Mondschein-Serenade. Albert Morava

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Название Mondschein-Serenade
Автор произведения Albert Morava
Жанр Языкознание
Серия Die Flucht
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742799265



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ist erkältet und braucht einen Wintermantel", sagte Dionisio. Seine tiefe, ein wenig heisere Stimme klang ruhig, zu ruhig für einen temperantvollen Nachkommen der spanischen conquistadores. Doch in der Ruhe liegt Kraft. Er selbst hatte einen Wintermantel, unklar war jedoch auf welchen Wegen er zu diesem gekommen war. Immerhin konnten die Kubaner auf Antrag einen angemessenen Bekleidungszuschuß vom tschechischen Sozialdienst erhalten.

      "Wieso hast du einen und er nicht?"

      "Er ist nicht nur Chaote, sondern auch ein Vollidiot", sagte Dionisio - betont langsam und mit einem gewissen Widerwillen, da er über seinen Kameraden nicht unbedingt herziehen wollte.

      "Das Geld für den Mantel hat er im Carioca verprasst, der Unglückliche!"

      Carioca war ein bekanntes Varieté am Wenzelsplatz, bescheidene Prager Variante eines westlichen Stripteaselokals. Die Go-girls tanzten dort in konservativ geschnittenen Badeanzügen, ohne viel Haut zu zeigen. Es war das einzige Cabaret für Touristen aus dem Westen und gleichzeitig der Ort ihrer elenden Enttäuschung.

      Verlegen strich der Blondschopf Roberto mit beiden Händen über seinen zerzausten Kopf. An Jan vorbeischauend, sprach er zu Manuel: "Einmal im Leben wollte ich das Paris des Ostens sehen.

      Aber hier tanzt man auf den Tischen in Wintermänteln!"

      "Den wirst du jetzt wohl brauchen", grinste Jan.

      “ Was sollen wir tun?" murrte Dionisio.

      "Tun ist immer gut", sagte Jan."Betteln ist in diesem Land verboten. Aber vielleicht könnt ihr die fiesta cubana mit einem Programm anbieten und Eintrittsgeld kassieren. Nicht offiziell, claro que no ! Freies Unternehmertum ist hierzulande genauso verboten wie jetzt auf Kuba. Zwei Jahre Knast warten auf dich, wenn sie dich erwischen."

      "Unser Weihnachtsfest wird ein privates Fest sein", beteuerte Manuel, dem diese Idee plötzlich gefiel.

      "Tanzen und singen werden wir ..wie daheim auf Kuba! Ich mache mit, compañeros...Cuba si, Yanqui no !"

      Und damit war das Fest der Kubaner eine beschlossene Sache.

      *********

      Die heruntergekomene Fabrik, die in ihren letzten Jahren als Malsana volkseigener Betrieb firmierte, war jetzt - nach Jahren treuer Dienste für die einst florierende und jetzt langsam dahinsiechende heimische Wirtschaft - ein toter Betrieb. Sie bestand aus drei großen, mit roten Ziegelsteinen erbauten Hallen, in welchen früher Verpackungsmaschinen standen.

      Zu Kriegszeit wurden hier Lebensmittel aller Art verpackt; vor allem Kaffeersatz, Suppenpulver und an Farbstoff und künstlichen Aromastoffen reiche Getränke, um die deutsche Wehrmacht im Feld zu versorgen. Jetzt standen die Hallen so gut wie leer.

      Die Maschinenausstattung war bereits schrottreif, nichtsdestotrotz waren die Maschinen nicht vollständig verschrottet worden; einige brauchbare Geräte wurden sogar nach Kriegsende nach Russland abtransportiert, zwecks Versorgung der Sowjetarmee. Andere blieben einfach stehen.

      Der Fabrikeingang bestand aus einem kleinen Empfangsbüro und einem Wachposten - einer giftgrün angestrichenen Holzbude, wo nach der Machtübernahme durch die kommunistische Partei ein bewaffneter Wächter zu stehen hatte. Ein sogenannter Militionär, dessen Aufgabe es war, im imaginären Angriffsfall das neue Volkseigentum zur Not mit einem Gewehr in der Hand zu schützen. Diese Figur war nach einigen Jahren nur noch symbolisch und keiner nahm sie ernst. An diesem Wachmann führte kein Weg vorbei; jeder Besucher, der hier hineinwollte, musste mit ihm klarkommen. Im Laufe der Zeit und nachdem der Betrieb stillgelegt worden war, verlor die Bude allerdings vollständig ihre Funktion. Für den Verkauf von Eintrittstickets für das Kubanerfest war sie - obwohl stark heruntergekommen und im prekären Zustand - dennoch gut geeignet.

