Blutschwertzeit. Manfred Lafrentz

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Название Blutschwertzeit
Автор произведения Manfred Lafrentz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738013153



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dem sie sich fürchtete. Und dahinter war nichts gewesen. Kein Verzeihen, kein Lächeln, kein Verständnis. Alle waren vor ihm zurückgewichen. Bei allen hatte er diese Angst gespürt, die er sich nicht erklären konnte. Er verstand es nicht. Verstand das Wort nicht.

       Blutschwertmann.

      Darin steckte etwas Schreckliches, das ihn zu einem Ausgestoßenen, Mutterlosen, Dorflosen machte. Er spürte den Verlust wie körperlichen Schmerz. Das war es nicht, was er gewollt, was er in der Schmiede gesucht hatte. Ein Krieger hatte er werden wollen, zu dem alle aufschauten, den alle bewunderten. Jetzt war er zu etwas geworden, das alle fürchteten und verabscheuten.

      Die Einsamkeit, die ihn umfing, war greifbar, wie ein Mantel, den er selbst um sich geschlungen hatte. Selbst hier am Bach war alles totenstill, als ob alle, sogar die kleinsten Tiere ihn flohen. Er fror in diesem Mantel, fror bis auf die Knochen, und konnte ihn doch nicht abwerfen.

      Lange Zeit blieb er liegen und wartete darauf, dass die Glocke in seinem Kopf aufhören würde zu schlagen.

       Blutschwertmann. Blutschwertmann.

      Der Tag ging vorbei, lautlos, schleichend, wie eine Seele auf dem Weg ins Totenreich.

      Als er ins Dorf zurückkam, wandten sich alle ab, denen er begegnete. Sie verschwanden schnell in ihren Häusern und schlugen die Türen zu.

      Er war ein Fremder geworden. Vor dem Haus seines Vaters fragte er sich einen Moment, ob er es noch betreten durfte.

      Dann öffnete er die Tür.

      Auf dem Boden der Stube, gleich neben dem Tisch, an dem sie immer aßen, lag seine Mutter, wand sich stöhnend unter Brokk, dem Schmied, dessen fahl weißes, pumpendes Hinterteil nicht zu seiner sonstigen Schwärze passen wollte. Folke konnte den Gestank des Mannes riechen und hatte augenblicklich das Bedürfnis, sich zu übergeben.

      Seine Mutter bemerkte ihn. Ihre Augen zogen sich wie in Schmerzen zusammen, als ob sie nicht wollte, dass er in ihnen las.

      „Geh raus!”, schrie sie. „Sofort!”

      Brokk wandte ihm grinsend das Gesicht zu, ohne mit dem aufzuhören, was er tat. Seine bleichen Hinterbacken zitterten wie vor unterdrücktem Gelächter.

      „Geh raus!”, schrie Folkes Mutter noch einmal. Es klang, als wäre sie dem Irrsinn nahe.

      Folke warf noch einen Blick auf sie in dem schwarzen Gefängnis, in dem sie steckte, dann drehte er sich um und lief hinaus. Es war, als müsste er nur noch laufen. Schon wieder. Als trieb das Dorf selbst ihn immer wieder hinaus.

      Im Wald traf er auf Egli, fand ihn beim Fällen der Bäume, die in den Öfen der Schmiede verschwinden sollten. Seine Gedanken waren festgefroren wie das Wasser des Ententeichs im kältesten Mittwinter. Auch wenn er noch so fest trat und hüpfte, das Eis wollte nicht zerbrechen. Daher wollte er sich zurückziehen, wusste nicht, ob er sprechen konnte, fürchtete sich vor dem Zersplittern des Eises. Aber dann blieb er doch. Egli war sein Freund. Wenn das Eis zerbrach, war er der einzige, der es hören durfte.

      Egli hörte nicht mit der Arbeit auf, als er ihn kommen sah. Seine stämmige Gestalt schien in den immer gleichen Bewegungen gefangen. Selbst als Folke direkt neben ihm stand, holte er ungerührt weit mit seiner Axt aus und schlug sie hart in einen Baumstamm hinein.

      Folke sah ihm eine Weile zu.

      „Ich hab das nicht gewollt”, sagte er dann. Es klang wie eine Entschuldigung, aber es war kein Splittern zu hören.

      Egli sagte nichts. Vergrub nur immer wieder die Axt im Baumstamm. Späne flogen, klebten an Folkes Hose fest. Das scharfe Hackgeräusch hallte weithin durch den Wald.

      „Es war Brokk, der Schmied. Er hat mich reingelegt. Hat Zauberei angewandt.”

