Das Geheimnis der Anhalterin. Martin Schlobies

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Название Das Geheimnis der Anhalterin
Автор произведения Martin Schlobies
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738099232



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drängte. Weil er sich geweigert hatte, hatte sie ihre Migräne bekommen und war seitdem nicht wieder aus dem Zimmer hervorgekommen, - und so ging ich allein.

      Innenhof des Kastells traf ich auf die blonde Dame, die etwas ältere, also die Mutter. Sie kam auf mich zu, lächelte ein bezauberndes Lächeln.

      "Wissen Sie, wo hier diese Geburtstagsfeier stattfindet?" fragte sie. Sie wollte also auch in den Salon.

      "Vermutlich dort!" erwiderte ich und wies auf einige Fenster im Erdgeschoß des Kastells, wo sich hinter den Scheiben Menschen bewegten, die plauderten.

      Unschlüssig sah ich die blonde Dame an, die Dame blickte mich an, beide, als warteten wir auf einen höheren Befehl.

      "Ich bin sehr schüchtern!", sagte sie endlich, "Gehen Sie doch bitte voraus!"

      Die Tür öffnete sich, ein schlanker Herr stürzte heraus, warf einen verwirrten Blick auf die blonde Dame und durchquerte den Hof. Und so gingen wir hinein in den Salon als ein Paar, was mir einen erstaunten, vielleicht sogar strafenden Blick einer Frau mittleren oder etwas mehr als mittleren Alters eintrug, die in der Mitte des geräumigen Salons stand, umgeben von einigen Gästen.

      Sie hatte die schwarzen Haare streng gescheitelt, trug eine durchsichtige Bluse über einer weißen Spitzenbluse, einen gelben Seidenschal und einen weiten blauen Rock, was alles sehr raffiniert und elegant wirkte. Es war Madame W., die Gastgeberin, die mich sofort in Beschlag belegte, als ich mich bei ihr vorgestellt hatte.

      "So sind Sie hier in diesem schönen Flecken Erde, einem wahren Garten in Eden, gelandet. Der Himmel ist nirgends so wunderbar blau wie hier!"

      "Ja, Madame," erwiderte ich, "Sie haben recht! Aber dieses Blau hier, so schön es ist, macht mich müde!"

      Madame W. wirkte leicht verstört, aber sie versuchte, über meinen Scherz zu lachen.

      Was jetzt nicht zu vermeiden war, es kam das Gespräch auf die Psychologie der Farben. Madame W. saß in der gelben Pracht ihres Schals und lobte die Sonnenfarbe.

      "Gelb ist meine Lieblingsfarbe!", bekannte sie und strahlte.

      "Blau!", sagte ich, "Blau ist meine liebste Farbe! - So wie Ihr Rock!" Ich wagte es und beugte mich vor: nein, ich hatte mich getäuscht, er war blau und grau gestreift. Ruhig duldete sie die Musterung und lächelte verschämt. Mir wurde es unbehaglich und heiß.

      "Denken Sie," berichtete mir dann Madame W, ohne Zusammenhang mit dem bisherigen Gespräch, "Neulich habe ich drei Tagetis-Pflänzchen gekauft," Sie neigte sich dabei näher zu mir, wobei ich bemerkte, daß ihre Haare sauer nach Erde rochen, "und auf das Grab meines Mannes gepflanz. Ein paar Tage lang habe ich sie täglich begossen, um sicher zu sein, daß sie anwachsen. Sechs Wochen später kam ich wieder auf den Friedhof, und denken Sie, - da standen tatsächlich drei große Tomatenstauden." Als sie meinen erstaunten Blick bemerkt, fuhr sie fort, "Ja, ich habe die Tomaten natürlich geerntet! Drei Pfund waren es insgesamt!", sagte sie voller Stolz. Glücklicherweise mußte sie jetzt andere Gäste begrüßen; ich konnte aufstehen und mich ein wenig umsehen.

      Die Seitenwände des Kamins waren mit Azulejos bedeckt, den handbemalten blauen portugie-sischen Kacheln. Die geheimnisvollen Briefe waren verschwunden. Auf dem Kaminsims standen Fotos: der Conde, die Condessa, alt, sich gegenseitig stützend und lächelnd. An den Wänden hingen Ölgemälde mit dem hageren Kopf des Conde, Pastelle, und holländische Landschaften.

      Gelangweilt las ich im Gästebuch, das immer noch dort lag: 'Love by nature, live by chance, kill by profession.' Ein Name, Captain, US Army. Was sollte ich in dieses Buch schreiben, in dem Firmen-Präsidenten und Mörder ihre Spuren gezeichnet hatten? Einen Moment überlegte ich, nahm den Stift und schrieb: 'Eine Zeit, mit Efeu, wildem Wein und mit dicken Mauern aus dem Leben ausgeschnitten, Marée basse, Marée haute.'