      Der sauberste und am besten erhaltene Raum war die großräumige, ehemalige Kantine mit den Waschräumen. Hier gab es immer noch fließendes Wasser und die Räume waren abschließbar. Somit wardie Kantine brauchbar und diente als Notunterkunft für Studenten in dringenden Fällen.

      Dort, wo ursprünglich die überdimensionale Betriebsküche war, befand sich eine mit grossen, gelben Fliesen bepflasterte, weiträumige Bodenfläche. Groß und viereckig lud sie zum Tanzen oder zu Vorführungen, welcher Art auch immer, ein.

      Den Schlüssel hatte der Heimverwalter; ein gealterter Prager Bohemien; Überbleibsel der goldenen Zwanziger Jahre und vom Typ her Jean Gabin in seinen besten Jahren. Er strahlte immernoch den sorglosen Flair der längst begrabenen kaiserlich- königlichen Monarchie aus.

      Gerüchte gingen um, dass er - trotz grauer Haare - er dürfte um die Sechzig gewesen sein - heimlich Damenbesuche in seinem Büro empfange, worauf er insgeheim stolz war. Möglicherweise hatte er diese Gerüchte sogar selbst geschürt. Im Büro hatte er eine antiquierte Chaiselongue stehen, deren Daseinsberechtigung unklar war. Die Existenz dieser seltsam geformten Couch - halb Stuhl halb Bett – wurde mit der Notwendigkeit begründet, seine Beine bräuchten bessere Durchblutung und auf den Tisch könnte er sie nicht legen.

      Nachdem das Kubaner-Trio - begeistert von Jans Idee und mit Händen und Füßen diskutierend – wieder draußen war, holte Jan seine Gitarre aus dem Schrank. Dort führte das Musiknstrument seit einigen Monaten ein stilles Stiefmütterchendasein und war demzufolge stark verstimmt.

      Er setzte sich auf das Bett und griff in die Saiten: Eine Kakophonie wie sie im Buche steht!

      Mit Ungeduld versuchte er, die Gitarre nach Gehör zu stimmen, doch eine bereits recht verschlissene Saite riss bei dem Versuch. Dadurch wurde das süße Holz vorläufig unbrauchbar und er legte es verärgert in den Schrank zurück.

      Lustlos öffnete er das klapprige, undichte Fenster und schaute hinaus; der Abendhimmel war grau. Dicke, bauchige, mit Schnee beladene Wolken hingen wie ein tristes, fahles Gewölbe über den Wohnhäusern der Studentenkolonie.

      Bald wird Schnee kommen, dachte er, und begann leise ein Lied zu summen: Schneewittchen, Schneewittchen...Tamara kam ihm wieder in den Sinn.

      Seine Stimme war zu heiser und brach ab; er schloss das Fenster wieder, öffnete die Tür und lief zum Büro des Heimverwalters, um von dort aus zu telefonieren.

      Als er das Büro betrat, ruhte Jean Gabin sich gerade auf seiner Couch aus; er war gerade dabei, sein Nachmittagsnickerchen abzuhalten.

      "Schon wieder Damenbesuch gehabt?"

      Der Alte wischte sich mit der Hand über die Augen, dann griff er nach seiner Brille, setzte sie auf und musterte Jan mit stolzer Ironie im Blick. "Kannst du es beweisen?"

      "Selbst dann, wenn ich es könnte, würde ich es Ihnen nicht antun!" Mit einem Verwalter - welcher Art auch immer - soll man sich gut stehen.

      " Kann ich telefonieren?"

      Das Telefon - ein schwarzes Wandgerät aus vorsintflutlicher Zeit - befand sich direkt neben der Eingangstür; die runde Drehscheibe enthielt neben Nummern auch Buchstaben und beim ersten Wahlversuch kam keine Verbindung zustande.

      "Das Ding funktioniert?"

      "Einwandfrei! Im Störungsfall ist die Post schuld, nicht der Apparat."

      Beim zweiten Versuch rauschte es in der Hörmuschel wie in einem Sandsturm. Die Stimme am anderen Drahtende war stark verzerrt und fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

      "Hallo!" Jan sprach lauter und deutlicher als sonst, bemüht um eine klare Artikulation. "Wer spricht?"

      "Ryba am Apparat!", sagte etwas angestrengt eine dunkle Frauenstimme.

      "Hier ist Jan, Jindras Freund. Kann ich mit ihm sprechen? "

      "Mit wem?"

      "Mit Ihrem Sohn Jindra." Im Telefon knirschte es, die Verbindung drohte abzubrechen.

      "Ich habe keinen Sohn", sagte die Stimme am anderen Ende. "Meine Tochter hat einen Sohn. Ich bin die Oma."

      Eine zweite Stimme kam hinzu; es gab einen aufgeregten Wortwechsel, der nicht für Jans Ohren bestimmt war und schließlich hieß es:

      "Hallo,