      Ein weiterer Schlag mit der Axt.

      „Er ist ein Zauberer!”, rief Folke beschwörend.

      Die Wunde des Baumes wuchs und wuchs.

      „Hörst du? Ein Zauberer!”, schrie Folke. „Du hast es selbst gesagt! Die Schmiede sind Zauberer! Ich kann nichts dafür!”

      Egli zog die Axt aus dem Stamm, stellte sie auf den Boden und stützte sich darauf. Er sah Folke nicht an, sondern schaute auf die Erde, die mit weißen feuchten Holzsplittern übersät war, als wären Folkes Eisgedanken dort zerbröckelt.

      „Du warst ständig in der Schmiede”, sagte Egli. „Hast dir angesehen, was sie dort machen. Warum warst du ständig in der Schmiede?”

      Seine Stimme klang merkwürdig. Folke hörte bittere Vorwürfe darin. Und Wut. Aber sie klang leise, unsicher.

      „Ich weiß nicht. Ich wollte sehen, ob sie zaubern. Sehen, wie sie die Waffen herstellen.” Und dann, als ob das alles erklärte, fügte er hinzu: „Brokk hat mir ein Schwert versprochen.”

      Egli lachte verächtlich. „Nun, jetzt hast du eins.” Er nahm die Axt wieder in die Hand und führte den nächsten Schlag mit solcher Wucht, dass der Stamm erzitterte und einige schon gelbe Blätter auf die Jungen herabrieselten.

      Folke wusste nicht, was er sagen sollte.

      Egli warf plötzlich die Axt beiseite.

      „Du musst ihm dein Blut gegeben haben!”, schrie er. „Wir haben dich gewarnt, und du bist trotzdem hingegangen. Du musst es gewollt haben! Warum hast du ihm dein Blut gegeben?”

      Folke schüttelte den Kopf. „Ich erinnere mich nicht. Ich hatte einen Traum. Brokk hat viel geredet. Als ich zu mir kam, hatte ich diese Wunden.” Er zeigte seinen Arm vor, zog den Verband beiseite.

      Egli wich zurück. „Es ist Zauberei!”, rief er. „Es ist verfluchte Zauberei! Du weißt, was das bedeutet, verdammt! Komm mir nicht zu nahe!” Er hob schnell die Axt wieder auf und hielt sie, als ob er sich gegen Folke verteidigen wollte.

      Die Geste verwirrte Folke. „Was hast du? Glaubst du, ich würde dich angreifen?”

      „Du bist ein Blutschwertmann.”

      „Aber was bedeutet das?”, schrie Folke verzweifelt. „Ich bin derselbe wie vorher!”

      Egli schüttelte den Kopf und ließ die Axt sinken. „Du weißt nicht, was es bedeutet, ein Blutschwertmann zu sein? Hat Brokk es dir nicht erklärt?”

      „Nein. Erzähl es mir!”

      „Frag Atli. Er hat es uns vorhin erklärt.”

      „Sag es mir! Du bist mein Freund.”

      „Frag Atli.” Egli schlug die Axt wieder in den Stamm. Neue Splitter flogen aus der Wunde.

      Folke sah ihm einige Augenblicke lang zu. Dann drehte er sich um und ging zurück ins Dorf.

      Atli saß auf einem Hocker vor seiner Hütte. Er hielt das Gesicht in die untergehende Sonne; die Augen waren geschlossen. Folke glaubte, dass er schlief, und überlegte, ob er ihn wecken sollte. Wollte er wirklich hören, was der alte Mann zu sagen hatte? Zögernd wandte er sich ab.

      „Bleib hier, Blutschwertmann!”, sagte Atli.

      Folke fuhr zusammen. Es war ihm, als hätte er seinen Namen verloren. Er war nicht mehr Folke Farlissohn. Er war der Blutschwertmann. Ein völlig anderer.

      Missmutig setzte er sich neben Atli ins Gras und wartete ab, was der Alte sagen würde. Es gab nur eine Frage, die er stellen konnte, aber er hatte noch nicht genug Mut dafür.

      „Sie haben dich reingelegt”, sagte Atli sachlich.

      Folke schaute auf.

      „Diese verdammten Schmiede!”, rief der Alte ungeduldig. „Es ist immer einer dabei, der Zauberei betreibt.”

      „Warum tut niemand etwas gegen solche Zauberer?”

      Atli lachte grimmig. „Weil er das Spiel der Fürsten spielt. Er bekommt eine hohe Bezahlung für jeden Blutschwertmann, den er