im Verborgenen lag. Dort in der Zwischenwelt, dem geheimnisvollen Ort jenseits des Stofflichen. Damtan blickte im dunklen Zimmer umher. Mit seinen scharfen Augen konnte er auch des Nachts gut sehen. Er mochte es sogar besonders gern! Alles war dann so viel klarer in seiner Form, wenn die Farben in den Hintergrund traten. Nachts sah man das wahre Wesen aller Dinge. Das, was sie am Tag hinter ihrer grellen Fassade versteckt hielten. Im sanften Licht des Mondes, das sich soeben durch feine Ritzen in den Raum eingeschlichen hatte, begannen Damtans sonnengelbe Augen plötzlich in der Dunkelheit zu glühen. Und als er sich weiter im Raum umsah, schien es, als würden über dem Bett zwei kleine helle Flammen tanzen. Damtans Zimmer bestach vor allem durch seine Schlichtheit. Es war sehr groß. Aber abgesehen von einem breiten, kunstvoll geschnitzten Bett aus hellem Laubholz, einem ähnlich gefertigten großen runden Tisch mit vielen Stühlen, und einigen verzierten Holztruhen, völlig leer. Damtan wollte es so, denn genau das brauchte er. Raum zum Denken. Um den Strom seiner Gedanken frei fließen lassen zu können. Die klaren Formen hier boten seinem Geist dabei keinen Widerstand. Das Zimmer von Damtan lag hoch oben in einem der vielen Türme der Stadt Felia. Die Sandsteindecke des Raumes, die gleichzeitig auch ein Teil des kuppelförmigen Turmdaches war, floss als Halbrund hinab und begrenzte den kreisförmigen Boden des Raumes. Damtan stand vom Bett auf und schritt zu der großen, zweiflügligen Holztür, die nach draußen auf eine flache, breite, den Turm umrundende Sandsteinplattform führte. Er stieß einmal kurz in der Mitte mit den Händen gegen die zwei Türseiten und schon klappten sie mit Schwung nach außen zu beiden Seiten hin auf. Dann drehte er sich wieder um und schritt zurück in den Raum. Er wollte jetzt Licht und Luft, um noch klarer denken zu können. Damtan ging zum großen Holztisch in der Mitte des Raumes und griff nach einem Krug aus feinem, blauen Ton. Daraus goss er sich Wasser in einen der daneben stehenden, blauen, hohen, schlanken Tonkelche. Damtan trank langsam und bedächtig, Schluck für Schluck. Es machte ihm Spaß, hier mitten in der Nacht zu stehen und über eine Lösung nach zu sinnen. Es war die Freude an der Herausforderung und die Lust am Ungewissen, die ihn antrieb. Damtan stellte den leeren Kelch zurück auf den Tisch und wand sich um. Von der Mitte des Raumes aus, konnte er durch die geöffnete Außentür direkt in den Sternenhimmel hineinblicken. Es war wirklich ein Privileg, so hoch oben zu leben. Das wusste er zu schätzen. Damtan schritt auf die geöffnete Tür zu und hob dabei seine Arme weit über den Kopf, um sich genüsslich zu strecken. Als er hinaustrat auf die große Sandsteinplattform, bewunderte er wie immer zuerst die atemberaubende Aussicht. Nie war sie gleich. Wie oft er auch hierher kam, der Anblick war immer wieder neu und frisch. Die Tageszeit, das Wetter und die Jahreszeiten, tauchten alles in einen ständigen Wandel. Und von hier oben erkannte man das am besten. Hier oben hatte man Abstand zu allem, sah alles dadurch klarer und war doch gleichzeitig so mitten drin wie nirgends sonst. Jetzt hatte die Nacht das umtriebige Felia in sanften Schlaf gebettet. Nur hier und da lugte ein scheuer Lichtschein aus den Häusern hervor. Die Gebäude hoben sich wie schwarze Gestalten gegen den etwas helleren, dunkelblau schimmernden Sternenhimmel ab. Und die Türme waren dabei, ihre langen, schwarzen, ausgestreckten Arme, die gierig nach den hellen Sternen griffen. Die Nachtkälte, Damtan stand immerhin auf dem höchsten Turm der Stadt und die Winde fegten hier oben wild und frei, machte ihm nichts aus. Im Gegenteil. Das kalte Brennen auf seiner Haut, das sich anfühlte wie die kleinen Bisse wütender Insekten, zeigte ihm nur, dass er lebte. Er strich sich sein langes Haar aus dem Gesicht, doch der Wind wollte immer wieder damit spielen. Also musste Damtan es sich mit einer Hand auf dem Kopf festhalten. Sein glattes, feines Haar war von so fahlem Blond, dass es im Mondlicht weiß aufleuchtete. Damtan erhob seinen Blick über das große, weite Felia hinaus in die Ferne. Die Stadt zu seinen Füßen, vor ihm die Dunkelheit und über ihm die Sterne. Seltsamer Weise fühlte er sich hier draußen seinem Traum noch näher. Was er zu bedeuten hatte, konnte er jedoch nicht sagen. Noch nicht! Doch er spürte, so deutlich wie er jetzt hier den kalten Sandstein unter seinen nackten Füßen spürte, dass er bald alles erkennen würde. Womöglich drohte ihm sogar eine Gefahr. Aber wie dem auch sei. Alles würde kommen, wie es bestimmt. So ist es, war es immer und würde es immer sein. Diese Schicksalsergebenheit, nein, diese Schicksalsliebe, die Damtan in sich trug. Sie war es, aus der er seine unerschöpfliche Kraft