Ich schulde dir drei Tode. null michelle_werner

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Название Ich schulde dir drei Tode
Автор произведения null michelle_werner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847649472



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      Wieso leben Verstorbene weiter?

       Als er die Tür des Hotelzimmers öffnete, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Vor ihm stand Norbert – lebend – in voller Größe. Dies konnte nicht sein, denn er hatte gestern gesehen, wie dieser in seinem Sessel verstarb. Natürlich hatte er nicht dessen Puls gefühlt, aber die chinesischen Zwillinge hatten ihn doch auf offenem Meer entsorgt! Howard hätte jetzt gern geschrien, hätte in seiner Not nach Ricky gerufen, aber seine Stimmbänder waren wie gelähmt. Norbert sagte kein Wort, sondern schritt einfach an Howard vorbei, ins Zimmer und setzte sich auf ein Sofa, ließ aber dabei Howard nicht aus den Augen.

      „Ich glaube“ begann Norbert, „dass du im Augenblick ganz miese Karten hast. Findest du nicht auch?“

      „Ich habe damit nichts zu tun“, stammelte Howard. Norbert hakte sofort nach: „Womit hast du nichts zu tun? Meinst du mit meinem Ableben hast du nichts zu tun? Oder mit meinem Überleben? Oder was“ schrie er Howard an.

      „Das ist eine Sackgasse“ dachte Howard, und versuchte eine andere Strategie: „Schön dass du da bist, was kann ich für dich tun? Aber beeile dich bitte, weil ich habe bald einen Termin und du weißt, ich hasse Unpünktlichkeit.“ Howard war fast stolz auf diese sprachliche Spitzkehre. Er fand seine eigenen Worte auch recht glaubwürdig.

      „Was du in diesem Leben noch für Termine haben wirst, das bestimme ausschließlich ich“ herrschte ihn Norbert an, und dies nicht gerade in leisem Ton. „Und ich wüsste auch nicht, dass du noch mehr als einen letzten Termin hättest, nämlich den deines eigenen Begräbnisses, obwohl – wenn ich es mir recht überlege – können wir den auch einsparen.“

       Die Ironie dahinter

       Howard konnte sich gar nicht vorstellen, dass Norbert eine Waffe hatte, allerdings sprach dessen verbeulte Sakkotasche, in der auch Norberts Hand steckte, eine ganz andere Sprache. Ironischerweise hatte vor einigen Jahren ausgerechnet Norbert ihm ausgeredet, eine Waffe bei sich zu führen. Howard konnte sich noch genau daran erinnern: „Eine Waffe ist ein Fakt, dass man vor Gericht nicht wegdiskutieren kann. Da klebt dann auch der Vorsatz dran, denn ohne Vorsatz braucht man eine Waffe nicht mitzuführen. Selbst der dolus eventualis rettet dich da nicht mehr.“

       Natürlich hatte Howard noch Waffen, aber zu Hause in seinem Versteck und leider nicht hier. „Wenn ich mich recht erinnere, habe ich doch noch einiges gut bei dir“ konterte Howard nochmals.

       Mach dich doch nicht lächerlich! Und wenn du das anders siehst, dann verkennst du die aktuelle Situation und vor allem deine Lage!“

       Howard unternahm noch einen Versuch, in welchem er Norbert vorhielt, gar keine Waffe zu haben und Norbert gab ihm zur Antwort, dass er das gern mit dem bald Verblichenen diskutieren werde. Howard kam einfach auf keinen grünen Zweig, was immer er auch versuchte. Irgendwann würde das Zimmermädchen kommen, hoffte er, aber auch dies vergeblich, weil Norbert das Schild mit ‚nicht stören‘ an die Türe gehängt hatte.

       Das Telefon läutete und Howard war nur drei Schritte davon entfernt, doch Norbert deutete ihm mit dem Kopf ein striktes ‚Nein‘. Howard war eine solche Situation nicht gewöhnt, denn bisher blieben die Verstorbenen immer im Jenseits! Daher gab es eine solche Situation bisher in seinem Leben nicht. Er war es gewohnt, dass man ihm gehorchte, und wenn nicht, dann gab er die Aufträge für die Beseitigung des Problems. Und das alles ganze genau dann, als er aussteigen wollte – genau wie er befürchtet hatte – am Ende passieren immer die schlimmsten Fehler. Eine Leiche die sich nicht an das Tot sein hielt, war wohl ein ganz schlimmer Fehler.

      „Also was willst du?“ setzte Howard nochmals an. Diesmal würde er kein weiteres Wort sagen, bis Norbert mit einer annehmbaren Antwort herausrückte. Es geschah nichts, außer dass es totenstill wurde. Unter diesen Umständen war das Schweigen verdammt laut.

