Mordsriecher Tatort Böblingen. Heinrich Düllmann

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Название Mordsriecher Tatort Böblingen
Автор произведения Heinrich Düllmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738091717



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Sie sicher?«

      Der Arzt blickte ihm in die Augen und setzte die Untersuchung unbeeindruckt fort.

      »Ja, wirklich. Ich bin mit der Operation einverstanden«, entgegnete er gefasst und schaute dabei Doktor Strohbeck an.

      »Ich gebe Ihnen aber auf jeden Fall eine kreislaufstärkende Spritze!«, erwiderte Sascha Kienle.

      »Nein, das ist nicht mehr nötig!«

      »Doch, Papa, die Spritze hilft dir«, bestärkte Linda. Gert konnte es immer noch nicht fassen, dass Linda keine Angst mehr vor Spritzen zu haben schien, wo sie früher schon bei Erwähnung des Wortes losbrüllte.

      »Wenn es denn sein muss, dann machen Sie doch, was sie nicht lassen können. Aber danach will ich meine Frau sehen«, antwortete er patzig.

      »Das geht natürlich. Bei der Operation allerdings können Sie nicht dabei sein. Ich bleibe bei Ihnen, bis mein Kollege zurück ist.«

      Wenig später stand er mit der Spritze in der Hand wieder vor Gert. Ohne weitere Erklärungen griff er seinen Arm und setzte die Spritze an.

      »Siehste, Papa, du hast gar nicht gebrüllt!«

      »Ja, Knuddel, ich fühle mich schon viel besser.«, reagierte er ein wenig schmunzelnd.

      »Gehen Sie mit mir!«, bat Doktor Strohbeck.

      »Mein Kollege bleibt so lange bei Ihrer Tochter.«

      »Ich will mit!«, protestierte das Mädchen energisch. Während die Männer sich kurz anschauten, rannte sie schon Richtung Intensivstation. Kienle erwischte sie gerade noch vor dem Öffnen der Tür.

      »Also gut, du darfst mit, Linda, aber du musst dich ganz ruhig verhalten und darfst nichts anfassen. Versprichst du mir das?«

      »Ja, Herr Doktor«, entgegnete sie sehr folgsam.

      »Noch was. Wir müssen alle eine Schutzkleidung anziehen«, erklärte der Mediziner.

      »Schööön«, antwortete sie begeistert, denn bei der Krankenhaustour hatte sie bereits eine anprobieren dürfen, was ihr viel Spaß gemacht hatte.

      Gert und Linda waren fassungslos, als sie Clara sahen. Sie waren einiges von der Unfallstelle her gewohnt, doch dieser Anblick schockierte sie. Sie trauten sich nicht, sie zu berühren, weil so viele Schläuche an ihrem Körper angeschlossen waren und die Apparate ständig Geräusche machten. Das flößte ihnen Angst ein. Linda klammerte sich ans Hosenbein des Vaters. Gerade hatten sich die beiden vom ersten Schock erholt, da bat sie der Arzt, sich zu verabschieden.

      »Darf ich meine Frau zum Abschied streicheln«, fragte Gert verunsichert.

      »Ja, natürlich«

      Er streichelte Clara mehrmals übers Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.

      »Du schaffst das, Clara! Ich liebe dich!«, flüsterte er ihr zu. Währenddessen zerrte Linda kräftig an seinem Hosenbein:

      »Ich will Mama einen Kuss geben!«

      Gert hob sie hoch.

      »Höher«, bat sie. Linda küsste ihre Mutter auf die Wange und sagte ihr:

      »Wir klettern bald wieder!«

      Ihre Mutter hatte extra für sie eine Kletterwand in ihrem Spielzimmer errichten lassen, an der sie bergsteigen lernte.

      »Komm, Linda, jetzt müssen wir gehen«, sagte der Vater und trug sie aus der Intensivstation. Nach dem Ausziehen der Schutzkleidung gingen die beiden mit dem Arzt in den Warteraum.

      »Es ist besser, wenn Sie mit Ihrer Tochter nach Hause gehen. Die Operation kann sehr lange dauern. Wir benachrichtigen Sie sofort über das Ergebnis.«

      »Wir bleiben!«, antwortete er kategorisch.

      »Okay, wenn Sie etwas brauchen, bitte klingeln!«

      Der Arzt verließ die beiden.

      »Linda!«

      Er bückte sich zu seiner Tochter hinunter.

      »Ja, was ist Papa?«

      Sie schaute ihn gespannt an.