und Ruhe zog. So auch hier oben, auf der vollkommen ungesicherten Plattform in schwindelnder Höhe und bei stürmischem Wind. Nur wenige Schritte vom tiefsten Abgrund entfernt. Ein Ort, den nur wenige aus Felia freiwillig betraten. Doch Damtan kannte die Wahrheit des Lebens. Wenn der eine es bestimmt hat, dann tanze ich leicht über das höchste Dach oder falle schwer über meine eigenen Füße auf festem Grund. Mein Leben gehört dem Allliebenden! Es wird sein, wie er es fügt und es wird enden wie und wann er es fügt! Das ist alles was ich weiß. Und das ist alles, was ich wissen muss! Damtan liebte diesen Gedankengang und er intonierte ihn stetig. Plötzlich zog der tosende Wind mit einer besonders starken Böe an seinem Haar, das er noch immer oben am Kopf festhielt und lies es am Hinterkopf flattern wie ein helles Tuch. Damtan war, als wolle der Wind ihm etwas zuraunen. Verzerrte Worte trug er mit sich. Sie hallten wie ferne Schreie. Damtans große Raubtieraugen wurden zu schmalen Schlitzen aus denen es sonnenhell funkelte. Drohende Gefahr oder nicht, dachte er und nahm die Hand vom Kopf, so dass sein Haar nun wieder frei im Wind flutete. Das wollen wir doch erst einmal sehen, dachte er gelassen. Und er lächelte, als er mit einer Stimme voll geballter Ruhe, die seine Kraft stärker offenbarte, als jeglicher Schrei es vermocht hätte, sagte: „Komm und zeig dich mir Schicksal!“ Kaum jedoch hatte er diese Worte ausgesprochen, da vernahm er ein Geräusch. Hoch über ihm in der Luft, war das Rauschen von Schwingen zu vernehmen. Sie mussten von gewaltigen Ausmaßen sein und kamen immer näher. Plötzlich schwebte aus der Dunkelheit ein großer, schneeweißer Vogel heran. Schon war er direkt über Damtan. Er verdeckte mit seinen mächtigen, weit ausgebreiteten Schwingen den Mond und verdunkelte den Himmel. Kreischend senkte er sich hernieder, so dass Damtan hinter einem Vorhang aus Federn verschwand. Dann jedoch legte der Vogel seine Flügel an und sowohl Damtan als auch der Mond, kamen wieder zum Vorschein. „Hast du mich also hier oben entdeckt!“, lachte Damtan, griff ausgelassen nach oben und zog spielerisch an dem großen, spitzen Schnabel des Vogels. Denn es war nicht das Schicksal gewesen, das Damtan geantwortet hatte, sondern sein treuer Freund und Wegbegleiter Xelanon. Oder war es am Ende doch das Schicksal gewesen, fragte sich Damtan, als er Xelanon über das Brustgefieder Strich. Womöglich steht eine wichtige Reise bevor? Aber auf jeden Fall ein Abenteuer, das will ich doch schwer hoffen, grinste Damtan voller Vorfreude und bleckte dabei seine spitzen, weißen Zähne, so dass sie im Mondlicht funkelten. Und einen Vorgeschmack davon, den wollte er jetzt schon. Darum fragte er Xelanon: „Wie wär’s alter Freund?! Hast du Lust auf unser Lieblingsspiel? Wollen wir wieder einmal versuchen, den Mond und die Sterne zu berühren? Wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja heute Nacht!“ Xelanon sträubte aufgeregt sein graues Gefieder und lies einen kreischenden Laut ertönen. Damtan lächelte und schwang sich mit einem einzigen, anmutigen Sprung auf den Rücken des großen Vogels. Er griff tief hinein in das dichte Nackengefieder. Und schon drehte Xelanon sich um und stürzte sich mit angelegten Flügeln vorn über in den Abgrund! Wie ein Stein, der unaufhaltsam in die Tiefe fällt. Dann jedoch, als der Boden ihnen beiden schon gefährlich nah entgegen kam, breitete der Vogel endlich seine Schwingen aus und lies sich in die Arme des Aufwindes fallen, als wäre dieser ein alter Freund, dem er voll und ganz vertraute. Und als hätte der Aufwind nur darauf gewartet, ergriff er die weiten Schwingen und hob Vogel und Reiter in atemberaubender Geschwindigkeit hoch hinaus über die Türme der Stadt. Damtan jauchzte vor Vergnügen. Und so flogen die beiden in die Nacht hinein. Frei und ungebunden, einfach immer ihrer Sehnsucht folgend. Und den Sternen entgegen.
20. Kapitel
Stille lag über dem Vorplatz. Eine angenehme, wohlige Stille. Wie das gemächliche, behäbige Vorsichhinträumen eines jungen Samenkorns, das noch in der Erde ruht und darauf wartet, endlich zu erwachen. Die Sonne glitt lautlos über das endlose Blau. Noch befand sie sich auf ihrem flachen, kurzen Frühlingsweg über den Himmel und hatte dabei schon fast wieder ihren Höchststand für den Tag erreicht. Kleine weiße, bauschige Wolken mit rundlich dicken Bäuchen zogen träge an ihr vorbei. Sie warfen vereinzelte Schattenflecken auf die fettig grünen Wiesen. Obschon noch früh im Jahr, so glänzte die Grasebene vor Melan doch schon jetzt in ihrer voller Kraft, wenn der Wind durch sie hindurch strich und die dicken Grashalme sich taumelnd vor ihm verneigten. Und mit ihren weichen, haarbeflaumten, dicklippigen Mäulern zupften und knabberten die Limtaane genüsslich