Heinrich. null michelle_werner

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Название Heinrich
Автор произведения null michelle_werner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847646839



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ich dir noch nicht, denn das würdest du mir gar nicht glauben, das muss man selbst gesehen haben – wenigstens einmal im Leben muss man dies gesehen haben, sonst hat sich dein Leben gar nicht gelohnt“ sagte sie zum Gast. „Aber wenn du ans Ufer gekrochen bist und dich wieder innerlich aufgerichtet hast, dann werde ich es im Ausdruck deiner Augen sehen und dann werde ich dich dort erwarten, um dir die wunderbare Welt, die nur auf dich wartet, zu offenbaren“ ergänzte sie mit sanfter Stimme.

      Viele Gäste nannten sie nur, ‚der grüne Engel‘ weil sie meistens eines ihrer grünen Kleider anhatte und weil sie den Menschen aus der Patsche half, in die sie sich oft selbst gebracht hatten. Später im Gespräch sahen sie das auch ein und verstanden, dass sie sich selbst ändern mussten, wenn das, was sie bisher machten, nicht funktioniert hatte.

      Berta hatte niemals die Absicht, einen Mann für sich selbst abzuschleppen, denn sie sprach nicht aus Eigennutz, sondern um Menschen so gut sie dies konnte, ein wenig unter die Arme zu greifen. Natürlich wusste sie auch, dass einige ihrer Kolleginnen sich ihr Geld auf andere Weise verdienten, aber das wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Sie respektierte die Menschen, mit denen sie sprach, und sie auszunehmen wäre eine Sprache, die sie gar nicht erst versuchen wollte.

      Der stille Beobachter

      Eines Abends zu später Stunde kam dann Willi in die Bar, setzte sich in eine dunkle Ecke und wartete auf das Service um seine Bestellung abzugeben. Eine der Damen fragte ihn, ob sie sich dazusetzen dürfte, aber Willi lehnte dankend ab. Er wollte keine Unterhaltung führen und auch nichts anderes, sondern einfach nur dasitzen und nachdenken. Dafür nahm er gern in Kauf, dass die Getränke hier etwas mehr kosteten als in einem anderen Lokal.

      Der Pianist kam aus seiner Pause zurück und spielte ‚Smile‘ von Nat King Cole und er sang den Text, den Willi zu verstehen versuchte. „Lächle, obwohl dein Herz schmerzt, lächle, sogar wenn es zerbricht…“

      Willi dachte sofort wieder an seine Eltern, die er heute Nachmittag besucht hatte. Sie hatten ihn etwas gefragt, eigentlich sogar gebeten und nun wusste er nicht, wie er sich entscheiden sollte. Er hatte in dieser Frage zwei Seelen in seiner Brust und beide liebten die Eltern gleichermaßen und doch widersprachen die beiden Seiten des Problems einander. Er hatte nur zugesagt, darüber nachzudenken, aber jetzt konnte er weder vor noch zurück. „Wenn es doch eine dritte Möglichkeit gäbe“, dachte er.

      Willis Blick fiel auf Berta und er sah den Geschehnissen an der Bar gedankenverloren zu. Natürlich konnte er wegen des Pianisten kein einziges Wort verstehen, welches dort gesprochen wurde, aber dies brauchte er auch nicht. Es war wie ein Film, der vor ihm ablief, mit Gesten, Bewegungen, mal heftiger, mal sanfter Mimik und dazu die sanfte Musik, welche die Spannung langsam abzubauen schien. Dieses zufällige Zusammenspiel von Körpersprache, Handbewegungen, Blickkontakten und den Melodien faszinierte ihn. Für ihn war das ganz großes Kino und jedes Wort hätte dieses Schauspiel zerstört. Dennoch sah er genau auf die Lippen, ob er irgendetwas erkennen konnte. Obwohl er die Lippenbewegungen nicht lesen konnte, sah er, wie die Zähne zwischendurch aufblitzen, wie ein Lächeln über das Gesicht des Mannes huschte, und dann wieder seine hektischen Handbewegungen.

      Zwischendurch dachte er wieder an seine Kummerfalte, doch er konnte seine Augen nicht von der Szene an der Bar losreißen und so kam er gar nicht dazu, über seine eigene Lösung nachzudenken.

      Über zwei Stunden sah er dem Schauspiel zu und der Mann an der Bar hatte inzwischen einen völlig gelösten Gesichtsausdruck. Willi wusste noch nichts von den Talenten des grünen Engels, aber er registrierte doch, dass ein eigener Zauber von der Situation ausging.

      Der Gast an der Bar bezahlte seine Rechnung und Willi nutzte die Gelegenheit, seine Verbindlichkeiten zu begleichen. Fast gleichzeitig verließen beide die Bar.

