Название | Der ganz normale Wahnsinn |
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Автор произведения | Anton Weiß |
Жанр | Зарубежная психология |
Серия | |
Издательство | Зарубежная психология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847637455 |
Im Ichstand glaubt der Mensch Dinge zu brauchen, um glücklich zu sein. Solange er aber Dinge braucht, ist er von ihnen abhängig. Und da sich ja die Erfüllung nicht einstellt, braucht er immer neue Inhalte. Aber alles, was neu ist, wird in kurzer Zeit alt, und dann braucht man wieder Neues, und so immer fort. Und daraus wird die Gier: Man braucht immer Neues, um der Erfüllung nachzujagen, die sich aber immer nur kurz und letztlich nie in ihrer Fülle einstellt.
Gier nach Aufmerksamkeit
Im Grunde genommen lassen sich bei den Menschen die meisten psychischen Probleme darauf zurück führen, dass sie nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und bekommen haben. Das Ich giert danach, im Mittelpunkt zu stehen und von den anderen bewundert oder wenigstens wahrgenommen zu werden. Wenn man sich mit Arnhild Lauveng beschäftigt, kristallisiert sich ebenfalls die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit als Kern ihrer Schizophrenie heraus. Es kann einen Schaudern machen, wenn man durch die Beschäftigung mit ihrer Autobiographie begreift, welche Ungeheuerlichkeiten die Psyche inszeniert, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie sagt: Es gibt nichts Größeres als den Wunsch nach Aufmerksamkeit und Fürsorge, den Wunsch bemerkt zu werden und die Einsamkeit hinter sich zu lassen.
Das Tragische dabei ist, dass das Ich nie genug davon bekommen kann, denn die Wurzel dieser Gier nach Aufmerksamkeit liegt im transzendenten Bereich. Der Mensch ist auf Transzendenz angelegt, deshalb gehen alle Versuche, diese Gier durch Stillen von Bedürfnissen zur Ruhe zu bringen, fehl. Aus einem Versuch mit Mäusen wird das in verblüffender Weise sichtbar: Man hat Mäusen alles gegeben, was sie zum Leben brauchen. Alle Tiere hatten genug zu fressen und zu trinken und auch genügend gegenseitigen Freiraum. Dennoch sind sie nach einiger Zeit übereinander hergefallen. Genau dieses Verhalten erlebt man am Menschen: Obwohl es uns - besonders in der westlichen industrialisierten Welt - so gut geht, wie es noch nie Menschen gegangen ist, gelingt es uns nicht, ein harmonisches, ausgeglichenes, nicht-aggressives Leben zu führen. Wir waren in dem Irrtum befangen: Wenn es allen gut geht, wenn alle genügend zum Leben haben, dann werden wir auch friedlich zusammenleben können. Ich bin gespannt, wann die Mehrheit der Menschen einsehen kann, dass im Menschen eine unendliche Gier vorhanden ist, die durch keine materiellen Güter befriedigt werden kann. Und diese Gier ist im Grunde positiv, sie ist Ausdruck des transzendenten Bezugs, d. h. Ausdruck dafür, dass der Mensch etwas braucht, dringend braucht, was ihn erfüllt. Aber das ist nicht in dieser Welt der materiellen Güter zu finden. Die materiellen Güter korrespondieren dem Ich des Menschen. Das Ich möchte haben, haben, haben, und kommt auch dann nicht zur Ruhe, wenn es alles hat. Diesen Mechanismus müsste man irgendwann im Leben durchschauen. Leider liegt dann bei denen, die es durchschauen, die Reaktion in der Regel in einer Verbitterung und Verzweiflung am Leben, die wenigsten gelangen zu der Erkenntnis, dass sie an der falschen Stelle gesucht haben.
Der tiefste Grund der Sucht bei den meisten Menschen ist die Sehnsucht nach Erfüllung, auch wenn die äußeren Anlässe oft in eine andere Richtung weisen. Die Grundlage der Sucht ist letztlich das unendliche Verlangen nach dem Glück, auf das hin der Mensch angelegt ist. In der Sucht drückt sich die unstillbare Sehnsucht nach Erfüllung und Geborgenheit aus. Und deshalb ist dem Problem so schwer beizukommen. Suchtbehandlung müsste also bei dem unendlichen Verlangen des Menschen ansetzen, aber da sind wir völlig ratlos. Wir behandeln lieber Symptome als nach den geistigen Hintergründen zu fragen, die wissenschaftlich sowieso nicht feststellbar sind.
Natürlich müsste man etwas mehr differenzieren; beim Rauchen z. B. könnte man zeigen, dass dem Menschen dadurch Freiheit und Souveränität vermittelt wird. Der Alkoholiker flieht die harte Wirklichkeit des Lebens und findet in der beschwingten und der Realität enthobenen Sphäre des Rausches eine Beglückung, die ihm das konkrete Leben nicht bieten kann. Gemeinsam ist aber allen Süchten, dass dem Betroffenen etwas scheinbar vermittelt wird, wonach er sich in der Tiefe seines Wesens sehnt, deshalb ist ja die Bekämpfung der Sucht mit rationalen Argumenten so wirkungslos.
