SILBER UND STAHL. Nicole Seidel

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Название SILBER UND STAHL
Автор произведения Nicole Seidel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738096156



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"Herzog Eduan von den Rosen und seine schöne Gemahlin Pratziana hatten zu diesem Zeitpunkt eine fünfzehnjährige Tochter namens Rosalea und einen achtjährigen Sohn, den sie Diederic tauften. Die Prinzessin war dem einfluss-reichsten Grafen aus Malleore versprochen, aber zu einer Hochzeit kam es nie. Es heißt, das Mädchen habe damit gedroht sich umzubringen, wenn man sie mit den Malleorischen Grafen verheiratete und dieser hätte vor Zorn über diese Zurückweisung eine Zauberin nach Hengfors geschickt. Diese verfluchte das aufmüpfige Mädchen und verbannte sie in den höchsten Turm der Burg der Rosen. Dort schläft sie bei Tag und geht in den Burgruinen des Nachts als blutdürstende Striege um."

      "Das liegt nun fünfundzwanzig Jahre zurück; hat den nie jemand versucht den Fluch zu brechen?" fragte Geralt neugierig geworden.

      Die beiden Reiter folgten einem wenig genutzten Weg durch eine fruchtbare Ebene mit lichten Waldstellen und saftigen Niederungen. Ihre braunen Reittiere liefen im Schritt und Geralts Pferd Plötze zupfte ab und an einige besonders saftige Gräser vom Wegrand.

      Aryan schüttelte den Kopf. "Nicht dass ich mich erinnere. Die Herzogfamilie verließ ihre verfluchte Burg und ließ einen Schutzwall aus dornigem Gestrüpp um das Gemäuer errichten. Seither opferte man einmal die Woche ein größeres Tier der Bestie in der dornenumwucherten Ruine."

      "Wurden der Malleorische Graf oder die Zauberin je zur Rechenschaft gezogen?" wollte der Hexer weiter wissen.

      Der grübelnde Soldat hob seinen Stumpf und hatte sich damit am Kinn graulen wollen. Seufzend erinnerte er sich, dass er dort ja keine Finger mehr hatte. "Es kam nie zum Krieg mit Malleore. Nie wurde eine Beschuldigung ausgesprochen. Auch die alte Zauberin hat man nie gefunden. Der Herzog hatte alles schweigend hingenommen. Es schien, als gäbe er sich selbst die Schuld am Unglück seiner Tochter."

      "Und all die langen Jahre leben die Hengforser Seite an Seite mit der Striege in ihrer Mitte?" Innerer Grimm zeichnete sich auf seinem markant-ernsten Hexergesicht ab. Das warwieder so ein typisch menschliches Verhalten, sich resignierend seinem unwidrigen Leid hinzugeben. Die Menschen jammerten gerne und viel ihres üblen Schicksal, aber sich aufraffen um daran etwas zu ändern, dazu fehlte den meisten der Wille. Einer der Gründe, warum Hexer durch die Lande zogen...

      "Ganz selten verirrte sich ein unwissender Wanderer in die Rosenburg und wurde von dem Untier getötet. Sie verlässt nie die Burgmauern und tagsüber schläft sie. Die Menschen unterhalb der Burgruine arrangierten sich damit." Aryan zuckte mit den Schultern.

      "Sie stört nicht", murmelte Geralt mit eiskalter Stimme und ließ sein Pferd antraben, als sie aus einer Baumgruppe traten und sich eine strauchbewachsene Ebene vor ihnen ausbreitete.

      Anderntags tauchten vor ihnen die ersten Gehöfte auf und einige Dörfer säumten ihren Weg nach Hengfors. Die Straße, der sie folgten wurde breiter und ab und an von weiteren Reisenden benutzt; meist Händler oder Bauern, die ihre Waren zum nächsten Markt transportierten. Getreide wuchs auf den bestellten Äckern und auf den abgezäumten Weiden grasten scheckige Kühe, dicke Schafe und einige magere Gäule.

      Bauern und Hirten allen Alters und Geschlecht blickten den bewaffneten Reitern misstrauisch entgegen, wiesen ihnen aber wortkarg die Wegrichtung, wenn Aryan freundlich danach fragte.

      Kinder unterbrachen ihre lautkreischenden Spiele, wenn sie den großen sonderbaren Hexer erblickten, der sein weißes Haar unter einer Kapuze versteckte. In dieser Gegend kamen nur selten Krieger durch, die bis unters Kinn mit riesigen Silberschwertern bewaffnet und in schweren genieteten Rüstungen gekleidet waren.

      Die beiden Kämpfer übernachteten für einige Kupferorens in den Scheunen einer Herberge und ihre Reittiere konnten sich an einem Sack Hafer sattessen. Sie selbst erfreuten sich an einer fleischhaltigen, warmen Mahlzeit und schäumend bitterem Bier.

      "Morgen erreichen wir die Stadt Hengfors. Dann trennen sich wohl unsere Wege." Der einhändige junge Mann löffelte noch etwas ungelenk die letzten Reste Eintopf mit seiner ungeübten linken Hand aus der hölzernen Schüssel. Den eingebundenen Stumpf hatte er auf den Schüsselrand gelegt.

