Sternstunden der Menschheit. Stefan Zweig

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Название Sternstunden der Menschheit
Автор произведения Stefan Zweig
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746749969



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dem Kaiser Konstantin angeboten; aber in der richtigen Erwartung, bei Mahomet höhere Bezahlung und kühnere Aufgaben für seine Kunst zu finden, erklärt er sich bereit, falls man ihm unbeschränkte Mittel zur Verfügung stelle, eine Kanone zu gießen, wie man sie gleich groß noch nicht auf Erden gesehen. Der Sultan, dem, wie jedem von einer einzigen Idee Besessenen, kein Geldpreis zu hoch ist, weist ihm sofort Arbeiter in beliebiger Anzahl zu, in tausend Karren wird Erz nach Adrianopel gebracht; drei Monate lang bereitet nun mit unendlichen Mühen der Kanonengießer die Lehmform nach geheimen Methoden der Härtung vor, ehe der erregende Guß der glühenden Masse erfolgt. Das Werk gelingt. Die riesige Röhre, die größte, die bisher die Welt gekannt, wird aus der Form herausgeschlagen und ausgekühlt, aber bevor der erste Probeschuß abgefeuert wird, sendet Mahomet Ausrufer durch die ganze Stadt, um die schwangeren Frauen zu warnen. Als mit ungeheurem Donner dann die blitzerhellte Mündung die mächtige Steinkugel ausspeit und diese eine Mauer mit einem einzigen Probeschuß zertrümmert, befiehlt Mahomet sofort die Anfertigung einer ganzen Artillerie in diesen gigantischen Maßen.

      Die erste große »Steinwerfermaschine«, wie die griechischen Schriftsteller dann erschreckt diese Kanone nennen werden, wäre nun glücklich zustande gebracht. Aber noch schwierigeres Problem: wie dieses Monstrum durch ganz Thrakien schleifen, bis an die Mauern von Byzanz, diesen erzenen Lindwurm? Eine Odyssee ohnegleichen hebt an. Denn ein ganzes Volk, eine ganze Armee schleppt zwei Monate lang an diesem starren, langhalsigen Ungetüm. Zuerst sprengen Reiterscharen, um die Kostbarkeit vor jedem Überfall zu schützen, in ständigen Patrouillen voraus, hinter ihnen werken und karren Tag und Nacht Hunderte und vielleicht Tausende von Erdarbeitern, um die Straßenunebenheiten zu beseitigen für den überschweren Transport, der hinter sich für Monate wieder die Wege zerstört. Fünfzig Paar Ochsen sind der Wagenburg vorgespannt, auf deren Achsen – wie einstmals der Obelisk, als er von Ägypten nach Rom wanderte – mit genau verteiltem Gewicht die metallene Riesenröhre liegt; zweihundert Männer stützen unablässig zur Rechten und zur Linken das vor seiner eigenen Schwere schwankende Rohr, während gleichzeitig fünfzig Wagner und Zimmerleute ununterbrochen beschäftigt sind, die hölzernen Rollen auszuwechseln und zu ölen, die Stützen zu verstärken, Brücken zu legen; man versteht, daß nur Schritt um Schritt, im langsamsten Büffeltrott diese riesige Karawane sich ihren Weg bahnen kann durch Gebirg und Steppe. Staunend sammeln sich aus den Dörfern die Bauern und bekreuzigen sich vor dem erzenen Unwesen, das wie ein Gott des Krieges von seinen Dienern und Priestern von einem Land ins andere getragen wird; aber bald werden in gleicher Weise die erzgegossenen Brüder des gleichen lehmigen Mutterbetts herangeschleift; wieder einmal hat der menschliche Wille das Unmögliche möglich gemacht. Schon blecken zwanzig oder dreißig solcher Ungetüme ihre schwarzen Rundmäuler gegen Byzanz; die Schwerartillerie hat ihren Einzug in die Kriegsgeschichte gehalten, und es beginnt der Zweikampf zwischen der jahrtausendalten Mauer der oströmischen Kaiser und den neuen Kanonen des neuen Sultans.

       Noch einmal Hoffnung

      Langsam, zäh, aber unwiderstehlich zermalmen und zermahlen die Mammutkanonen mit blitzenden Bissen die Wälle von Byzanz. Zunächst kann jede nur sechs oder sieben Schüsse täglich abgeben, aber von Tag zu Tag bringt der Sultan neue zur Aufstellung, und in Staub- und Schuttwolken tut sich bei jedem Anprall dann immer neue Bresche in dem niederprasselnden Steinwerk auf. Zwar werden nachts von den Belagerten diese Löcher mit immer notdürftigeren hölzernen Palisaden und Leinwandballen geflickt, aber doch, es ist nicht die alte eherne, unversehrbare Mauer mehr, hinter der sie kämpfen, und mit Schrecken denken die achttausend hinter den Wällen an die entscheidende Stunde, in der dann die hundertfünfzigtausend Mahomets zum entscheidenden Angriff gegen die schon durchhöhlte Befestigung vorprellen werden. Es ist Zeit, höchste Zeit, daß Europa, daß die Christenheit sich ihres Versprechens entsinne; Scharen von Frauen liegen mit ihren Kindern den ganzen Tag vor den Reliquienschreinen in den Kirchen auf den Knien, von allen Wachttürmen spähen Tag und Nacht die Soldaten, ob nicht endlich in dem von türkischen Schiffen durchschwärmten Marmarameer die verheißene päpstliche und venezianische Entsatzflotte erscheinen wolle.

