Ich wünsch dir alles Gute. Nicole Beisel

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Название Ich wünsch dir alles Gute
Автор произведения Nicole Beisel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847679929



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      »Tills Mutter hat mir erzählt…« Früher war es umgekehrt gewesen. Da hatten Till und Sarah sich gegenseitig Dinge erzählt, von denen ihre Eltern wahrscheinlich bis heute nichts wussten. Jetzt sprachen ihre Eltern mehr miteinander als sie beide selbst. Irgendwie machte sie das traurig. Nichts war mehr wie früher gewesen und nichts deutete darauf hin, dass ihre Freundschaft aus Kindertagen jemals wieder zurückkommen würde…

      Sarah lief noch ein paar Straßen weiter zur Festhalle der Stadt, wo sie vor mittlerweile gut zehn Jahren ihren Schulabschluss gefeiert hatten. An diesen Nachmittag hatte Sarah keine allzu guten Erinnerungen. Die Feier an sich war sehr schön gewesen. Natürlich wurden viele Reden gehalten, es wurden Sketche und kurze Theaterstücke aufgeführt, Lieder wurden gesungen und am Ende wurden die Abschlusszeugnisse verteilt und die Jahrgangsbesten gekürt. Viele stolze Eltern waren im Saal, die mit einem lachenden und einem weinenden Auge erkannten, dass ihre Kinder nun fast schon Erwachsene waren und möglicherweise bald in die Arbeitswelt einkehrten.

      Sarah hielt sich während der Abschlussfeier meist in der Nähe ihrer Eltern und ihrer Freunde auf. Till würde auch hier irgendwo sein, aber da seine Freundin, die in der Parallelklasse war, ebenfalls da war, um ihren eigenen Abschluss zu feiern, hielt Sarah bewusst keine Ausschau nach ihm.

      Während Sarah sich mit ihrer Mutter unterhielt, hatte Till Sarah in einer ruhigen Minute von Weitem entdeckt und beobachtet. Sie war wunderschön. Ihr langes, blondes Haar hatte sie locker zusammen gesteckt, sie war dezent geschminkt und trug ein langes, bordeauxrotes Kleid mit dünnen Trägern und tiefem Ausschnitt.

      Dies war wieder einer von unzähligen Momenten, in denen er bereute, ihr die kalte Schulter gezeigt und sich ihr abgewandt zu haben. Sie fehlte ihm so sehr. Ihre gemeinsamen Unterhaltungen, der Spaß, den sie beide immer gehabt hatten, die vielen, gemeinsam verbrachten Momente.

      Was hatte er nur getan? Obwohl sie sich gerade mit ihrer Mutter Andrea unterhielt, wie er sehen konnte, hatten ihre Augen verraten, welche Trauer sie in sich trug und er ahnte, dass diese Trauer ihm und ihrer Freundschaft gegolten hatte. Auch er musste sehr traurig und nachdenklich ausgesehen haben, denn plötzlich spürte er ein leichtes Zwicken an seinem Arm.

      »Hey, wo schaust du denn wieder hin?« Katja hatte ihn geneckt. Sie schien nicht bemerkt zu haben, dass er ausgerechnet Sarah angestarrt hatte. Schließlich wusste Katja nicht, wer Sarah war und was sie und Till einst verbunden hatte.

      »Ich hab nur geschaut, wer sonst noch so da ist. Die meisten werde ich ja nach dieser Feier wohl nicht mehr sehen.« Katja stimmte ihm zu. »Ja, das ist traurig, aber jeder muss nun seinen eigenen Weg gehen.«

      Während Till sich weiter mit Katja unterhielt, hatte auch Sarah die beiden entdeckt. Leider zu spät, um zu sehen, dass Till sich noch immer nach ihr sehnte und sie bewunderte. In Sarahs Augen war Till glücklich und hatte nun bereits seit mehreren Jahren eine recht hübsche Freundin an seiner Seite. Sarah hätte eher vermutet, dass er sich mehrere Frauen angeln würde, aber er schien ein äußerst treuer Freund zu sein. Zumindest, was Beziehungen anging…

      Traurig wendete sie den Blick wieder ab und lenkte sich mit den restlichen Feierlichkeiten ab. Einige ihrer Freundinnen wollten sich am Abend noch an einem See in der Nähe treffen, um gemeinsam weiter zu feiern. Sarah hatte beschlossen, ebenfalls hinzugehen. Was sollte sie auch alleine zu Hause rumsitzen? Heute gab es allen Grund zum Feiern. Sie hatte die Schule gemeistert und hatte einen tollen Job in Aussicht. Ein neuer Lebensabschnitt stand ihr bevor, und sie freute sich riesig darauf.

      Als die Zeugnisse verteilt wurden, standen alle Schulabgänger nach Klassen getrennt auf der Bühne. Somit standen Sarah, Till und Katja jeweils getrennt voneinander auf der Bühne. Da diese nicht sonderlich groß war, war es schwer, alle Mitschüler links und rechts von sich zu sehen. Till hatte jedoch nicht allzu weit von Sarah entfernt gestanden. Till schielte immer wieder nach links, um einen Blick auf sie zu erhaschen.

