Im Zentrum der Wut. Irene Dorfner

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Название Im Zentrum der Wut
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742731159



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Du denkst wirklich, dass ich dumm bin, oder?“

      „Wenn das so wäre, hätte ich dich nicht mit an Bord genommen. Ich vertraue dir, kleiner Bruder. In fünf Minuten haut ihr ab und fahrt direkt nach Croydon. Der Wagen steht für dich bereit. Wenn alles erledigt ist, meldest du dich bei mir. Du hältst dich exakt an den Zeitplan und bleibst keine Minute länger. Hast du verstanden?“

      „Klar.“ Carter war sauer auf seinen Bruder, der in ihm immer noch den kleinen, dummen Jungen sah, der er mit seinen zweiunddreißig Jahren längst nicht mehr war. Ob sich das irgendwann mal ändern würde? Wie oft musste er sich noch beweisen, um endlich vor ihm bestehen zu können? Als er von John vor zwei Tagen auf diesen Job angesprochen wurde, hatte er spontan zugesagt, obwohl er bis jetzt immer noch nicht wusste, worum es eigentlich wirklich ging. John wollte in Heathrow Unruhe stiften, das war klar. Aber warum, wollte er ihm nicht verraten und das ärgerte ihn. Diesen Job musste er auf jeden Fall ganz nach Johns Anweisungen hinter sich bringen. Vielleicht konnte er ihn dann endlich davon überzeugen, dass er sich auf ihn verlassen konnte.

      Carter sah sich nach Peter um, der sich eigentlich immer in seiner Nähe aufhalten sollte. Wo war der Trottel? Wütend machte er sich auf die Suche nach ihm. Nur noch drei Minuten und ihr Auftrag war am Flughafen zu Ende. Je mehr Zeit verging, desto wütender wurde er. Von Peter war weit und breit nichts zu sehen. Die fünf Minuten waren längst um. Carter wurde nervös. Dann hörte er Schüsse. Was sollte das? Carter rannte auf die Schussgeräusche zu. Als er Peter sah, wie er auf eine verschlossene Tür schoss, hätte er kotzen können.

      John war kurz vor seinem Ziel angekommen. Der Parkplatz des Tower of London war nicht ganz so voll wie sonst. Es war spät und in einer halben Stunde wurden die Tore der Touristenattraktion geschlossen. Trotzdem tummelten sich immer noch jede Menge Menschen auf dem Vorplatz. John kaufte ein Ticket, wobei er sich von der gelangweilten Frau belehren lassen musste, dass sich ein Besuch jetzt eigentlich nicht mehr lohnen würde. Normalerweise würde er sich einen Spaß daraus machen, die Frau zur Weißglut zu bringen, aber dafür war jetzt keine Zeit, jede Minute zählte. John bedankte sich und ging auf sein Ziel zu.

      Es war Zeit für Phase drei.

      6.

      „Was machst du hier?“, rief Hans Hiebler viel zu laut, als er fassungslos zusehen musste, wie sich Christine Künstle im Flugzeug direkt neben ihn setzte und ihre riesige Handtasche wie selbstverständlich unter seine Füße schob, da bei ihr kein Platz dafür war. Die Tasche war nicht das Problem, es ging um Christine selbst, die er nicht brauchen konnte.

      „Was ich hier mache? Ich fliege nach London. Was dagegen?“

      „Ich weiß, was du vorhast! Nein, du kommst nicht mit, das kannst du vergessen! Du steigst sofort wieder aus!“ Hans war außer sich. Es war ihm klar, dass sich Christine große Sorgen um Leo machte, aber das ging dann doch zu weit!

      „Was erlaubst du dir? Mir hat niemand vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, auch Du nicht!“

      „Ich verstehe, dass du dich sorgst, aber du hast in London nichts verloren! Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet und habe keine Lust, auch noch auf dich aufpassen zu müssen. Einen Klotz am Bein kann ich nicht brauchen. Bitte sei vernünftig und steig wieder aus!“ Hans flehte Christine geradezu an.

      „Ich bin also ein Klotz am Bein? Du musst nicht auf mich aufpassen, dass schaffe ich sehr gut alleine! Und jetzt halt den Mund, bevor ich mich vergesse!“ Christine war stinksauer.

      „Gibt es Probleme?“, fragte die genervte Flugbegleiterin, die nicht scharf darauf war, nach London fliegen zu müssen. Der Anschlag auf Heathrow hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und dabei wurden die wildesten Gerüchte gestreut. Man munkelte, dass Heathrow nicht der einzige Flughafen für einen Anschlag bleiben würde und Stansted, das Ziel dieses Fluges, wurde bereits namentlich genannt.