      Geralt nickte stumm.

      2

      Bevor Geralt in die Grenzstadt hineinritt, gewahrte er rechterhand hinter einem riesigen Gestrüppwall einen mit roten Rosen umwucherten hohen Turm und die Überreste eines dreistöckigen Herren¬hauses, dessen Dach irgendwann einmal eingestürzt war. Die Rosenburg des Herzog von Hengfors, wie ihm Aryan offenbarte; der sich kurz darauf von ihm verabschiedete.

      Hengfors war eine von Menschenhand erbaute ummauerte Stadt am Grenzfluss Braa. Eine mächtige Brücke führte über den sanft fließenden Strom und war Scheitelpunkt für ein vielgenutztes Straßennetz nach Caingorn, Malleore und Talgar im Norden und der Bogenküste folgenden Straße nach Blaveken im Süden Redaniens. Und doch war das Treiben nicht so emsig und chaotisch wie in den Hauptstädten, die meist auf Elfenruinen errichtet worden waren. Geralt von Riva fand sich in einer Stadt wieder, deren Tumult weitaus gemäßigter einherging, als er zunächst gedacht hatte. "Ein verschlafenes Provinzstädtchen", murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.

      Doch wegen dieses überschaubaren gemäßigten Stadtlebens fiel der fremde Reiter umso mehr auf. Und es dauerte nicht lange, da stellten sich ihm mit langen Hellebarden bewaffnete und in roten leichten Rüstungen gekleidete Soldaten in den Weg. Auf ihren Lederharnischen prangte die weiße Rose des Herzogs von Hengfors. Unerwartet löste sich ein Hauptmann aus dem Trupp von sechs Stadtwachen und griff in die Zügel von Plötze. Geralt sah schweigend über diese Frechheit hinweg.

      "Halt, Fremder. Weist euch aus und teilt uns den Grund eures Hierseins mit." Schneidend durchbrach die Befehle erteilend gewohnte Stimme des Hauptmanns die aufgekommene Stille.

      Geralts Blick schweifte unter der Kapuze über die Szenerie um sich herum, ohne dabei groß den Kopf zu drehen. Die Stadtbewohner verharrten neugierig und schweigend. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Solcherlei misstrauische Begrüßung war der Hexer gewohnt, daher zollte er das ungehobelte Getue des Hauptmanns der Stadtwache mit keinem Wimpernschlag. Mit seiner behandschuhten Rechten streifte er sich die Kapuze vom Kopf. Es folgte ein mehrstimmiges Raunen, als die Menschen seiner pigmentfreien Gestalt angesichtig wurden.

      "Seht seine Augen!" raunte es durch die Reihen der erstaunten Hengforser. "Wer ist das?" - "Was ist das?"

      Über Geralts eisigem Antlitz huschte ein teufelgleiches Grinsen dann sagte er mit grabeskühler Stimme: "Ich bin Geralt von Riva, ein Hexer. Ich bin gekommen, um euch vom Fluch der Striege zu befreien."

      Ob die Stadt überhaupt von diesem Fluch befreit werden wollte, konnte der Hauptmann nicht alleine entscheiden und führte den zielstrebigen Krieger zu seinem Herrscher. Der alte Herzog Eduan von den Rosen empfing den dreisten Hexer in seiner zweistöckigen Stadtresidenz. Seine ergraute, noch immer hübsche Gemahlin Pratziana saß linkerseits. Zu seiner Rechten saß sein zu einem stattlichen Mann herangewachsener Sohn Diederic. Die Blicke der adligen Personen ruhten abwartend auf dem vom Staub der langen Reise besudelten weißhaarigen Krieger.

      Der grauhaarige, faltige Herzog beriet sich flüsternd mit seiner Gemahlin, bis er sich schließlich Geralt zuwandte. "Ihr habt den langen Weg umsonst getan, Geralt von Riva. Wir benötigen die Dienste eines Hexers nicht."

      "Wollt ihr euch nicht von dem Ungeheuer befreien? Wollt ihr auf immer und ewig die Striege füttern und nie mehr eure Tochter in die Arme schließen?" Lässig hatte Geralt seinen linken Daumen in den Gürtel gestemmt und hielt seine ausgezogenen Handschuhe in der rechten Hand. Das abweisende Gerede des Herzogs schien ihn um einen gerechten, notwendigen Lohn zu bringen.

      Die greise Herzogin Pratziana schluckte traurig einen Widerspruch hinunter und die Hand ihres Gemahls legte sich beschützend auf ihren Arm.

      "Ich habe seit sehr langer Zeit keine Tochter mehr. Sie ist mir durch eine grausige Vorsehung genommen worden. Und irgendwann, wenn meine Gebeine längst vermodert sind, mag auch sie ins Totenreich eingehen. Dort werde ich sie wieder in meine Arme schließen können." Des Herzogs Blick schweifte kurz in weite Ferne. Dann fasste sich der alte Edelmann wieder und richtete ein abschließendes Wort an Geralt von Riva: "Ihr dürft euch gerne einige