Gegen den Koloss. Achim Balters

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Название Gegen den Koloss
Автор произведения Achim Balters
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742752642



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      «Der auf folgenschweren Fehlentscheidungen basiert», sagt Richard.

      «Eine katastrophale Verrücktheit», sagt Anna.

      «Soso. Fakt ist: Für den Braunkohlentagebau müssen die hiesigen Lagerstätten unbedingt zur Verfügung gestellt werden. Deutschland ist nicht gerade mit Bodenschätzen gesegnet. Unsere künftige Energieversorgung ist davon abhängig. Und Tausende von Arbeitsplätzen können damit gesichert werden.»

      «Konzern-Propaganda», sagt Anna verächtlich.

      «Wissenschaftliche Gutachten kommen zu ganz anderen Ergebnissen. Der Braunkohlentagebau ist wirtschaftlich und ökologisch Schwachsinn. Aber darüber will ich jetzt nicht mit Ihnen diskutieren», sagt Richard.

      «Wäre Zeitverschwendung», bekräftigt Anna.

      «Das glaube ich auch», sagt Efferen und trinkt einen Schluck Kaffee. «Der Kaffee schmeckt wirklich ausgezeichnet.»

      Anna macht eine abfällige Handbewegung, danach noch eine, aber heftiger.

      Wie der sich aufspielt! Als hätte er das Sagen. Am liebsten würde sie ihn hinauswerfen. Sie verändert mehrmals ihre Sitzposition, ihre Mimik wirkt verkrampft.

      «Tatsache ist, dass wir an Ihren Konzern verkaufen müssen. Es fragt sich nur, auf welchen Preis wir uns einigen können», sagt Richard.

      «Exakt», antwortet Efferen.

      «Für 950000 Euro wären wir ja bereit, zu verkaufen. Aber Sie bieten uns nur 875000», sagt Richard.

      «Das ist jetzt unser Problem. Es geht um die Differenz von 75000 Euro», sagt Efferen.

      «Es geht um viel mehr», sagt Anna schroff. «Ihr Konzern kann das gar nicht bezahlen. Kann nie wiedergutmachen, was er hier anrichtet.»

      «Aber gerade das versuchen wir ja mit all unseren Möglichkeiten. Sie werden dafür angemessen entschädigt. Die Expertisen, die gemacht worden sind, sind für uns verpflichtend», sagt Efferen. Er sieht Anna und Richard mit einem um Sympathie werbenden Gesicht an.

      «Was Sie so Expertisen nennen», meint Richard. «Auch die Expertise des Amtes für Denkmalschutz wird nicht gerade objektiv sein. Schließlich untersteht es der Landesregierung und die wiederum kungelt mit Energetik.»

      «Alle stecken unter einer Decke», meint Anna und schnaubt verächtlich. «Was heißt hier auch schon Denkmalschutz? Der schützt doch unser Haus überhaupt nicht vor dem Abriss. Ungeheuerlich. Unser wunderschönes Zuhause. Aber wissen Sie, was hier außer dem Denkmalschutz auch total missachtet wird? Und was sogar noch viel schlimmer ist?»

      «Was denn?», fragt Efferen lauernd.

      «Der Menschenschutz. Der gilt hier überhaupt nicht mehr», antwortet Anna.

      «Da hast du recht, Mutter», bekräftigt Richard.

      «Der Menschenschutz. Na ja», sagt Efferen und überlegt kurz. «Wir von Energetik sind doch keine Barbaren. Wir achten die Gesetze, versuchen uns mit den Menschen auf eine für beide Seiten angemessene Weise zu einigen.»

      «Papperlapapp! Was Energetik hier macht, ist Barbarei. Unvergleichliche Barbarei. Und Sie sind ihr Erfüllungsgehilfe», sagt Anna, erbost mit dem Finger auf Efferen zeigend.

      «Mutter, beherrsch dich doch!», mahnt Richard.

      «Ich muss doch sehr bitten. Ich sehe mich sicherlich nicht als Erfüllungsgehilfen von Barbaren», meint Efferen.

      «Was machen Sie denn hier?», fragt Anna.

      «Meine Arbeit. Als Angestellter von Energetik», antwortet Efferen.

      «Na also, sagt Anna abfällig. «Sie machen das, was man von ihnen verlangt. Wofür man Sie bezahlt.»

      «Wollen Sie mir das etwa vorwerfen?»

      «Ja! Und alles andere auch. Sie gehören dazu, sind keinen Deut besser.» Anna steht abrupt auf, macht ein paar eilige Schritte, als wollte sie den Raum schnell verlassen, bleibt aber dann stehen, dreht sich um und stellt sich frontal vor Efferen, der irritiert wirkt. Richard sieht beunruhigt zu seiner Mutter.