      „Die Dame möchte gerne aussteigen“, sagte Hans, nachdem Christine nicht reagierte.

      „Nein, möchte ich nicht. Ich habe ein gültiges Ticket und fliege nach London. Sagen Sie dem Herrn, dass er mich nicht weiter belästigen soll.“

      Die Flugbegleiterin war völlig überfordert. Was sollte sie tun? Sie ging zu ihrem Vorgesetzten und schilderte den Fall, während Hans weiter versuchte, Christine zum Gehen zu bewegen. Er brachte überzeugende Argumente vor, die alle an ihr abprallten. Christine sagte kein Wort mehr und blickte nur stur geradeaus. Nichts und niemand würde sie von diesem Flug abhalten können.

      „Was sollen wir tun?“, fragte die Flugbegleiterin verzweifelt. „Du siehst ja selbst, dass der Mann möchte, dass die Frau aussteigt.“

      „Beide haben gültige Tickets. Wenn sie ein persönliches Problem miteinander haben, sollen sie das unter sich klären.“

      „Wäre es nicht besser, wenn wir die beiden auseinandersetzen?“

      „Wenn du jemanden findest, der freiwillig seinen Platz räumt, bezweifle ich, dass die Frau darauf eingeht. Sieh doch nur, wie sie dasitzt. Nein, die gibt ihren Platz nicht auf, die Sorte Frau kenne ich. Spar dir die Mühe, das ist es nicht wert.“

      „Und wenn die beiden Probleme machen?“

      „Dann können wir immer noch reagieren. Lass uns diesen Flug so schnell wie möglich hinter uns bringen. Ich bin froh, wenn ich wieder heil aus England raus bin. Du kennst die Gerüchte um vermeintliche Anschläge?“

      „Leider ja.“ Die Flugbegleiterin stimmte ihrem Vorgesetzten zu. Da es an Bord nur eine kleine Auswahl an Verpflegung gab, hatte sie eigentlich einen ruhigen Flug vor sich. Sie hoffte darauf, dass die beiden Passagiere in Reihe 17 keine Probleme machten, denn darauf konnte sie gerne verzichten.

      Christine kochte innerlich. Was fiel Hans eigentlich ein? Nur, weil sie ein paar Jahre älter war, musste sie sich nicht so dumm von ihm anreden und bevormunden lassen. Hatte er nicht auch Recht mit seinen Argumenten? Mag sein. Leo war in Gefahr und sie würde es sich um nichts in der Welt nehmen lassen, zumindest zu versuchen, ihm zu helfen. Wie sie das anstellen wollte, wusste sie noch nicht, ihr würde zur gegebenen Zeit noch das Richtige einfallen. Die erste Hürde war, nach London zu gelangen und dabei war sie gerade.

      Hans war zwar wütend, aber langsam beruhigte er sich wieder. Je mehr er über Christine und das, was er ihr an den Kopf geworfen hatte, nachdachte, desto mehr schämte er sich. Christine kannte Leo schon sehr viel länger und reagierte so, wie er schließlich auch reagiert hatte. Er versuchte eine kleine Wiedergutmachung, indem er ihr ein völlig überteuertes Getränk kaufte, als die Flugbegleiterin sich näherte. Er konnte an dem Gesicht der jungen Frau ablesen, dass sie Angst hatte. Auch er hatte die Gerüchte um Stansted gehört, glaubte aber nicht daran.

      Christine verschränkte die Arme, als Hans ihr das Getränk reichte. Er klappte ihr kleines Tischchen nach unten und stellte den Becher darauf. Dann lächelte er sie an.

      „Nun komm schon, sei nicht mehr sauer. Du weißt ganz genau, dass ich es nur gut gemeint habe“, sagte Hans versöhnlich, nahm ihre Hand und drückte einen dicken Kuss darauf.

      Christine fühlte sich geschmeichelt und konnte dem treuherzigen Blick kaum widerstehen, aber trotzdem blieb sie stur. Sie hatte großen Durst, aber sie rührte das Getränk nicht an. So leicht wollte sie es Hans nicht machen. Er hatte sie beleidigt und das ließ sie niemandem ungestraft durchgehen.

      Hans bot seinen ganzen Charme auf und bettelte weiter, bis sie sich schließlich erweichen ließ. Es begann eine oberflächliche Unterhaltung, die vor allem die Flugbegleiterin erleichtert registrierte.

      „Wie willst du in London vorgehen?“, wollte Christine wissen.

      „Ich dachte, ich fange beim Scotland Yard an, die für diesen Fall vermutlich zuständig sind.“

      „Denkst du, die lassen uns einfach mitmischen?“

      „Wir werden sehen. Sagtest du eben uns? Du denkst doch nicht im Ernst daran, dass du mich wirklich