Eine Studentin. Peter Schmidt

Читать онлайн.
Название Eine Studentin
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742710260



Скачать книгу

es sich bei Ihrer Ent­de­ckung um einen ähn­li­chen Me­cha­nis­mus wie beim so­ge­nann­ten Dream-Gen, das kana­di­sche For­scher un­längst bei Mäu­sen ge­fun­den ha­ben?“

      „Mit dem ent­scheiden­den Un­ter­schied, dass da­bei le­dig­lich ein Gen ent­fernt wurde, wo­durch es zu er­höh­ter Dy­nor­phin-Pro­duk­tion kam. Dy­nor­phin ist ein vom Kör­per er­zeug­tes Opi­oid, ver­gleich­bar dem Opi­um. Es wur­de also nicht der eigent­li­che Schmerz ein- oder ab­ge­schal­tet, son­dern le­dig­lich ein Be­täu­bungs­mit­tel ak­ti­viert.“

      „Nehmen Sie mit Ihrer Entde­ckung den Schmerz­mit­tel­produ­zenten nicht die Ge­schäfts­ba­sis?“

      „In gewissem Sinne, ja. Wahr­schein­lich wird die Phar­ma­in­dust­rie dem­nächst einen Kil­ler auf mich an­set­zen, wenn ihre Ge­schäf­te in den Kel­ler ge­hen …“

      „Bedeuten Ihre Forschun­gen, Pro­fes­sor Hol­lan­do, wir Men­schen wer­den dem­nächst ein völ­lig schmerz­freies Le­ben füh­ren?“

      „Oh, nein …“, wehrte Hollando lä­chelnd ab. „Ganz ohne Schmer­zen dürf­ten wir auch in Zu­kunft nicht aus­kom­men. Stel­len Sie sich nur mal vor, was pas­sie­rt, wenn sich Ihre vol­le Bla­se nicht mehr mel­det?“

      Lacher im Saal …

      „Negative Gefühle werden für eine Viel­zahl von Le­bens­vor­gän­gen be­nö­tigt, wie Flucht und Kampf oder als Hin­weis auf Er­kran­kun­gen. Und ohne Trau­er wür­den wir uns beim Tod naher Ver­wand­ter auch nicht ganz in­takt füh­len, oder?

      Da hal­ten wir es doch lie­ber mit der al­ten öst­li­chen Weis­heit: Selbst Bud­dha hat­te Schmer­zen …

      Nach Hollandos Vorlesung kehrte Caro­lin oh­ne Um­weg zum Flug­ha­fen zu­rück.

      Für die eigent­liche Preis­ver­lei­hung durch den schwedi­schen Kö­nig wür­de es we­gen des be­grenz­ten Plat­zes im Kon­sert­hu­set kaum freie Kar­ten ge­ben. Die meis­ten Plätze wa­ren für ehe­mali­ge Preis­trä­ger und die Mit­glie­der des No­bel­preis-Ko­mi­tees re­ser­viert.

      Als sie in Düsseldorf landete, stand ihr Bru­der am Aus­gang ne­ben der Zoll­theke und wink­te ihr mit einer Zei­tung zu.

      Ro­bert war über­zeug­ter Jung­ge­selle und ge­ra­de zum Haupt­kom­mis­sar be­för­dert wor­den – zur Über­ra­schung seiner Kol­le­gen, die geglaubt hat­ten es werde Paul Bro­der, für den es dann nur zum Stell­ver­treter reichte.

      Nach dem Tod ihrer Eltern liebte Ro­bert es im­mer noch, sich an den ge­deck­ten Tisch zu set­zen. Viel­leicht war Carolin ja jetzt so et­was wie ein Mut­terer­satz für ihn …

      So jung und schlaksig – ma­geres Ge­sicht und schel­mi­sche Au­gen – war es schwer, sich Ro­bert als Kom­mis­sar vor­zu­stel­len. Aber der harm­lose Schein trog. Eigent­lich sah er ein we­nig schwind­süch­tig aus. Viel­leicht, weil er zu vie­le Jahre in dunk­len Bü­ros ver­bracht hatte.

      Draußen schien es, als wenn der Him­mel auf die Lan­de­bah­nen stürz­te. Later­nen­mas­ten wa­ckel­ten im Wind und von den fernen Hü­geln Rich­tung Rhein brei­tete sich eine dunk­le Wol­ken­de­cke aus.

      „Lass uns erst mal ins Flughafen-Café ge­hen“, schlug Ro­bert vor. „Bei dem Wetter blei­ben wir noch im Stau ste­cken.“

      Er bestellte wie immer nur einen Es­presso.

