Wintermärchen. Wolfgang Bendick

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Название Wintermärchen
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742794963



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hatte er hier einen kleinen Vorrat. Da konnte er mit einem an einem Ast hängenden Kescher jederzeit den passenden Fisch fangen! Jeder holte sich eine Angel aus dem Unterstand, Hiesel brachte Köder, die sehr dem Flascheninhalt ähnelten. Da ich schon ziemlich lang Vegetarier war, sagte mir das Ganze nicht viel. Ich saß eine Weile mit den Freunden auf dem sonnenbeschienenen Damm. Zuerst fielen mir die Augen zu, dann sank ich zurück ins hohe, trockene Gras.

      Anscheinend war der Fang reichlich gewesen. Die ausgenommenen Forellen lagen auf dem Grill und schauten mich mit ihren ermattenden Augen an. Manche waren in Stanniolpapier gewickelt, das sei schonender. Duften taten sie ja ganz gut. Das erinnerte mich an Zeiten, wo wir diese mit den Händen unter Steinen aufspürten, um sie dann heimlich auf einem Lagerfeuer zu braten. Denn Fischen war in Bayern verboten. Für Lausbuben zumindest. Aber diese baybarische Zeit ist ferne Vergangenheit. Heute ist man Vegetarier! Nur so werden einst alle Kriege ein Ende finden. Respektiere das Leben, selbst in seinen niederen Formen! Ich labe mich beim nun folgenden Gelage nur an den in Alupapier gerösteten Kartoffeln und Gemüsen, dazu etwas Käse, auf einen Stock gespießt und über dem Feuer zum Schmelzen gebracht, bis er Blasen wirft. Nur die Alufolie verdirbt mir etwas den Genuss. Warum machen wir so viel Sondermüll, nur für ein schonend zubereitetes Essen? In der Herstellung dieser Folie steckt mehr Energie als im Essen selber! Außer mir scheint sich niemand Fragen zu stellen. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Gläser klirren aneinander, Gesang und Stimmen hallen durch das Tal, Ferdi hat eine größere Tüte gedreht. Jetzt, im Dunkeln, bemerkt niemand, wenn sie die Runde macht.

      Da, plötzlich – ist es eine Halluzination? – schälen sich aus dem Dunkel mehrere uniformierte Gestalten und nähern sich. Carabinieri, so heißen die Bullen hier. Doch was haben die hier zu suchen? Haben sie unseren Rauch bis auf die Straße gerochen? Das kann doch nicht sein! Solch feine Nasen haben nur die Parfümmacher! Rudi hält den Atem an und lässt den Joint unauffällig im Kohlebett der grillenden Forellen verschwinden. Sie tippen zum Gruß leicht mit zwei Fingern an den Mützenschirm. Aller Augen wenden sich ihnen zu. Hiesel erblickt sie und begrüßt sie freudig wie alte Bekannte. Er führt sie an den Nebentisch und holt ein paar knusperige Forellen vom Grill. Die Unterhaltungen flackern wieder auf. Bald schmatzen die Uniformierten wie normale Sterbliche und sprechen dem Wein zu. Dann der übliche Grappa zur Verdauung. Die wenigen noch übrigen Gäste machen sich auf den Weg.

      Das war wohl der private Teil. Jetzt komm das Geschäftliche. Hiesel bringt einen ganzen Karton mit seinen Weberknecht-Flaschen und stellt ihn auf den Tisch. Die Carabinieri holen jeder aus ihren Taschen abgelöste Zoll- oder Steueretiketten, jene, die bei einer im Geschäft gekauften Flasche den Korken versiegeln. Ohne zu zählen steckt er sie ein. Vertrauen gegen Vertrauen! Dann, nach einem kurzen, dienstlichen-privaten Gruß, schnappt sich jeder, sichtlich zufrieden, ein paar Flaschen und taucht im Dunkel unter. Hiesel holt eine Tube Kleber und klebt auf die Hälse der in seiner Hütte stehenden Flaschen so eine Marke. Jetzt kann jeder Kunde sie kaufen, ohne dass bei einer Kontrolle auffällt, dass es sich um Schwarzbrand handelt!

      Am Abend laufen wir durch Girlan. Wir begegnen fast nur Männern in blauen Schürzen, die durch die Gassen huschen. Sie kommen aus einer der Kellertüren, überqueren die Gasse, um in einer anderen Tür wieder zu verschwinden. Manchmal halten sie eine Weile vor einem Baum inne, um, wie die Spuren zeigen, diesen zu gießen. Irgendwie hatten sie einen eigenartigen Gang. Wie ein Seemann auf einem stampfenden Schiff, oder wie ein Sizilianer bei einem Erdbeben. Wir wollten es genau wissen und setzten uns auf eine Bank, um zu beobachten. Ein sonderbarer Geruch lag in der Luft. Wie von etwas Gekochtem. Wir sahen die Männer aus Türen kommen und wieder in welchen verschwinden. Dahinter konnten keine Bordelle sein, denn soo oft… „Lass uns mal einfach in so eine Tür reingehen!“ schlug Ludwig vor und stand auf. Wir gingen also zu einer der Türen, in der gerade so eine Blauschürze verschwunden war. Stimmengewirr drang gedämpft durch das dicke Holz, ein schwacher Lichtschein zeichnete die Umrisse ab. Wir klopften höflichkeitshalber an. Nichts tat sich. Ich drückte gegen die Tür. Sie gab nach. Jemand hatte uns bemerkt, winkte uns herein und schloss schnell die Tür hinter uns.