       Howard griff langsam zu den Zigaretten, die am Tisch lagen. Eigentlich hatte er sich das Rauchen vor gut einem Jahr abgewöhnt, aber er hatte immer Zigaretten dabei, weil er sich sonst nicht sicher war, ob er das auch durchsteht. Jetzt musste es einfach sein und seine Hand zitterte beim Anzünden, was Norbert zu amüsieren schien. Howard musste einige Male kräftig husten, weil er offenbar schon mehr entwöhnt war, als er angenommen hatte. Für Norbert bedeutete dies, dass Howard Halt suchte und schon ziemlich verzweifelt war.

       Ich schulde dir drei Tode

      „Ich schulde dir drei Tode“, sagte Norbert ganz ruhig und gelassen. Eigentlich schade, dass ich dich nur einmal töten kann!“ meinte Norbert.

      Rückblende: Drei Jahre zuvor

      Fred und Max waren zu einem Klassentreffen ins Esplanade gekommen. Fred, der eigentlich Fridolin Steiner hieß, den aber alle nur Fred nannten und Sibelius Max, dem sein Vornamen Sibelius so peinlich war, dass er seit Jahren nur mehr Max genannt werden wollte.

      Vor vier Jahren gab es eine Doppelhochzeit der beiden, natürlich mit deren Ehefrauen Sybille und Martha, aber sie kannten einander schon seit frühester Kindheit. Entwicklungsmäßig war Fred immer ein Stück voraus, aber unter guten Freunden half man einander stets auf die Sprünge. Wozu wäre man denn sonst befreundet? In der Verlobungszeit war das für ein Zeitspänchen anders, als sich Fred nicht zwischen Martha und Sybille entscheiden konnte und Max den Eindruck hatte, dass ihm nur die zweite Wahl übrig bliebe, aber dies war nun schon lange vorbei.

      Beim Klassentreffen fuhren beide mit einem Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse vor, denn man mochte den Kumpels der Vergangenheit gern vor Augen führen, was aus einem geworden war. Dies ließen sich die beiden Freunde schon etwas kosten, denn eigentlich fuhren sie einen Kleinwagen Diese waren so klein, dass sie die Mittelklasse nicht einmal mit einem Fernstecher, mit Nachtsichtgerät erhaschen konnten, aber alle 5 Jahre musste das einfach sein. Vier Jahre hatten sie die Klassenkumpels nicht gesehen und heuer hatten alle Kameraden endlich wieder Zeit. ‚Alle Kameraden‘ meinte in diesem Fall, alle männlichen Kameraden, denn die Mädchen wurden immer schon außen vor gelassen, die trafen sich irgendwann, aber eben untereinander, und ganz woanders.

      Als das kleine Extrazimmer sich langsam füllte, sah es aus, wie ein Meeting von Businessleuten, jedenfalls nicht wie 40-jährige, die auf dem Sprung waren, nochmals richtig durchzustarten. Howard hatte schon am Kopf der Tafel Platz genommen, wie er dies schon immer tat, um seinen Führungsanspruch zu unterstreichen. Zwischen 20 und 30 war es bloß eine riesen Show, aber jetzt schien er am Erfolg und am großen Geld dran zu sein, denn er begann heute schon mit Champagner und Kaviar als H’orderves, obwohl noch gar nicht alle eingetroffen waren.

      Der pummelige Sebastian kam gerade rein und brüllte sein Lieblingswort ‚Hola‘ als Begrüßung in den Raum. Ob ihm schon jemand gesagt hat, dass es auch noch andere spanische Wörter gibt? Er nahm in der Mitte der Tafel Platz, etwa dort wo 3 Uhr war, genau dort, wo die ‚stummen Nicker‘ zu sitzen pflegten.

      Norbert erschien – anders konnte man das nicht ausdrücken – im Raum, und selbst das Personal kannte ihn, denn er war der Einzige der regelmäßig in den Medien zu sehen war. „Guten Abend Herr Dr. Fleissner“ sagte der Kellner, der ihm ganz beflissen den Sessel zurecht rückte. Norbert lehnte dankend ab, denn er mochte noch einen Drink an der Bar nehmen. Zu seinem Spiel gehörte es, seinen Auftritt erst dann zu zelebrieren, wenn schon alle auf ihn warteten, nicht aber vor halb versammelter Mannschaft auf die Unpünktlichen Loser zu warten.

      Chin und Chou, die chinesischen Zwillinge waren gerade gekommen und auch in ihren Gesichtern spiegelte sich eine gewisse Zufriedenheit, aber die beiden betrieben ihre Geschäfte schon seit gut 15 Jahren. Ihre vier Bodyguards waren wie immer mit dabei, doch Chin deutete ihnen, dass sie nicht in diesem Raum bleiben sollten, denn hier schienen sie unter Freunden zu sein.

      Norbert sah dem Treiben zu und begrüßte mit einem dezenten Kopfnicken zwei der Bodyguards, die er schon mehrmals erfolgreich verteidigt hatte. Irgendwann würden