In der Suche nach Glück spielt Geld eine wichtige Rolle. Man glaubt, mit Geld alles kaufen zu können; und wenn man alles hat, wenn man sich alle Wünsche erfüllt hat, dann müsste man ja wohl glücklich sein und ein erfülltes Leben haben. Letztlich glaubt man, dass man das Glück kaufen kann. Diesen Trugschluss können offensichtlich nur die wenigsten durchschauen, vielleicht mit dem Verstand, aber nicht existenziell. Den meisten geht es darum Geld zu machen; da das durch ehrliche Arbeit kaum zu erreichen ist, stürzen sich viele auf Aktien, ins Lottospielen oder gehen kriminelle Wege.
Welch verheerende Folgen die Gier nach Geld hat, zeigt ein Bericht über Mexiko: Innerhalb von vier Monaten sind 1300 Menschen dem Drogenkrieg zum Opfer gefallen. Das Land gerät an die Grenze der Regierbarkeit. „Längst hat die Mafia die Republik korrumpiert, sie kann sich gewaltige Bestechungsgelder leisten, Heere von Söldnern und Arsenale von Mordwerkzeugen.“ (SZ vom 15. 4. 08).
Wer Geld hat, kann sich das Leben so gestalten, wie er glaubt, dass es zu einem glücklichen Leben notwendig ist: Er kann Reisen machen, sich ein schönes Haus kaufen mit großem Garten und Swimming-Pool, natürlich ein großes Auto, schöne Kleider und was der kaufbaren Dinge mehr sind. Geld hat eine Faszinationskraft. Für viele ist schon allein Geld haben der Inbegriff von Glück. Oft geht es um das schnelle Geld. Und wenn es nicht mehr ums Geld geht, weil man es schon hat, dann geht es um Ruhm und das Ansehen, das Geldhaben einem vermittelt. Angesehen zu sein, Bedeutung zu haben, ist ein ganz wesentlicher Aspekt im Leben des Menschen als Ich.
In der buddhistischen Lehre wird die Gier als das Grundübel des menschlichen Lebens angesehen. Und die Unfähigkeit des Menschen, die Zusammenhänge zu erkennen, dass nämlich in der Gier die Jagd nach der Erfüllung zum Ausdruck kommt, die aber so nicht gefunden werden kann, wird als Unwissenheit bezeichnet. Ich habe das lange nicht verstanden, aber wenn man heute die Jagd der Menschen nach dem immer neuen Trend in Freizeitgestaltung, Mode, Autos, sportliche Aktivitäten usw. betrachtet, dann findet es seine Bestätigung, dass man im immer Neuen die Erfüllung zu finden hofft, die man in dem letzten Neuen nicht gefunden hat, und man begreift den Zusammenhang nicht und lässt sich dabei von den Modemachern in allen Bereichen an der Nase herumführen und verhilft denen zu großen Gewinnen.
Nichts anders spielt sich im Porno-Bereich ab: Wer schon 10000 Pornobilder aus dem Internet heruntergeladen hat und immer noch glaubt, dass das nächste Pornobild seine Gier befriedigen wird, den kann man wirklich als Unwissenden bezeichnen, der die Zusammenhänge nicht begreift. Schier unbegreiflich erscheint es, dass wir, da wir doch so überzeugt von der Leistungsfähigkeit unserer Vernunft sind, nicht in der Lage sind, die Zusammenhänge zu hinterfragen.
Gier nach Sensationen
Von der Sensationsgier lebt heute ein großer Teil der Medien. Sie zeigt sich in der Gier an Verbrechen und Sexualdelikten, aber auch nach dem Leben der oberen Zehntausend. Auch bei Verkehrsunfällen kann man diese Gier beobachten. Häufig ereignen sich bei Unfällen auf der Autobahn auf der Gegenseite ebenfalls Unfälle, weil die Vorbeifahrenden so in Bann geschlagen sind, dass sie ihre eigene Sicherheit aus dem Blick verlieren.
Es besteht eine Wechselbeziehung von Journalismus und der Gier nach Sensationen durch die Menschen. Im Moment, wo ich diese Abhandlung schreibe – April/Mai 2008 – hat sich gerade in Amstetten ein ungeheuerlicher Fall zugetragen: Ein 74-jähriger Vater hat 24 Jahre lang seine Tochter unter seinem Haus gefangen gehalten und als Sex-Sklavin benützt. Er hat mit ihr sieben Kinder gezeugt. Noch gut in Erinnerung ist der Fall Kampusch, wo ein Mann 8 Jahre lang ein Mädchen gefangen gehalten und als Sex-Sklavin benutzt hat. Und das Entsetzen der Öffentlichkeit über diese Taten und die Gier nach detaillierten Informationen kennt keine Grenzen. Alle sind fassungs- und ratlos. Und man kommt nur klar damit, wenn man es – wie es der österreichische Bundeskanzler Gusenbauer getan hat – es als Einzelfall abtun kann. Aber das ist es in keiner Weise; es ist es vielleicht in der extremen Ausführung und viele Männer gehen nicht soweit, aber von der psychischen Situation her betrifft es im Grunde jeden und das ist auch der Grund für die Gier, über diese Dinge etwas zu erfahren.
Bei Verbrechen, besonders Sexualverbrechen,