      „Sieh dir das mal an“, sagte er und reichte ihr die Zei­tung. „Et­was Selt­sames geht mo­men­tan in der Stadt vor. Es wer­den im­mer mehr Frauen auf­ge­grif­fen, die ihr Ge­dächt­nis ver­lo­ren ha­ben …“

      Carolin erinnerte sich, dass Ro­bert vor ihrem Ab­flug eine jun­ge Frau er­wähnt hatte, die nur mit einem blauen Unter­rock und dün­ner Bluse be­klei­det am Fluss­ufer un­ter­halb der Uni­ver­si­tät auf­gegrif­fen wor­den war – bei Frost, wäh­rend auf dem Was­ser Eis­schol­len trie­ben. Ein Poli­zei­be­am­ter hatte sie beim mor­gend­lichen Lauf­trai­ning ent­deckt.

      „Schon der dritte Fall, seit du nach Stock­holm ge­flo­gen bist“, sag­te Ro­bert. “Und jetzt auch noch ein vier­ter. Grau­en­haft, diese Sa­che mit dem Auge …“

      Die erste Frau war etwa zwan­zig Jahre alt. Als Ca­ro­lin ihr Bild in der Zei­tung sah, er­starrte sie. Es war Ma­nue­la, eine Kom­mi­li­to­nin …

      Sie studierte Theater­wis­sen­schaf­ten und Me­di­zin – an­schei­nend, ohne sich für ein Fach ent­schei­den zu kön­nen.

      Einmal hatte Manu­ela sich von Ca­rolin ein paar Euro gelie­hen, um in der Cafe­te­ria be­zah­len zu kön­nen. An­geb­lich, weil ihr Por­te­mon­naie im Hand­schuh­fach des Wa­gens lag. Caro­lin erin­ner­te sich nicht, das Geld je­mals zu­rück­be­kom­men zu ha­ben.

      Auf dem Foto sah Manuela stark ab­ge­ma­gert aus. Doch das eigent­lich Ver­stö­rende war die Schlag­zeile:

      JUNGE FRAU OHNE GE­DÄCHT­NIS AN

      FLUSSUFER AUF­GE­FUN­DEN

      Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erin­nern, wo sie wohn­te und wie sie hieß.

      Amnesie, das wusste Caro­lin aus dem Stu­dium, konnte durch einen Un­fall, zum Bei­spiel ein Hirn-Schä­del-Trau­ma, aber auch durch Schlag­an­fall oder ver­schie­dene an­dere Krank­hei­ten aus­ge­löst wer­den. Manch­mal blie­ben die Ur­sa­chen auch völ­lig un­be­kannt.

      Das ist Manuela Winter – nein, Win­ters“, be­rich­tigte sie. Sie hat das­selbe Se­minar be­legt wie ich.“

      „Dann solltest du unbe­dingt deine Anga­ben zu Pro­tokoll ge­ben. Bis­her tap­pen wir näm­lich noch völ­lig im Dun­keln. Von Seiten ihrer Uni­ver­sität – kann sein, aus dem Uni­versi­täts­sek­reta­riat – gibt es einen Hin­weis, sie könnte sich mo­mentan ir­gend­wo in den USA aufhal­ten“

      „Heißt das, man hat dir den Fall über­tra­gen, Ro­bert? Gratu­liere …“

      „Nicht mir allein, ein gan­zer Stab ar­beitet daran. Also bitte kei­ne Vor­schuss­lor­bee­ren.“

      „Na, wenn das kein Karrie­re­sprung ist …“

      „Die Presse läuft Sturm we­gen der rät­sel­haf­ten Vor­fälle. Un­se­re Tele­fone klin­geln Tag und Nacht.“

      „Dann zieh einfach den Ste­cker aus der Wand …“

      „Leichter gesagt als getan. Es gibt da ein paar Politi­ker, die uns ge­nau auf die Fin­ger schau­en, schon we­gen des Echos in den Me­dien. Diese Frau­en ha­ben nicht nur ihr Ge­dächt­nis ver­lo­ren. Der Kör­per der einen ist vol­ler blau­er Fle­cke. Eine an­dere war bei der Ver­neh­mung kahl­köp­fig und am gan­zen Kör­per ra­siert.“

      „Rasiert, wozu?“

      „Keine Ahnung. Eine an­dere macht dau­ernd ob­szöne Bemer­kun­gen.“

      „Vielleicht, weil sie etwas Schreckli­ches er­lebt hat?“

      „Eine Vergewaltigung?“

      „Oder so was Ähnliches.“

      „Dafür haben wir bisher keiner­lei Hin­weise ge­fun­den. Wenn man die Frau­en an­spricht, hat man den Ein­druck, sie ver­ste­hen einen gar nicht. Es dau­ert im­mer eine Zeit­lang, bis man eine halb­wegs plau­sible Ant­wort be­kommt.“

      „Aber dann reden sie wie­der nor­mal?“

      „Nein.