Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg. Horst Lederer

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Название Alltagsleben nach 1945 in Mecklenburg
Автор произведения Horst Lederer
Жанр Документальная литература
Серия gelbe Reihe bei Jürgen Ruszkowski
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783742721822



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Neubauern nicht gelernt hatten, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, zu planen und die erwirtschafteten Einkünfte sinnvoll zu investieren. Auf Dauer gelohnt hat sich die unrechtmäßige Besitznahme nur ausgerechnet für die Familie Frederich, die ihre Bauplätze auf der Fläche des ehemaligen Kuhstalls für die Errichtung mehrerer Einfamilienhäuser für die Urenkelinnen des einstigen „Dorfpaschas“ genutzt und so innerhalb von Arpshagen ein kleines „Frederichshagen“ geschaffen hat, und das dank des Einigungsvertrages bei der Wiedervereinigung, in dem die Ergebnisse der Bodenreform Rechtsgültigkeit behielten.

      Und die beiden Siedlerinnen Lederer?

      Die Bäuerin Irmgard Lederer erhält das Grundstück schuldenfrei.

      Diese Urkunde berechtigt zur Eintragung des Grundstücks in das Grundbuch.

      Schwerin Kreis Schönberg

      (Siegel des Präsidenten des Landes

      Mecklenburg- Vorpommern)

      Der Präsident Der Landrat

      gez. Höcker gez. Krebs

      Die Urkunde von Else Lederer hatte einen fast identischen Wortlaut.

      Ankunft in Arpshagen

      Die beiden Frauen warteten in Oberklütz weiter auf die versprochene Benachrichtigung von Tierarzt Dr. Preuß für den Tag, an dem er seine Zimmer im Gutshaus Arpshagen räumen und den Familien Lederer den Einzug ermöglichen würde. Von Lotti Baumann erfuhren sie schließlich, dass es der 28. Oktober werden sollte.

      Von den beiden ehemaligen Fluchtwagen wurden die überdachenden Planen entfernt, sie wurden zu gewöhnlichen Kastenwagen umgestaltet, die geringe Habe wurde darauf Platz sparend verstaut. Onkel Erich Krause sägte das Doppelstockbett, das Irmgard sich von einem Klützer Tischler anfertigen lassen hatte, in zwei gleiche Teile, die gleichfalls aufgeladen wurden. Die Pferde wurden eingespannt.

      Wir sagten unseren Verwandten, Schümanns, Anna Wieschendorf und Lotti Baumann Lebewohl, warfen noch einen Blick zum Abschied auf das Oberklützer Unterdorf, und dann ergriffen Else und Irmgard Lederer die Zügel und kutschierten ihr Gefährt mit den Kindern und der Großmutter den Hohlweg hinunter, dann durch die Wismarsche Straße in Klütz, über den Markt, die von zahlreichen mit Regenwasser gefüllten Schlaglöcher der Breitscheidstraße entlang und erreichten kurze Zeit später das mir in diesem Teil bereits bekannte Gutsdorf Arpshagen mit den vier lang gestreckten Katen und den Stallungen.

      Der 28. Oktober 1945 war ein sonniger Herbsttag. An den Vortagen hatte es geregnet. Als wir unter den hohen Kastanienbäumen die Landstraße in Richtung Gutshof entlangfuhren, spritzte eine dünne Schlammschicht unter den Hufen der Pferde auf. Unseren beiden Fuhrwerken folgte eine Gruppe von Halbwüchsigen, die sich auf Plattdeutsch über uns Neuankömmlinge unterhielten. Später identifizierte ich sie als Bernhard Patynowski, Rolf Kaßner, Willi Russow, Heinz Kosbab, Otto („Pieper“) Wiebke und Erich Moll.

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      Dann tauchte rechts hinter den Kastanienbäumen das Gutshaus, ein in dieser Umgebung imposantes Gebäude, auf. Tante Else als Vorausfahrende bog um das Rasenrondell mit den sechs kugelförmig geschnittenen Rotdornzierbäumen herum, bis wir unmittelbar vor der Veranda hielten.

      Die drei Erwachsenen und ich waren gespannt, was für ein Abenteuer uns hier erwarten würde. Unsere beiden Mütter begaben sich in das Gebäude hinein, während meine Großmutter mit uns Kindern auf den zwei Wagen die Rückkehr der beiden Frauen erwartete. Das dauerte ungewöhnlich lange, und als die beiden mit unmutigen und enttäuschten Gesichtern wieder bei uns auftauchten, begriff ich, dass sich ein nicht vorhergesehenes Problem ergeben hatte. Ich hatte richtig vermutet: Tierarzt Dr. Preuß hatte an diesem Tag, einem Sonnabend, erst mit dem Ausräumen der Zimmer begonnen und zunächst nur das kleinste frei gezogen. So blieb uns die Wahl, entweder nach Oberklütz umzukehren oder die Nacht über mit acht Personen in diesem kleinsten Raum zu verbringen. Wir entschieden uns zu bleiben, trugen aber unsere Koffer, Taschen, die Bettgestelle und mitgeführten Hausrat die Treppen hinauf, legten alles auf dem Flur ab und versuchten, uns für den Nachtschlaf in dem einzigen Bett einzurichten. Wie wir das schafften, ist mir jetzt noch ein Rätsel.