      »Eben bei Mama, habe ich mich gefragt, ob du dich an den Sturz erinnern kannst?«

      Er stockte, weil sie den Kopf senkte. Gert fasste sie an die Schultern, worauf sie ihn betrübt ansah und schleppend antwortete:

      »Nein, Papa! Ich kann mich an nichts erinnern!«

      »Vielleicht ist das ganz gut so«, rutschte es ihm heraus, was ihn ärgerte. Er nahm seine Tochter in die Arme, um seine Verlegenheit zu überspielen. Danach spazierte er wie vorher unruhig und getrieben im Wartezimmer umher und drehte seine Runden. Er war dermaßen in seiner Angst und seinen Befürchtungen gefangen, dass er Linda nur noch vernebelt wahrnahm, die verstört den mal hastigen und dann wieder schleppenden Schritten ihres Vaters folgte. Sie musste etwas tun, dachte sie und stellte sich kurzerhand mit Friedi in seine Laufbahn.

      »Papa, nicht traurig sein. Mama wird wieder gesund. Wir besuchen sie oft!«

      Überrascht und erstaunt zugleich blickte er seine Tochter an. Bevor er reagieren konnte, sprach sie ihn erneut an:

      »Vorwärts leben, Papa!«

      Das Mädchen nahm ihren Vater an die Hand und zog ihn aus dem Zimmer, was er sich widerstandslos gefallen ließ. Er ging mit Linda wie ferngesteuert aus der Klinik und registrierte erst am Ausgang, dass sie ohne Auto gekommen waren. Ein herbeigerufenes Taxi brachte sie augenblicklich nach Hause.

      Kapitel 3

      Sehnsüchtig wartete Gert auf einen Anruf aus dem Krankenhaus. Linda schlief in ihrem Zimmer. Er hatte versucht, auf dem Sofa einzuschlafen, doch ohne Erfolg. Sitzend oder liegend hielt er es nicht aus, er brauchte Bewegung, sodass er unruhig durch die Wohnung ging. Der Fernseher lief als Geräuschkulisse. Als er die Balkontür öffnete, um zu rauchen, stockte ihm der Atem. Er starrte auf das Geländer, das er durch das Wohnzimmerlicht in Umrissen wahrnahm. Bewegungslos, fast ehrfürchtig, verharrte er in dieser Stellung, die Zigarette im Mund und das Feuerzeug in der Hand. Kurz darauf schloss er die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf. Es war wie bei einem Tischtennismatch, in dem der Ball hin und her geschossen wird: Ich kann nicht gehen ... Clara, Clara ... Hätte ich es doch nur verhindert ... Die Schuldgefühle zerreißen mich ... Clara, es tut mir leid ... Wie soll ich weiterleben? Er gab sich Backpfeifen, um die quälenden Gedanken zu vertreiben.

      Erneut öffnete er die Tür und spürte den Widerstand, den Balkon zu betreten. Dieses Mal hielt er ihn aus. Er zündete sich - noch in der Tür - eine Zigarette an. Die frische Luft wehte ihm sanft und wohltuend ins Gesicht. Er traute sich nicht, direkt zum Geländer zu gehen. Einen Schritt trat er vor. Die wenigen beleuchteten Fenster der Hochhäuser und die Straßenlaternen warfen etwas Licht in die Dunkelheit der Nacht.

      Zentimeter für Zentimeter näherte er sich der Brüstung. Hastig zog er an der Zigarette. Alles, was er machte und dachte, war von Hektik getrieben: Wie das ständige Zurückblicken oder das Herauskramen des Handys aus der Hosentasche, das er nach einem kurzen Blick aufs Display sofort wieder zurücksteckte. Er wollte auf gar keinen Fall den Anruf aus der Klinik verpassen!

      Mittlerweile war er nur noch eine Armlänge vom Geländer entfernt. Zaghaft berührte er die Stange mit der linken Hand, um gleich die rechte nachzuschieben. Er umklammerte fest mit beiden Händen die Abschlussstange des Geländers. Es schien, als müssten jetzt die Arme den widerspenstigen Körper ans Geländer ziehen, denn es dauerte sehr lange, bis er am Geländer stand. Er fühlte sich unsicher. Die Zigarette fiel ihm aus dem Mund, was seinen Blick ungewollt nach unten lenkte. Durch das Licht der Straßenlaternen sah er die weißen Markierungen auf der Grünfläche. Er starrte auf die Umrisse einer Person. Da hatte Clara gelegen. Er spürte, dass das Leben aus ihm wich. Ohne nachzudenken, setzte er sich auf den Boden, um ein plötzliches Umfallen zu vermeiden. Wie ein Häufchen