Название | Begnadet - Buch 1-2 |
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Автор произведения | Sophie Lang |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742741516 |
ILU Engel
Musste früher los.
SeeU
Darunter ein verkümmertes Herz. Zeichnen war noch nie seine Stärke. Ich schenke der Haftnotiz einen Handkuss, flüstere: I love you too, ziehe Slip und Nachthemd aus, schnappe mir die Zahnbürste und stelle mich Zähne schrubbend unter die Dusche.
Beim Einseifen fallen mir gleich zwei Dinge auf. Ich habe schon wieder einen Piekser in der Armbeuge und jetzt noch zusätzlich eine gerötete Stelle neben meinem Bauchnabel. Vage versuche ich mich daran zu erinnern, was letzte Nacht zwischen Levi und mir lief. Als mir keine vernünftige Erklärung einfallen will, beschließe ich, im Laufe des Tages irgendwo Halt zu machen und Mittel gegen Stechfliegen oder Insektenvernichtungszeugs zu kaufen, mit dem ich das Bett ausräuchern werde. Vielleicht sollte ich zuvor aber noch Levi fragen, ob ihm der Geruch etwas ausmachen würde, grüble ich, während ich mich abtrockne, Jeans und BH anziehe. Ich föhne meine Haare und lege an meinem Gesicht letzte Hand an.
Schließlich blicke ich erwartungsvoll in den Spiegel. Eine Augenweide bin ich noch immer nicht. Meine dunkelbraunen, glatten Haare hängen links und rechts von meinem Gesicht, gerade wie ein Duschvorhang, auf meine Schultern herunter. Die Frisur ist mir halbwegs gelungen. Aber die Ränder unter meinen Augen sind fast so dunkel und grün wie meine Augen selbst. Sieht nicht besonders gesund aus.
Mit dunklem Kajal und hellem Makeup helfe ich nach und so langsam erkenne ich die 20jährige junge Frau wieder, von der Levi nicht seine Finger lassen kann. Man sieht es mir an, dass ich keine deutschen Wurzeln habe. Italienisch, spanisch und lateinamerikanisch, vermute ich.
Ich muss an meine Adoptiveltern denken. Meine Adoptivmutter hat mich verlassen, als ich sechs war. Genauso wie meine echte Mutter mich verlassen hat, weggegeben hat. Damals war ich erst zwei. Ich kann mich eigentlich überhaupt nicht mehr an sie erinnern. Es existiert nur ein verschwommenes Gesicht vor meinem inneren Auge. Aber das könnte auch eine ganz andere Person sein.
Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt. Es wäre ein Glücksfall, wenn ich das auch von meinem Adoptivvater und seinem Sohn behaupten könnte.
Meine Eingeweide ziehen sich zusammen, als weitere Erinnerungen in mir aufsteigen wollen. Bilder des pompösen Hauses, in dem wir wohnten. Es steht heute noch in Oberau, einem der drei südlichen Stadtteile von Freiburg. Ich war dort seit Jahren nicht mehr. Seitdem ich von dort geflohen bin.
Ich sehe meinen Oberkörper im Spiegel, die Narben, die niemals verschwinden werden, die mich immer daran erinnern werden, was in jenem Haus Schreckliches mit mir passiert ist.
Ich flüchte mich mit meinen Gedanken an andere Orte. Sehe mich im Sommer als kleines Mädchen bis an die Flussufer der Dreisam laufen. Dort lasse ich mir die frische Luft ins Gesicht wehen und lausche der Stille der Natur. Ich flüchte mich in die Farben der Weinhänge, egal zu welcher Jahreszeit, verschlinge sie mit meinen Augen in meiner Fantasie. Ich flüchte mich in die Ruhe, die mich umgibt, in die Erinnerung an mondlose Nächte, in denen ich unbemerkt das Haus verlassen habe und abgehauen bin. Als ich mich in den leichten Nebeln versteckte, bis ich gefunden wurde.
Es funktioniert. Mein innerer, seit Jahren antrainierter, Schutzmechanismus funktioniert. Beschützt mich vor meinen eigenen Erinnerungen.
Ich unterdrücke erfolgreich Ängste und Tränen, die nur meinen Kajal verwischen würden. Ich nehme ein paar dunkle Strähnen und verberge damit die fast verblasste Narbe, die quer von meiner linken Schläfe bis zu meinem Ohr verläuft. Auch ein Geschenk meines Bruders.