      Sarah erwischte sich ebenfalls dabei, wie sie ständig nach rechts sah, um zu sehen, ob Till Ausschau nach ihr hielt, doch er sah jedes Mal stur geradeaus. Als sie ein letztes Mal zu ihm rüber schaute, sah er sie ebenfalls an und fing ihren Blick für mehrere Sekunden ein. Sie sahen sich lange an. Sarah mit ihrer allgegenwärtigen Traurigkeit in den Augen, Till mit einem ebenfalls teils traurigen, teils fragenden Blick. Als würde er ihr sagen wollen, wie leid es ihm tat. Doch das änderte nichts an ihrem Verlust und ihrer Sehnsucht.

      Sarah, Till und all ihre Mitschüler waren nun offiziell – zumindest was die Realschule betraf – Schulabgänger und wurden von der Bühne entlassen. Stolz zeigten die Schüler ihren Eltern ihre Zeugnisse. Sarahs Eltern unterhielten sich gerade mit den Eltern von Till. Sarah begrüßte sie kurz, drückte ihrer Mutter ihr Zeugnis in die Hand und entschuldigte sich mit den Worten: »Ich geh schon mal raus.« Die Eltern waren nicht sonderlich verwundert über ihre Reaktion und ließen sie gehen. An diesem Tag waren wohl alle gefühlsmäßig etwas durcheinander.

      Während Katja sich mit ihren Freundinnen unterhielt, hatte Till gerade noch beobachtete, sie Sarah alleine zur Tür hinausging. Da sich seine und ihre Eltern noch miteinander unterhielten und Katja ebenfalls beschäftigt war, entschloss er sich, Sarah zu folgen. Er hielt dieses Schweigen nicht mehr länger aus. Er musste unbedingt wieder ihre Stimme hören. Sie aus der Nähe sehen. Sie vielleicht berühren, am Arm oder an der Wange, oder sie umarmen…

      Sarah suchte sich an diesem angenehm warmen und sonnigen Spätnachmittag einen kleinen, ruhigen Platz im Schatten. Einige Schüler waren schon auf dem Heimweg und liefen mit ihren Eltern an ihre Autos oder fuhren bereits davon. Nachdenklich schaute Sarah in die Ferne, wo außer Menschen, Häusern und Autos nicht mehr viel zu sehen war.

      Plötzlich erfasste sie ein sehr seltsames Gefühl. Ein Gefühl, von dem sie wusste, dass sie es ganz genau kannte, aber dass es lange her war, als sie es zum letzten Mal verspürt hatte. Sie konnte spüren, wie er sich ihr von hinten näherte. Wenige Sekunden später hörte sie nach sehr langer Zeit seine Stimme, die noch beinahe genauso klang, wie damals, als sie sich noch stundenlang unterhalten konnten, ohne müde zu werden oder sich zu langweilen.

      »Sarah?« Die einzigen Veränderungen in seiner Stimme waren die ungewohnte Tiefe und ein leichtes Zögern, das sie sonst nicht von ihm kannte. Till hatte immer gerade heraus gesagt, was er dachte und hatte nie gezögert, ganz gleich, worum es gegangen war. Diese Art und Weise, wie Till gerade sachte ihren Namen ausgesprochen hatte, war neu für sie gewesen.

      Wie gerne hätte sie sich umgedreht, aber sie hätte sich so sehr geschämt. In nur einer Sekunde gingen ihr so viele verschiedene Gedanken durch den Kopf und ihre Gefühle spielten verrückt. Da waren Wut, Sehnsucht, Liebe, Trauer, Erinnerungen, Freundschaft – und eine Träne in ihrem Gesicht, die Till nicht sehen sollte. Aber selbst, wenn sie sich die Träne nun wegwischen würde, würde er sehen, dass sie geweint hatte. Also drehte sie sich langsam zu ihm um, ließ die Träne da, wo sie war und besann sich, nicht noch mehr zu weinen.

      Sie sah ihm in seine braunen Augen, die ebenfalls feucht gewesen waren von Tränen, die er verzweifelt versucht hatte, zurück zu halten. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und hätte ihn nie wieder loslassen wollen. Aber er hatte eine Freundin, und die würde es sicher nicht gut finden, ihren weinenden Freund in den Armen einer anderen, noch dazu ebenfalls weinenden Frau wiederzufinden. Außerdem war er es, der sich damals zurück gezogen hatte und es wäre in Sarahs Augen schlicht unangebracht gewesen, sich ihm an den Hals zu werfen. Sie musste versuchen, vernünftig zu bleiben, so schwer es auch war.

      Also sah sie ihn nur stumm an und wartete ab, was er ihr zu sagen hatte. Sie hatten sich schon immer auch gut ohne Worte verstanden, und so erwartete er von ihr keine Antwort, sondern sprach weiter, so gut er konnte. Er versuchte, locker zu wirken, was ihm jedoch gründlich misslang. Auch das war neu gewesen für Sarah. »Eigentlich wollte ich dich fragen, wie es dir geht, aber ich glaube, das hat sich damit erledigt.«

      Er schluckte, ehe er weiter sprach. Er wollte sich auf jeden Fall bei ihr entschuldigen und suchte nach einer Erklärung. Allerdings gab es für sein damaliges Handeln nur eine einzige Erklärung, die er jedoch auch nach all der Zeit weiterhin für sich behalten wollte. Was konnte er Sarah nur sagen?

      »Es tut