisnair République, ja, der IPO überhaupt, liegen. Das wäre ein Anlass zum Krieg! Zudem werde ich selbst erst von den Seiten des Reiches von Cisnar her dazustoßen. Mit echten, sarkarischen Fracht-Papieren!“

      „Entschuldige, Gugay!“ Malalo beruhigte sich wieder und blickte Gugay an. „Dann muss es ja funktionieren.“

      Malalo zückte sein Mobilfunkgerät, tippte ein „o.k.“ in die Konsole und unterschrieb damit den im Display angezeigten Mietvertrag für den Fracht-Shuttle.

      „Monsieur Gugay Fiscaux, ich bin genau der Mann, der dir den richtigen Shuttle liefern kann!“

      Kapitel 5

      Im fernen Monastair, weitab von der cisnairschen Provinz, hing ein kleiner Puntirjaner an seinem „Armband-smartphone“ und suchte Interfunk-Kontakt zu seinem Vater.

      „Papi, kommst du bald heim?“, quengelte Jenini.

      „Ja, mein Kleiner!“, beschwichtigte Jenis. „Ich habe noch mit Onkel Tüngör gesprochen. Ich bin ja schon fast bei dir.“

      Jenini strahlte. Zufrieden saß er im Schein der Sonne von Wemur in seine grünen Lieblingsecke gekuschelt. Sie lag im „Kükennest“, einer Art Kindergarten, den die Puntirjaner besuchten, wenn sie in ihrer Nistzeit die sozialkognitive Brutphase durchliefen. Ein Ravrokylbusch in Jeninis Lieblingsecke spendete ihm etwas Schatten, und er hantierte voller Freude mit seinem „Armsma 3.0“. Die Erzieherinnen hatten ihm gezeigt, wie er es bedienen kann – und prompt hatte er sich damit in die Büsche geschlagen. Das Armsma 3.0 war die Drittversion des monastairschen „Armband-smartphones“, eine Kinderversion, mit der die kleinen Puntirjaner lernen, sich im Interfunk einzuloggen und am Funkverkehr in den sozialen Netzwerken teilzunehmen. In der kognitiv-sozialen Lernphase das Rindenhirn der Puntirjaner über ihrer Großhirnrinde mit Hilfe der Interfunk-Kommunikation heran (Für erwachsene Puntirjaner gab es die „Armsma 3.0“ mit körpersekretgetriebenen Brennstofftzellen, die Kinderversion wurde mit Lithiumionen-Akkus betrieben, die sich mit Körperwärme oder drahtlos mit Schall aufladen konnten. Recyclebarer Superhart-Duroplast schützte das Innere vor Stößen und Schlägen, wie sie beim Spielen der Kinder möglich waren. Neben den aufklappbaren Armband-Displays konnten bei Bedarf sehverbessernde Displays aktiviert werden, wenn die Eltern die hirnimplantierten Chips ihrer Kinder freigaben, die mit Interfunk programmierbar in die entsprechenden Hirnareale der Küken gepflanzt wurden).

      „Wirklich, du kommst, Papi?“ Jenini wollte sichergehen.

      „Aber ja doch!“, zwitscherte Jenis zurück. „Ich freu mich, dich wiederzusehen. Mein Solarflieger landet in einer halben Puntirjanhour in Josefien!“

      „Au fein, Papi“, zwitscherte Jenini zurück.

      „Geht es Mama gut?“

      „Ja, Papi. Sie erwartet dich. Und dann fliegen wir in den botanischen Garten?“

      „Machen wir, mein Großer! Bis dann!“, sagte Jenis zum Abschied.

      „Bis dann, Papi! Mit dir flieg ich auch nochmal bis ans Ende der Welt!“, piepste Jenini.

      Jenis schmunzelte über Jeninis Idee. Er dachte an Plara, seine leider öfters getrennt von ihm in Monastair lebende Frau. Plara war eine gebürtige Cisni, und zum Glück zwitscherte man in Cisnair die gleiche Sprachmusik wie in Monastair. So verstanden sie sich auf Anhieb, und prompt durchlebten sie in Cisnair ihre Balz, den Nestbau und den Anfang der Brutzeit, fast dort, wo auch Tüngör wohnte, sein Freund und Kontaktmann. Dann gingen Jenis, Plara und Jenini nach Joséfien, einem Vorort der Metropole Monastair. Hier verbrachten sie den zweiten Teil der Brutzeit, dann Jeninis Nistzeit und die des gesamten Geleges, zu dem auch Jopeti zählte, der Älteste der drei Brüder, sowie Joneti und Plaralla, seine Schwester. Dann kamen Jenis‘ Geheimdienst-Schulung in Cisnair dazwischen und sein Auftrag in Sarkar. Traurige Trennungszeiten wegen der häufigen Dienstreisen und -pflichten blieb nicht aus.

      „Bis dann, mein weltbester Papi!“, zwitscherte Jenini nocheinmal. Dann beendete er den Interfunkkontakt, schob sein Armsma 3.0 zurück in das Armgefieder und flatterte vergnügt aus dem Gebüsch, zurück in das Gruppennest seines Kükennests. Es gab Essen, und er hatte schon richtig Hunger auf all die vielen, leckeren Körner, Früchte und Knabberblätter. Solche Kükennester waren in der Welt auf Puntirjan ideal für die Kleinen. In diesen nest- und kindergartenähnlichen Horts konnten sie erste spielerische Erfahrungen in der Natur sammeln. Schon hierbei lernten sie, die Dreier-Einheiten zu erkennen – die drei Erscheinungsformen von Geschöpfen zum Beispiel, die die Puntirjaner unterschieden: Pilze, Pflanzen und Tiere. Oder die drei auf Puntirjan grundlegenden, „trivialen“ Zivilisationstechniken: das Interfunken, die Himmelsbeobachtung und das „Zwitschern“, das auf Puntirjan für Sprache, Musik und Zeitgefühl stand).

      Jenini pickte eine Auswahl von Samenkörnern. Nach dem Essen aktivierte er sein Armsma 3.0 wieder und wählte sich fröhlich über die Interfunk-Suchmaschinen „Guckel“ und „Ja,Duu!“ in Kinderprogramme ein. Er sah einen Film über die Pulsfisch-Riesenkraken in der Tiefsee Puntirjans, und deren Partnerschaft mit den an Land lebenden Puntirjanern.

      „Symbiose nennen das die Großen“, sagte die Interfunk-Sprecherin im Holovideo, „und das heißt Zusammenleben, so wie es auch die Pilze und Flechten tun, auf