Und dann holt mich meine andere Vergangenheit ein. Die Zeit, die ich im Heim verbrachte. In der ich allein war. Ungeliebt. Niemand hat verstanden, warum ich solche Angst hatte und ich habe nie verstanden, warum ich den anderen Kindern mit meiner Zurückgezogenheit Angst einjagte. Ich war immer die, die anders war. Die Fremdartige, Unnahbare, von der man sich fernhielt.
Aber das alles war besser als mein Bruder, der, unter der Aufsicht seines Vaters, seine sadistischen Gewaltfantasien an mir ausleben durfte.
Mein Atem geht schneller und mein Herz schlägt mir plötzlich bis zum Hals. Aeia, konzentriere dich auf das Positive. Auf das Positive, sage ich zu dem Spiegelbild, das mich anstarrt. Ich versuche, meinen Schutzwall wieder zu aktivieren.
Denke an Anne.
Anne, meine Adoptivmutter, war wundervoll. Sie schenkte mir jeden Tag die größte Kraft im ganzen Universum. Die bedingungslose Liebe einer Mutter.
Sie kannte meine wahren Wurzeln und akzeptierte mich einfach so, wie ich war.
Ich lege mir meinen Schutzengel um den Hals und streiche zweimal über das Medaillon. Betrachte die feine Goldarbeit im Spiegel.
Sie hat ihn mir gegeben, kurz bevor auch sie mich verlassen hat. Damals war ich sechs.
Ich schaffe es. Wische die Erinnerungen endgültig fort.
Alle.
Ich habe jetzt Levi und er würde mir nie etwas Schreckliches antun. Er wird mich hoffentlich niemals verlassen.
Ich bin liebenswert und ich kann sehr gut für mich selbst sorgen. Das ist es, was ich Levi zeigen will.
Meine Füße tragen mich über kühle Fliesen in die Küche, die gleichzeitig auch Wohn- und Esszimmer ist. Ich setze einen Kaffee auf, schmiere ein Marmeladenbrot und entdecke das getrocknete Blut auf dem Stück Papier auf dem Tisch.
Aeia - Blut
Das Papier ist grau, faserig und alt wie Pergament.
Das Blut ist meins.
Ich sehe es noch in jeder Einzelheit vor mir, wie der rote Saft begierig von dem Vertrag aufgesaugt wurde. So als hätte er schon lange nur auf diesen einen Moment gewartet, so als hätte er nach meinem Blut gedürstet.
Ich lege das Marmeladenbrot aus der Hand, halte den Vertrag zwischen meinen Fingern. Ihn mit einem Tropfen meines Blutes und dem Abdruck meines rechten Daumens zu besiegeln, sollte mich vielleicht misstrauisch stimmen. Andererseits hat es auch etwas Spannendes an sich. Etwas Geheimnisumwobenes umgibt das TREECSS-Institut. Ein Blick auf die Küchenuhr drängt mich zur Eile. Ich gehe ans Fenster und rufe wie jeden Morgen nach meiner Katze Inka, die heute noch nicht zum Fressen erschienen ist. Vergebens. Sie kommt nicht.
Ich stelle ihr eine Tagesration Trockenfutter vor die Wohnungstür und ein paar Minuten später habe ich unsere kleine Studentenwohnung verlassen und steuere auf meinen Käfer zu, den ich in der Straße parallel zum Colombipark abgestellt habe.
Ich bin gerade im Begriff einzusteigen, als mich etwas Kleines, Schwarzes, Miauendes davon abhält. Inka kommt klagend und erzählend aus der Hecke, die die Straße vom dahinterliegenden Park abtrennt. Sie miaut wie eine Katze, die einen guten Fang gemacht hat. Einen Vogel oder vielleicht auch eine Maus.
Oh nein. Ich bringe es nicht übers Herz. Falls das kleine Ding noch leben sollte, muss ich ihm helfen. Ich beuge mich zu Inka hinunter, in der Hoffnung, nichts Totes zwischen ihren Fängen zu entdecken.
»Na, was hast du denn da?«, frage ich meine kleine Heulsuse, die sich nun schnurrend um mein Bein herumwickelt. Ich sehe, was sie stolz zwischen den Zähnen herumträgt. Sehe weder Fell noch Federn, nur Blut und Fleisch. Bevor mir das Frühstück hochkommt, wende ich mich ab. Da gibt es nichts mehr zu retten.
Plötzlich lässt Inka ihren Fang fallen und als ich begreife, was es ist, was da zu meinen Füßen liegt, wird mir doch übel. Ich stupse das Ding mit meinem Fuß an und verfolge geschockt, wie ein abgetrennter Daumen ein Stück wegrollt.
Irritiert stehe ich da und beobachte meine Katze, wie sie ihn ableckt.
»Igitt, Inka. Lass das!«
Ich bewege mich