      «Alles wird hier zerstört», fährt Anna gestikulierend fort. «Einfach weggebaggert. Rücksichtslos. An die Menschen denkt man nicht. Nur an diese verdammte Braunkohle.»

      «Du hast ja recht. Aber reg dich jetzt nicht auf. Das bringt doch nichts. So kommen wir nicht weiter», meint Richard.

      «Das finde ich auch», sagt Efferen. «Übrigens, Sie irren, Frau Lindner. Wir denken sicherlich –»

      «Sie vertreiben uns von hier», unterbricht ihn Anna zornig. «Rauben uns die Heimat und vernichten sie.»

      «Mutter!»

      «Ist doch wahr, Richard.»

      «Sie sehen das alles viel zu krass, Frau Lindner.»

      «Ich kann das gar nicht krass genug sehen. Es war so schön hier. Hier wollte ich bleiben und hier wollte ich auch sterben. Aber Sie und Ihr verdammter Konzern machen hier alles kaputt. Das ist für mich die Hölle auf Erden», sagt Anna.

      «Tatsächlich?», fragt Efferen ironisch.

      «Tatsächlich?», äfft Anna ihn nach. Sie starrt ihn böse an.

      Richard merkt, dass seine Mutter an ihrer Grenze angelangt ist. Er will nicht mehr weiter verhandeln.

      «Ich habe gehofft, dass wir uns heute hätten einigen können. Aber es sieht nicht danach aus», sagt Richard.

      «Nein, die Atmosphäre ist leider», Efferen überlegt kurz, «überhitzt. Ich komme mir vor wie auf der Anklagebank.»

      «Gut so. Sie sind ja auch schuldig», antwortet Anna mit immer lauter werdender Stimme. Efferen ist für sie zu einem bösartigen Gegner geworden. «Sie wollen uns mit lumpigen 875000 Euro abspeisen. Sie … Sie … Aber das sind Sie schiefgewickelt. Es wird sogar noch teurer für Sie. Wir verlangen nicht mehr 950000, sondern eine Million.»

      «Man höre und staune», sagt Efferen.

      «Ja, eine Million. Schütteln Sie doch nicht so blödsinnig den Kopf.» Anna schreit heraus, was sie würgt. Sie muss jetzt schreien, sonst würde sie ersticken. Was für ein widerlicher Kerl! Wie der grinst!

      «Mindestens eine Million. Mindestens. Schadensersatz. Und Schmerzensgeld. Für all das Leid, das uns zugefügt wird. Mit Geld lässt sich das sowieso nicht wiedergutmachen. Was Ihr verdammter Konzern hier anrichtet, ist unmenschlich. Ein unfassbares Verbrechen. Teuflisch! Unmenschlich!», schreit sie tränennah. Sie hebt ihre Rechte, will Efferen, der sich im Sessel instinktiv von ihr wegdreht, ohrfeigen, wagt es aber nicht. Wie aus weiter Ferne hört sie Richard «Mutter» rufen, sieht alles nur noch verschwommen, spürt eine unerträgliche Enge. Sie kann nicht mehr, hält es hier nicht länger aus. Sie stürmt aus dem Wohnzimmer, poltert die Treppe hoch. Sie fühlt sich bedroht wie noch nie. Als würde ihr Leben auf dem Spiel stehen. Sie weiß nicht, wie sie sich wehren soll, flieht in ihr Zimmer. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, peinigt sie. Sie braucht jetzt schnell etwas zu trinken, will sich nur noch betäuben.

      Richard bedauert das Verhalten seiner Mutter, erklärt es mit der Ausnahmesituation in Anfelden, der sie nicht mehr gewachsen sei. Tja, da müsse sie aber durch, es führe kein Weg daran vorbei, meint Efferen. Leider seien die Fronten zwischen ihnen jetzt verhärtet. Das bestätigt Richard trocken. Sie brechen das Verkaufsgespräch ab, lassen einen neuen Termin noch offen, verabschieden sich kühl.

      2

      Noch knapp fünf Kilometer entfernt, von Richards Jugendstilvilla aus nicht zu sehen und zu hören, frisst sich der Schaufelradbagger N12 durch das Erdreich. In wenigen Jahren wird er hier angekommen sein und, fern von menschlicher Zivilisation, in einer weiträumigen Grube Braunkohle fördern.

      Die Energetik AG ist stolz auf ihn, präsentiert ihn als ein einzigartiges Wunderwerk der Technik.

      Der