      „Es ist spät geworden“, dachte Willi, aber er wollte noch etwas in Erfahrung bringen. „Entschuldigen sie“, sprach er den anderen Mann an und fuhr dann fort: „Ich spreche normalerweise keine fremden Menschen an, aber ich möchte nur zu gern wissen, was an dieser Bartheke geschehen ist!“

      Der Fremde wandte sich Willi zu und erwiderte: „Sie meinen den grünen Engel? Sie hat mich vor einer großen Dummheit bewahrt und mir ein phantastisches Land gezeigt, von dem ich gar nicht wusste, dass es so etwas gibt. Man könnte auch sagen, dass sie mich an einem Abend von der Hölle in den Himmel geführt hat. Sprechen sie ruhig mal mit ihr, sie werden es nicht bereuen.“ Dann zog der Fremde seinen Mantelkragen hoch und ging die Straße hinunter. Willi wollte sich noch bedanken, aber der Fremde war schon um die nächste Ecke verschwunden.

      In dieser Nacht schlief Willi sehr schlecht, er hatte immer wieder Alpträume die ihn öfters aufwachen ließen. Am nächsten Morgen fühlte er sich wie gerädert. Abends dachte er kurz daran, wieder in diese Bar zu gehen, aber er war zu groggy und ging lieber schlafen.

      Wieder einen Abend später fand sich Willi erneut in der Bar ein. Wieder saß ein Mann beim grünen Engel und so nahm Willi an seinem Lieblingstisch Platz. Vielleicht würde die Bardame später allein sein. Vor Willis Augen spielte sich wieder ein ähnliches Spiel ab und dies bedeutete für Willi einen winzigen Funken der Hoffnung. Als der Mann an der Bar schließlich gegangen war, verließ Willi der Mut und er sah zu, dass er heimkam.

      Bei seinem nächsten Versuch, am Sonntag, vermisste Willi diese besondere Frau und er brachte in Erfahrung, dass sie ihren freien Tag hatte. Vielleicht sollte er die Zeichen richtig deuten und hier nicht mehr herkommen? Andererseits drängte aber sein Problem nach einer Lösung und er war in dieser Frage um keinen Millimeter vorangekommen.

      Du wärst nicht hier, wenn

      Also besuchte er dienstags wieder die Bar und wurde fast wie ein Stammgast begrüßt. Dies war Willi ein wenig peinlich, denn er hatte doch gehofft, sich in der Anonymität verstecken zu können, aber dann hätte er wohl nicht so oft in so kurzer Zeit vorbeikommen dürfen.

      Er bemerkte sofort, dass Berta alleine an der Bar saß, und so setzte er sich zu ihr. Sein Herz pochte heftig, denn er wusste nicht, was da auf ihn zukam.

      Die beiden unterhielten sich recht gut, wobei es Willi strikt unterband, sein Problem zu erwähnen. Nachdem sie miteinander warm geworden waren, sprach ihn Berta ganz direkt auf seinen Kummer an. „Du wärst nicht hier, wenn es keine Not in deinem Leben gäbe. Ich sah dich die letzten Male und du warst an keinem amourösen Abenteuer interessiert. Erzähle mir doch bitte einfach, wo der Schuh drückt – es sei denn du hast eine bessere Idee, wie du dein Problem lösen kannst, dann solltest du jenen Weg wählen!“

      Willi fand, dass sie Recht hatte und so begann er zögerlich zu erzählen. „Ich habe vor ein paar Jahren den Laden meiner Eltern übernommen, eine winzige Pizzeria. Vielleicht kennen sie das ‚Luigi‘ sogar, es liegt genau unter der Autobahnbrücke. Früher lag es an der Hauptstraße, aber jetzt fahren alle über die Autobahn und da trägt sich das Geschäft mehr schlecht als recht. Inzwischen wohnen meine Eltern im ‚Seniorenheim zur Linde‘. Am liebsten würde ich die Pizzeria schließen, aber meine Eltern kommen einmal im Monat hin und da bring ich es nicht übers Herz, das Luigi zu schließen, denn sie hängen so sehr daran.“

      Berta hatte aus seinen Worten nicht entnommen, dass er etwas anderes lieber machen würde und außerdem hatte er kein Wort von Schulden oder Insolvenz erwähnt, und daher konnte diese Pizzeria nicht das Problem sein. Also hakte sie nicht ein, sondern fügte nickend nur ein Wort hinzu:

      „Und?“ fragte sie kurz und bündig.

      Willi wollte nun endlich mit dem Problem herausrücken. „Und jetzt sind meine Eltern schon sehr alt und auch ziemlich krank. Die Ärzte meinen, dass sich ihr Zustand nicht mehr bessern wird und die beiden Leutchen wissen dies auch. Daher haben sie sich von einem früheren Kunden etwas besorgt, um damit ihr Leben zu beenden. Der Arzt im Heim und die Krankenschwester weigern sich aber, ihnen Sterbehilfe zu leisten. Alleine können sie es nicht mehr und sie haben auch viel zu sehr Angst, dass dabei etwas schief geht und dann würden sie vielleicht für Jahre an einer Maschine hängen. Also haben sie mich gefragt – und ich – . „Mitten im Satz