      Welch ein Anblick! Wir fühlten uns ins Mittelalter zurückversetzt! Unter einem großen Gewölbe, getragen von mehreren dicken Pfeilern, stand eine Gruppe von blau beschürzten Männern im schwachen Licht um so etwas wie einen Waschkessel herum, worunter ein Feuer loderte. Sie waren in einer ernsten Diskussion vertieft und jeder hielt in einer Hand ein Glas. Ein weiterer Kesseleinsatz war, durch einen Ring von feuchten Tüchern abgedichtet, umgekehrt auf den unteren gestülpt. Das, was sonst als Abfluss diente, ragte also in die Luft. Darauf hatte man einen dicken Gartenschlauch geschoben, der zu einem spiralförmig gebogenen Kupferrohr führte, welches in einem mit Wasser gefüllten Fass verschwand. Wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass dieses Rohr unten wieder aus dem Fass herauskam. Darunter stand ein Eimer, in den eine klare, wasserartige Flüssigkeit abtropfte, in der so etwas wie ein Thermometer schwamm. Nur, dass das kein Thermometer war, sondern ein Dichte-Messgerät. Und dass es sich nicht um Wasser handelte, sondern um „Grappa!“ rief Ludwig aus, als er von dem Glas, das man ihm gereicht hatte, probierte. „Grappa, wie beim Hiesel in Kaltenbrunn!“ Den Hiesel kannte jeder hier in Oberetsch. Und diesen Grappa mit dem seinen zu vergleichen, war höchstes Lob. Darauf wurden die Gläser neu gefüllt. Und neu geleert. Der Atem blieb mir stehen. Mir wurde heiß bis in die Ohrenspitzen. Ich bekam einen Keuchhusten.

      „Aber warum brennt ihr nachts?“ wollten wir wissen. Die anderen lachten über so viel Unwissenheit. „Das heißt doch Schwarzbrandt, daher muss das nachts gemacht werden!“ Alle grölten vor Lachen. Doch dann wurde er ernst. „Früher hatte jeder Bauer das Recht zu brennen. Die Zeiten haben sich leider geändert. Jetzt haben nur die großen, meist italienischen Brennereien das Brennrecht. Und was sollen wir Kleinen mit unseren Trestern, die beim Keltern anfallen, machen? Wir können sie doch nicht roh an die Schweine verfüttern. Da kriegen die einen Leberschaden! Also kochen wir sie ab. Sterilisieren sie. Da halten sie auch länger. Und, um niemanden mit dem Geruch zu belästigen, fangen wir die Abgase auf und lagern sie in Flaschen.“ Er näherte sich unseren Ohren, tat geheimnisvoll. „Nachts schlafen die vom Steueramt.“ Wir mussten uns ein weiteres Mal einschenken lassen. Das war nicht das auf 40 Prozent verdünnte Souvenir für Touristen, oder für Gasthäuser, das war Sprengstoff, hochkonzentriertes natürliches Nitroglyzerin!

      Einer der Männer winkte uns, mit ihm zu kommen. Wir dankten der Brennmannschaft und stellten die Gläser ab. Wir folgten unserem Führer auf etwas unsicheren Beinen durch die Tür. Die Welt draußen war verändert. Ein Halo umgab die schwachen Straßenlaternen. Unsere Schritte hallten laut auf dem Pflaster. Alle schwankenden Gestalten, denen wir begegneten, zwinkerten uns wie alte Kumpel zu. Und schon durchschritten wir mit unserem Führer die nächste Kellerpforte. Auch hier umstanden Männer einen Kessel, andächtig wie Priester den Altar bei einem feierlich zelebrierten Hochamt. Aus dem Stimmengewirr tönte öfters das Wort „ostia“, was dem Ganzen fast etwas Sakrales gab. Doch war dieses an diesem Ort eher ein viel benutztes ‚Bindewort‘. Man reichte uns Gläser und wir tranken sie ehrfürchtig aus. Mit jedem Glas floss der Trestertrunk leichter hinab. Wir bemerkten, dass sich bei den Leuten die Nasen veränderten, je mehr sie tranken. Wie bei Pinoccio, wenn er log. Ging bei jenem die Nase in die Länge, so wurde sie bei diesen dicker und röter. Und an einer violett-blauen Knolle im Gesicht konnte man die Profis aus den Amateuren herauslesen. Am nächsten Morgen schliefen auch Ludwig und ich bis zum Mittag. War ja verständlich, nach so einer anstrengenden Nacht. Als wir aufstanden, war unser erster Gang zum Spiegel.

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