Neukonzept. Elisa Scheer

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Название Neukonzept
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562812



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gerade plante, auf den Kugelschreiber-, Fineliner- und Füllermarkt vorzudringen. Tiefenbacher hatte auch einen Werbeprospekt, den anscheinend noch Veit senior eigenhändig und zittrig entworfen hatte. Richtig rührend! Ansonsten behauptete er, bei dieser Firma stimme etwas nicht – aber was... nein, er habe bloß so ein komisches Gefühl.

      „Na toll“, sagte Leonie, „wahrscheinlich gerate ich da in wüste Intrigen und am Ende zieht Veit den Auftrag zurück und Petersen putzt mich runter.“„Herr Petersen putzt Sie ganz bestimmt nicht runter. Ich bin sicher, er weiß, dass bei Veit etwas im Argen liegt. Schauen Sie sich einfach mal um. Und halten Sie Herrn Petersen auf dem Laufenden – das wollte er doch?“„Ja. Und Sie? Soll ich Ihnen jeweils eine Kopie der Mails schicken?“Tiefenbacher schüttelte den Kopf. „Davon hat Herr Petersen nichts gesagt. Ab und zu, wegen des Konzepts, okay. Und ich höre ja auf jeden Fall von Ihnen, wenn Sie technische Fragen haben oder etwas brauchen, nicht?“

      Leonie verabschiedete sich seufzend und kehrte in ihr Kämmerchen zurück. Was um Himmels Willen war das denn für ein schräger Auftrag?

      Sie studierte den Prospekt. Sehr altmodisch, wirklich... die Bleistifte waren dunkelgrün lackiert und trugen in Fünfziger-Jahre-Schnörkelschrift in Gold die Aufschrift Veit; es gab sie in drei Härten und wahlweise mit und ohne Radiergummi am Ende. Bescheidenes Angebot. Altmodisch eben – und dafür ein ganz neues Werbekonzept?Man könnte das Altmodische zum Kern machen, überlegte Leonie. Tradition... Stifte, mit denen schon Bismarck an der Emser Depesche herumgebastelt hat... aufwendige Anzeigen, wegen der Kostüme. Aber die Hoflieferantenmasche zog immer ganz gut. Sie machte sich Notizen.Oder Leisenberger Gewächs, sozusagen. Örtliche Arbeitsplätze, kurze Wege, ökologischer Ansatz. Nicht wie Joghurt, der nach Polen gekarrt wurde, damit die dort um zwei Cent pro Zentner billigeren Erdbeeren hineingerührt werden konnten. Also a) Tradition und b) Bodenständigkeit... wie konnte man das Design entsprechend anpassen?Sie war schnell so in ihre Aufgabe versunken, dass sie erst verspätet merkte, dass zwei Leute von der Fenstergruppe in der Tür standen.„Äh – Frau Sambacher?“

      Tobias Späth und Gabi Treuchtlein, mal wieder.

      „Ja, was gibt´s denn?“ Die beiden rissen einen doch immer wegen irgendwelchen Blödsinns aus den besten Ideen!

      „Ja, also... es ist wegen der Astrid, nicht?“„Sie hat zum nächsten Ersten gekündigt, ich hab´s schon gehört“, antwortete Leonie geduldig. „Wissen Sie übrigens zufällig, warum?“„Ja, weil sie doch jetzt diesen Zahnarzt hat, nicht?“, erklärte die Treuchtlein. „Und der will, dass sie bei ihm die Buchhaltung macht. Da spart er eine Sprechstundenhilfe ein.“„Aha“, machte Leonie, „Ehering statt Gehalt und Rentenansprüchen? Ich hätte Frau Weiters für gescheiter gehalten. Oder hat sie wenigstens für einen wasserdichten Ehevertrag gesorgt?“„Äh – ich glaube nicht, dass sie den heiraten will“, meinte Späth und trat von einem Fuß auf den anderen, „mehr so – zusammenziehen.“Wieder machte Leonie „Aha“ und verzog das Gesicht: „Das heißt, unbezahlter Job ohne Arbeitsvertrag und mit Option auf einen zusätzlichen Putzjob? Haben Sie ihr das mal klar gemacht?“„Wir haben es versucht“, gab Späth zu. „Aber sie ist eben verliebt, nicht?“, ergänzte die Treuchtlein. „Was wir aber eigentlich fragen wollten: Haben Sie eine Idee, was wir ihr zum Abschied schenken könnten?“„Einen Ratgeber“, antwortete Leonie mürrisch. „Dein Recht als ausgebeutete Geliebte oder so. Eine Küchenschürze wäre wohl zu grob, was? Die gesammelten Werke von Eva Heller... ein Emma-Abonnement - gibt´s Emma überhaupt noch?“„An ein Abo haben wir auch schon gedacht, vielleicht Home&Garden oder so... der Zahnarzt hat eine Villa in Henting, hat sie erzählt. Emma kenne ich gar nicht.“„Das ist die einzige Emanzenzeitschrift, die es je gegeben hat“, erklärte Leonie müde, „aber die wird ihr wahrscheinlich nicht gefallen, wo sie jetzt gerade in ihr Unglück rennt. Ja, gut, so ein Abonnement könnte ganz passend sein. Und wenn etwas nicht klappt, soll sie sich bei uns rühren, wir bringen sie schon wieder unter. Wollen Sie eine Feier machen?"„Am dreißigsten, das ist doch ein Freitag. So ab vier? Hier im Büro?“

      „Hier drin?“, fragte Leonie erschrocken.