      Else Lederer wurde Besitzerin des Ackers Nr. 6 zwischen den Feldern Frieda Schmidts und Fritz Schreibers hinter der letzten Hecke der Arpshagener Gemarkung. Sie loste einen Bauplatz an der späteren Neuen Straße, die Wiese nahe der Grenze zu Hofzumfelde, die Holzung im Hohenschönberger Wald und die Weide auf dem Koppelstück 147. Die Größe der Flächen wird denen meiner Mutter Irmgard Lederer ähnlich gewesen sein.

      Irmgard Lederer hatte das Ackerstück 30 (5,28 ha) an der Straße nach Goldbeck, die Koppel Nr. 154 (82 a) mit einem Sandgrubenanteil an der Strecke der Deutschen Reichsbahn, das Wiesenstück Nr. 265 (51 a) am Weg an der Grenze zu Hofzumfelde, die Holzung (53 a) an der Grenze zu Goldbeck nahe der Stellshagener Gemarkung und den Bauplatz (35,19 a) westlich von der Straße nach Goldbeck gelost.

      Nach der Verlosung kehrten beide Frauen in dem Bewusstsein zu ihren Familien nach Oberklütz zurück, an diesem Tage den Grundstein für einen existenziellen Neubeginn gelegt zu haben, nicht mehr und nicht weniger, zumal sie die erworbenen Flächen noch nicht in Augenschein genommen hatten und deshalb nicht abschätzen konnten, wie minderwertig oder wertvoll sie waren.

      Wie immer die Verlosung der der einzelnen Flächen auch abgelaufen sein mag, daran beteiligt waren die folgenden Einheimischen persönlich oder durch ein Familienmitglied in Vertretung: Ernst Kelling, Ernst Moll, Heinrich Patynowski, Stefan Patynowski, Else Dunkelmann, Wilhelm Russow, Karl Stazinska, Marian Michalowski, Hubert Hübner, Erich Schröder, Wilhelm Moll, Karl Kidschun, Heinrich Frederich, Willi Frederich, Hans Bever, Karl Klopp, Fritz Törber, Fritz Göwe, Fritz Wiebke, Albert Pagel, Karl Lüth, Karl Wehr, Bernhard Klockmann, Albert Barkentien, Hermann Kaßner, Robert Estermann, Otto Uecker, Fritz Andersson, Otto Albrecht. (Willi Frederich und Wilhelm Russow hatten Kleinsiedlungen erworben).

      Als Flüchtlinge hatten an der Verlosung teilgenommen: Bruno Grzyb, Max Kirschstein, Anna Kapanusch, Frieda Schmidt, Else Lederer, Fritz Schreiber, Erna Wojahn, Erhard Pohl, Irmgard Lederer, Philipp Müller sen., Albert Büch, Anna Bansen, Josef Braun, Georg Manthey, Franz Ziesler, Hermann Popko, Margarete Goerl, Wilhelm Schulz, Wilhelm Wollmann, Hermann Reinke. Zu diesem Zeitpunkt waren in Arpshagen noch vier Siedlungen vakant.

      Mit dem Datum vom 30.12.1945 erhielten alle Siedler oder Neubauern eine künstlerisch ansprechend gestaltete Urkunde im A3-Format mit dem Motto „Der Boden dem Bauern“ und dem Leitsatz „Der Grundbesitz soll sich in unserer deutschen Heimat auf feste, gesunde und produktive Bauernwirtschaften stützen, die Privateigentum ihres Besitzers sind.“ Diese Formulierung wäre nach Gründung der DDR, speziell seit der Entstehung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, sicher nicht mehr möglich gewesen.

      Die Urkunde von Irmgard Lederer hat folgenden Wortlaut:

      URKUNDE

      Auf Grund der Verordnung der Landesverwaltung Mecklenburg über die Bodenreform vom 5. September 1945 wird der

      Bäuerin Irmgard Lederer

      wohnhaft in der Gemeinde Arpshagen

      Kreis Schönberg

      ein Grundstück

      im Umfang von 7,97 ha, einschließlich Wald,

      rechtskräftig

      zum persönlichen, vererbbaren Eigentum übergeben.

      Das der Bäuerin Irmgard Lederer übergebene Grundstück liegt in der Gemeinde Arpshagen und hat laut dem von der Bodenkommission aufgestellten Verteilungsplan die Nummer 16.

      Indessen machten sich Else und Irmgard Lederer auf die Suche nach einer Unterbringung für die drei Pferde. Ein freundlicher Dorfbewohner wies sie darauf hin, dass im Fohlenstall noch genügend Platz und auch ausreichend Futter zu finden sei. So war an diesem Tag wenigstens ein Problem erfolgreich gelöst worden.

      Der folgende Tag war ein Sonntag. Während Tierarzt Preuß mit Unterstützung seiner Freundin von ihm beanspruchte Möbel