Название | Chinesische Lebensweisheit |
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Автор произведения | Richard Wilhelm |
Жанр | Зарубежная психология |
Серия | |
Издательство | Зарубежная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742734181 |
LEBENSWEISHEIT
Impressum
„Chinesische Lebensweisheit“ von Richard Wilhelm
Erstveröffentlichung: 1922
Cover, Überarbeitung: F. Schwab Verlag
Neuauflage: F. Schwab Verlag – www.fsverlag.de sagt Danke!
Copyright © 2018 by F. Schwab Verlag
Inhalt
ERZIEHUNG ZUM GEMEINSCHAFTSLEBEN
CHINESISCHE SCHICKSALSBEHERRSCHUNG
VOM SINN DES LEBENS
Die Besinnung über das Leben, die über die Stammes- und Volkstradition in Religion und Sitte hinaus sich vorurteilslos mit den Tatsachen des Lebens beschäftigt, pflegt immer in Zeiten zu entstehen, da aus irgendwelchen Gründen neue Gedanken in den Gesichtskreis der Menschen eintreten, da das, was bisher als selbstverständlich hingenommen wurde, durch schwere gesellschaftliche und nationale Erschütterungen ins Wanken kommt. So entstand in Israel der Prophetismus in dem Moment, als der kleine Nationalstaat Israel hineingerissen wurde in den Wirbel der Weltmachtkämpfe um die Vorherrschaft im westlichen Asien. So entstand die griechische Philosophie in Kleinasien in dem Zeitpunkt, da von Asien her neue Mächte und neue Gedanken immer stärker an die Ufer des griechischen Geistes brandeten. Und ganz ähnliche Erschütterungen waren es, die zur Entstehung der chinesischen Lebensweisheit geführt haben. Gewiß spielen die inneren Anlagen der Menschen dabei eine Rolle. So ist es kein Wunder, daß der israelitische Prophetismus eine religiöse Erscheinung wurde, während der vorzugsweise auf Anschauung gerichtete griechische Geist mit den Anfängen der Philosophie zugleich der Wissenschaft von der Natur sich zugewandt hat und der chinesische Geist die Lebensweisheit als ein Feld zu bearbeiten begann.
Von einer eigentlichen Philosophie in China kann man reden seit Lautse und Kungfutse. Von Kungfutse können wir Geburts- und Todesjahr genau angeben. Er lebte von 551-479 vor unserer Zeitrechnung. Lautse mag etwa zwanzig Jahre älter gewesen sein. Die Verhältnisse nun, die in China dazu führten, daß diese Männer daran gingen, über das Leben nachzudenken und Ergebnisse der Lebensweisheit zu suchen, waren sehr schwerer Art. Kungfutse hat ein Werk verfaßt, das er Frühling und Herbst nannte, in dem vom Aufgang und Niedergang von Staaten die Rede war. Die Zeit, die dieses Werk umfaßt, reicht ungefähr dreihundert Jahre weit in die Vergangenheit zurück. Außerdem haben wir in der Liedersammlung des Kungfutse Material, das mindestens ebenso alt, zum Teil noch älter ist. Aus diesen Quellen und verschiedenen andern eröffnet sich uns ein Einblick in die Verhältnisse jener Zeiten, der wahrhaft erschütternd ist. Diese dreihundert Jahre sind im wesentlichen in China eine dreihundertjährige Kriegszeit gewesen. Einerseits beunruhigten von Norden her die hunnisch-mongolischen Stämme das Reich, auf der andern Seite erhoben sich im Süden die beiden Fremdstaaten Tschu und Wu – am Yangtse und südlich davon – zu immer größerer Macht. Im Zentralgebiet, dem eigentlichen China, verging in jenen drei Jahrhunderten kein Jahr ohne Kampf. Das alte China war ursprünglich aus einer sehr großen Anzahl von Lehnstaaten unter einer zentralen Königsgewalt zusammengesetzt gewesen. Aber während die Zentralgewalt immer mehr zu einem bloßen Schattendasein herabsank, vergrößerten sich immer mehr die mächtigeren Lehnsstaaten auf Kosten ihrer schwächeren Nachbarn, so daß die Zahl der selbständigen Staaten immer mehr zusammenschrumpfte und auf der andern Seite die mächtigeren Landesfürsten immer mehr die volle Souveränität an sich rissen. Statt des Königs übernahmen der Reihe nach fünf solche Landesfürsten die Hegemonie im Reich, während der König ein willenloses Spielzeug in der Hand des jeweils mächtigsten unter ihnen war. Wieviel in jenen Jahrhunderten Staaten vernichtet, Herrscherhäuser ausgerottet, Menschen getötet wurden, wieviel Blut geflossen und Eigentum zerstört worden ist, weiß niemand zu sagen. Unsägliches Leid lag auf der Bevölkerung, die natürlich immer letzten Endes die Zeche zu bezahlen hatte. Eine Umschichtung der Gesellschaftsklassen ging damit Hand in Hand. Vornehme wurden gestürzt, Niedrige kamen empor. Die festgeordneten Rangstufen des Altertums verloren ihre Bedeutung. An Stelle der alten Rangstufen trat ein neuer tiefgreifender Unterschied. Die Gegensätze von Arm und Reich machten sich immer schärfer fühlbar. Ansätze zum Kapitalismus mit regelrechter Ausnutzung der sozial schwächeren Kreise zeigen sich ganz deutlich. Die Regierung der einzelnen Staaten war mit wenigen Ausnahmen willkürlich und tyrannisch.