      Schließlich setzte ich mich auf eine Couch, neben einen Herrn, der sich mir nicht vorgestellt hatte, dem ich sein Leben aber am Gesicht ablesen konnte:, acht Stunden arbeiten, vier Stunden fernsehen, acht Stunden schlafen.

      Ich nahm eines der sparsam verabreichten Zitronen-Plätzchen, sah mich kurz um, - alle diese Gesichter! - und verneinte heftig, das Gesicht heiß von Heuchelei, eine mir völlig gleichgültige Behauptung des Herrn neben mir über die asiatische Grippe. Endlich, als der erste Teedurst und der kleine Appetit nach Näschereien mit Zitronenplätzchen gestillt war, konnte ich mich auch von meinem neuen Gesprächspartner lösen.

      Die blonde Dame hatte inzwischen einige Gäste um sich geschart. Sie blühte. Sie hatte eine aufschwellende Brust. - War es dieselbe, die im Innenhof hinten in der Sonne gelegen hatte, dunkel zwischen den Schenkeln? Ich trat näher. Es gab kleine Feuerwechsel Lächeln zwischen ihr und mir. Mehr Blut!, wollten die Wangen.

      Ihre Tochter, die neben ihr stand, - es mußte wirklich ihre Tochter sein, denn die Ähnlichkeit war überzeugend, - hatte den Rücken schmal geschnürt über den Hüften: Castello San Angelo, Haar-Wald und Efeu. Doch die Mutter trug heute die Strahlenkrone; sie war, obwohl offenbar Engländerin, ein flämischer Frauentyp, ganz weiche, schmiegende Formen, schwere Waden, schwere Schultern, mit nur schmalen weißen Trägern auf der geröteten Haut.

      Wir redeten über das, über was man in den Ferien so redet, über das Wetter, das Meer, den Strand, das Essen, dabei pendelten meine Blicke zwischen der Mutter, die glühte, zur Tochter, die glomm. Die beiden Frauen waren wie zwei elektrische Felder, die mich aufluden, - doch jedesmal, wenn die Tür ging, schreckte ich zusammen und blickte hoch. - Erwartete ich noch jemanden?

      Dann gab es noch ein jüngeres, asketisch wirkendes Paar aus Frankreich; er war Naturforscher, ein Herr mit Bart und spitzem Kinn, sie Lehrerin, schlank und ätherisch. Sie sahen aus wie zwei verhinderte russische Revolutionäre. - Er beobachte Vögel, erklärte er mir.

      Noch von meiner Thailandreise, wo ich ständig Englisch hatte sprechen müssen, wechselte mein Kopf ständig von Französisch zu Englisch. Ich versuchte, den Naturforscher aus seiner Reserve zu locken,

      "What do you think about this invitation?"

      "Sie sprechen englisch zu mir!", sagte der Naturforscher, der nichts verstanden hatte.

      Die blonde Dame hatte viel grau im blonden Haar. Grüngraue Augen, strahlend im goldenen Licht der Blumenstoff ihres Kleides, gelb und rot und grell. Ihre Tochter hieß Mildred. Mildred hatte schwimmende unerfahrene Augen, und gönnte mir nur scheue, enge Blicke! Die Mutter hatte meine Blicke aber bemerkt und schmollte.

      Ich versuchte sie damit zu trösten, daß ich ihr vertraulich ins Ohr flüsterte, wie sehr ich gehofft hatte, nach meiner langen Beschäftigung mit einem verrückten Amerikaner, der in Thailand Mönch geworden war, hier an der See, in diesem kleinen Ort, in den Ferien, gesündere Menschen anzutreffen, wenigstens, was die seelische Gesundheit anginge.

      Die blonde Dame blickte mich begeistert an, mit strahlender, unverwüstlicher seelischer Gesund-heit, und rief:

      "Die werden Sie hier finden!"

      Ich machte so erschrockene Augen, daß die blonde Dame verwirrt war und vielleicht an ihrer eigenen Gesundheit zu zweifeln schien,

      "Meinen Sie nicht?", fragte sie unsicher.

      "Doch, natürlich ..." sagte ich. Die blonde Dame schwieg einen Moment, wurde rot und lächelte verschämt, sie faßte sich an die Bluse, um sich mehr Luft zu verschaffen, - so verletzliche Haut! - und ein schweres Dekolleté, das sie behutsam öffnete, bedächtig, und nur einen Atemzug tiefer. 'Würdest du denn meinen Händen vertrauen?', dachte ich.

      Die Zuhörer bei unserem kleinen Gespräch, auch die Tochter, wanderten zu anderen Unterhaltungen, und wir standen uns unvermittelt allein gegenüber.

      "Ich muß Sie immerzu anschauen!", sagte die blonde Dame, und hatte plötzlich diese Röte im Gesicht!, "Hoffentlich hat Sie das nicht irritiert! Kennen wir uns nicht?"

      "Nicht daß ich wüßte, ...", sagte ich, auf einmal schüchtern.

      "Doch, ich bin sicher: Wir kennen uns!"

      "Woher? Helfen Sie mir!"

      "Vielleicht aus einem