      Endlich, am 20. April, um drei Uhr morgens, leuchtete ein Signal. In der Ferne hat man Segel erspäht. Es ist nicht die gewaltige, die erträumte christliche Flotte, aber immerhin: langsam vom Wind getrieben, steuern drei große genuesische Schiffe heran und hinter ihnen ein viertes, kleineres, ein byzantinisches Getreideschiff, das die drei größeren zu seinem Schutz in die Mitte genommen. Sofort sammelt sich ganz Konstantinopel begeistert an den Uferwällen, um die Helfer zu begrüßen. Doch gleichzeitig wirft sich Mahomet auf sein Pferd und galoppiert in schärfstem Ritt von seinem Purpurzelt zum Hafen hinab, wo die türkische Flotte vor Anker liegt, und gibt Befehl, um jeden Preis das Einlaufen der Schiffe in den Hafen von Byzanz, in das Goldene Horn, zu verhindern.

      Hundertfünfzig, allerdings kleinere Schiffe, zählt die türkische Flotte, und sofort knattern Tausende Ruder ins Meer. Mit Enterhaken, mit Brandwerfern und Steinschleudern bewehrt, arbeiten sich diese hundertfünfzig Karavellen an die vier Galeonen heran, aber scharf getrieben vom Wind überholen und überfahren die vier mächtigen Schiffe die mit Geschossen und Geschrei belfernden Boote der Türken. Majestätisch, mit breit geschwellten runden Segeln steuern sie, unbekümmert um die Angreifer, hin zum sichern Hafen des Goldenen Horns, wo die berühmte Kette, von Stambul bis Galata hinübergespannt, ihnen dann dauernden Schutz bieten soll gegen Angriff und Überfall. Ganz nahe sind die vier Galeonen jetzt schon ihrem Ziel: schon können die Tausende auf den Wällen jedes einzelne Gesicht erkennen, schon werfen sich Männer und Frauen auf die Knie, um Gott und den Heiligen zu danken für die glorreiche Errettung, schon klirrt die Kette im Hafen nieder, um die Entsatzschiffe zu empfangen.

      Da geschieht mit einemmal etwas Entsetzliches. Der Wind setzt plötzlich aus. Wie von einem Magnet festgehalten, stehen die vier Segelschiffe völlig tot mitten im Meer, gerade nur ein paar Steinwürfe weit von dem rettenden Hafen, und mit wildem Jubelgeschrei wirft sich die ganze Meute der feindlichen Ruderboote auf die vier gelähmten Schiffe, die wie vier Türme reglos im Meer starren. Rüden gleich, die sich in einem Sechzehnender verbeißen, hängen sich mit Enterhaken die kleinen Schiffe an die Flanken der großen, mit Äxten scharf in das Holzwerk schlagend, um sie zum Sinken zu bringen, mit immer neuer Mannschaft die Ankerketten emporkletternd, Fackeln und Feuerbrände gegen die Segel schleudernd, um sie zu entzünden. Der Kapitän der türkischen Armada treibt entschlossen sein eigenes Admiralschiff gegen das Transportschiff, um es zu rammen; schon sind die beiden Schiffe wie Ringer ineinander verklammert. Zwar können sich, von ihren erhöhten Borden und durch Haubenpanzer geschützt, die genuesischen Matrosen zunächst noch der Emporkletternden erwehren, noch jagen sie mit Haken und Steinen und griechischem Feuer die Angreifer zurück. Aber bald muß das Ringen zu Ende sein. Es sind zu viele gegen zu wenige. Die genuesischen Schiffe sind verloren.

      Schauriges Schauspiel für Tausende auf den Mauern! So lustvoll nah, wie das Volk sonst im Hippodrom die blutigen Kämpfe verfolgte, so schmerzvoll nahe kann es jetzt eine Seeschlacht mit nacktem Auge betrachten und den scheinbar unvermeidlichen Untergang der Ihren, denn höchstens zwei Stunden noch, und die vier Schiffe erliegen der feindlichen Meute auf der Arena des Meers. Vergebens sind die Helfer gekommen, vergebens! Die verzweifelten Griechen auf den Wällen von Konstantinopel, gerade nur einen Steinwurf weit von ihren Brüdern, stehen und schreien mit geballten Fäusten in ohnmächtiger Wut, ihren Rettern nicht helfen zu können. Manche suchen mit wilden Gesten die kämpfenden Freunde anzufeuern. Andere wieder, die Hände zum Himmel gehoben, rufen Christus und den Erzengel Michael und alle die Heiligen ihrer Kirchen und Klöster an, die Byzanz seit so vielen Jahrhunderten beschützt haben, sie mögen ein Wunder wirken. Aber auf dem gegenüberliegenden Ufer von Galata wiederum warten und schreien und beten ebenso mit gleicher Inbrunst die Türken um den Sieg der Ihren: das Meer ist zur Szene geworden, eine Seeschlacht zum Gladiatorenspiel. Der Sultan selbst ist im Galopp herangejagt. Umringt von seinen Paschas reitet er so tief ins Wasser hinein, daß sein Oberrock naß wird, und schreit durch die zum Schallrohr gehöhlten Hände mit zorniger Stimme den Seinen den Befehl zu, um jeden Preis die christlichen Schiffe zu nehmen. Immer wieder, wenn eine seiner Galeeren zurückgetrieben wird, beschimpft er und bedroht er mit geschwungenem Krummsäbel seinen Admiral. »Wenn du nicht siegst, dann komme nicht lebend zurück.«

      Noch halten die vier christlichen Schiffe stand. Aber schon geht der Kampf zu Ende, schon beginnen die Wurfgeschosse,