      „Nein, nein, draußen natürlich. Würden Sie sich beteiligen? So mit zehn Euro?“„Klar.“ Sie gab Späth zwanzig. „Passt schon. Was haben Sie sich denn vorgestellt? Ein Buffet? Soll jeder etwas mitbringen? Dann sollten wir aber mal den Bürokühlschrank entrümpeln, da tobt sicher schon wieder das Leben drin.“„Iih“, machte die Treuchtlein, „das sind bestimmt wieder deine abgelaufenen Fruchtzwerge, Tobi.“

      „Ja, wenn jeder etwas mitbringt, das wäre wohl das Beste... Könnten Sie wieder diesen Super-Garnelensalat machen? Der ist einfach toll.“ Leonie versuchte, nicht geschmeichelt dreinzuschauen, und versprach den Salat.

      „Und versuchen Sie, Frau Weiters ein bisschen Vernunft beizubringen“, bat sie die beiden, die schon im Gehen waren, „damit sie sich von ihrem Zahnarzt nicht völlig über den Tisch ziehen lässt.“Sie vertiefte sich wieder in den mickrigen Prospekt. Hatte Petersen nicht was von Expansion gesagt? Nein, Tiefenbacher... Füller und so – im gleichen Design? Bei Füllern gab es drei Möglichkeiten – poppig (Zielgruppe: Schüler unter sechzehn, rosa Herzchen oder Fußballer...), traditionsfixiert (ältere Herren und Leute, die ab und an eine wichtige Unterschrift leisten mussten) und spacig, aus gebürstetem Edelstahl (Managertypen jeden Alters und Geschlechts). Wenn man natürlich das Poppige mit dem Edelstyle verbinden könnte – niemand war so markengeil wie Teenager, deshalb ja die dauernden Debatten über Schuluniformen - das brächte Umsatz. Vielleicht mehrere Linien. Oder das Poppige bei den Finelinern, damit schrieben die Schüler doch sowieso am liebsten. Und für Erwachsene schöne Sets – Füller, Kugelschreiber, Druckbleistift, dünner Marker... und ja keine eigenständige Patronenform, das schreckte bloß ab. Die Standardform war das Beste. Überhaupt, gute Tinte in interessanten Farben – und wirklich gute Kuliminen, die nicht schmierten – oder wollte Veit das nicht selbst produzieren? Sie notierte sich die Fragen in ihren Filofax auf einer neuen Seite und schrieb groß VEIT darüber.Halb fünf – sollte sie da noch anrufen? Ach, warum nicht?Bei Veit schien die Linke nicht zu wissen, was die Rechte tat, jedenfalls dauerte es etwas, bis sie zu Patrick Veit durchgestellt wurde, der am Telefon recht sympathisch klang, aber reagierte, als habe er von XAM! und dem entsprechenden Auftrag noch nie gehört. Na, vielleicht wollte er nur solche Dinge nicht am Telefon besprechen? Oder er war nicht der, mit dem Petersen gesprochen hatte. Hatte der nicht Marius geheißen? Gab´s da eine Doppelspitze? Egal, am Montag würde sie es ja sehen. Dieser Patrick bat sie jedenfalls am Montag um Viertel nach acht zu sich und erklärte auch, wie er zu finden war. Damit war das Problem auch abgehakt.

      Leonie stellte aus älteren Kampagnen einen netten kleinen Ordner zusammen, der ihre bisherigen Erfolge widerspiegelte, und fand dann, dass es für heute reichte – draußen war es ohnehin schon verdächtig ruhig.

      Tatsächlich, als sie nachschaute, war niemand mehr da – aber natürlich hatten sie wieder mal das Licht angelassen. Das beschrieb diese Bande ziemlich gut, fand sie und musste grinsen. Rasch löschte sie die Lichter und klemmte sich ihre Tasche und ihre frisch zusammen gestellte Mappe unter den Arm, dann schloss sie alles ab und verzog sich auch ins Wochenende. Auf dem Parkplatz standen nur noch vier Wagen außer ihrem eigenen – ein großer dunkler BMW, der wahrscheinlich Petersen gehörte, ein schrottreifer Polo der allerersten Generation (der musste älter sein als sie selbst, überlegte sie), ein VW-Bus, der sie an Zurück in die Zukunft erinnerte und ein gesichtsloser silberner Japaner.Wem die anderen Wagen wohl gehörten? Sie schloss ihren Golf auf und stieg ein. Vielleicht sollte sie bei Veit vorbeifahren, damit sie am Montagmorgen nicht kostbare Zeit damit vertrödelte, den Laden zu suchen. Heisenbergweg... das konnte nicht allzu weit weg sein, nachdem die XP im Max-Planck-Weg residierte. Eigenartig, dass die Zollinger MiniCity nicht nach irgendwelchen Wirtschaftsgrößen benannt war, wenigstens Friedrich List oder Alfred Krupp, sondern nach Wissenschaftlern, die mit der kommerziellen Umsetzung ihrer Erkenntnisse nicht viel am Hut gehabt hatten, soweit sie wusste.Sie studierte den Plan: Wenn sie den Max-Planck-Weg bis zur nächsten Ecke fuhr und dann die Einsteinstraße nahm (die örtliche Hauptstraße) und die nächste wieder links fuhr, dann musste sie doch eigentlich im Heisenbergweg landen... Dann war Veit ja genau hinter ihnen? Sie hätte zu Fuß gehen können, einfach