Selbstverständlich wurden durch solche Zustände auch innerliche Reaktionen hervorgerufen. Die alte Natur- und Ahnenreligion mit ihren festen Formen war ein Rahmen gewesen, innerhalb dessen sich in ruhigen Zeiten gar wohl das Leben eines Bauernvolkes unter patriarchalischen Einrichtungen bewegen konnte. Allein die Not der Zeit brachte neue Fragen und Aufgaben mit sich, auf die man sich in neuer Weise einstellen mußte. So finden sich denn auch im Liederbuch gar manche Ansätze einer inneren Durcharbeitung der Fragen, die so drohend und unausweichlich am Himmel standen. Natürlich sind die Stimmungen verschieden nicht nur nach den Verhältnissen, sondern auch nach der Gemütsart der verschiedenen Volksschichten, denen die Dichter angehörten. Wir finden eine Richtung, die sich einfach der Klage hingibt. Man liebt das Vaterland, man möchte das Beste, aber die Not der Zeit ist zu übermächtig. Teuerung und Hungersnot kommen nach dazu. Ach, daß doch Gott vom Himmel dreinsehen wollte! Aber wo ist er? Hört er überhaupt auf Menschenflehen, da droben der weite, mitleidlose, blaue Himmel? So kommen mit der Klage Zweifel hervor: keine Lästerungen, keine radikale Gottesleugnung, aber die Anschauung, daß eben auch der Himmel seine Schwächen und Fehler hat – ein anderes Mal hilft er ja wieder, und in der Regel zeigt er sich gut und mild –, so daß es eben überhaupt nichts Vollkommenes gibt. Eine andere Richtung ging über diese sanfte Trauer hinaus. Sie wandte sich dem prinzipiellen Pessimismus zu. Es ist alles hoffnungslos schlecht, was ist. Viel besser nie geboren als solches Elend durchmachen müssen. Hier finden wir auch die Vorbilder der stolztrotzigen Einsiedler, die entschlossen der Welt den Rücken kehren und untertauchen in den Fluten der Anonymität. Man findet sie als Bauern, als Sklaven, als Knechte, in Wäldern, am Meeresstrand. Sie sind sarkastisch. Sie wissen, es hilft alles nichts, darum geben sie sich keine vergebliche Mühe. Manche unter ihnen kannten auch wohl eine geheimnisvolle Innenwelt, in die man Eingang findet durch mystische Schau, indem man Verzicht leistet auf alles äußere Handeln und Machen. Kungfutse hat unter solchen „verborgenen Heiligen“ gar viel zu leiden gehabt, die mit unbarmherziger Kritik sein Bestreben geißelten. Lautse stand ihnen nahe.
Eine weitere Richtung war die Gesinnung frommer Ergebung ins Schicksal. Wenn es schlecht ging, so war das Fügung des Himmels, des Übermächtigen, gegen den kein Menschentrotz half. Was will der kleine, machtlose Mensch in solchem Falle machen? Nichts bleibt ihm übrig als sich zu fügen und ruhig zu sein, ob etwa der Sturmwind wieder vorüberginge und auf Regen bald wieder Sonnenschein folgen möchte.
Andere wieder wandten sich mehr einer unmittelbar praktischen Lebensweisheit zu. Sie hatten weltverachtende Grundsätze und sahen, daß man nichts machen könne, um die Welt zu verbessern. Warum also sollte man an solche fruchtlosen Gedanken seine besten Kräfte setzen? Noch hatte man ja die Genußfähigkeit. Noch hatte man den Wein, den Sorgenlöser, und noch konnte man singen und so seinem Herzen Luft machen. Wozu also