Der EMP-Effekt. Peter Schmidt

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Название Der EMP-Effekt
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656333



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Ich arbeite nicht in der Wohnung.»

      «Sie nehmen auch keine Unterlagen mit?»

      «Das ist untersagt. Ich beschäftige mich zwar manchmal nebenberuflich in meinem Bastelkeller mit ähnlichen Problemen wie in der Firma. Wenn man es als Hobby betrachtet, steht man einfach weniger unter Druck und kommt zu besseren Ergebnissen.

      Man kann experimentieren, auch auf die Gefahr hin, dass es zu nichts führt. Der Entstörfilter ist übrigens ein Ergebnis meiner Freizeitbeschäftigung, wenigstens zum Teil. Aber für Werkspionage wäre unsere Arbeit nicht bedeutend genug. Was wir erfinden, unterscheidet sich kaum von den Produkten der Konkurrenz – und den Rest kann man später als Lizenzen kaufen.»

      «Also keine Hinweise.»

      Karga zögerte einen Moment, dann erzählte er ihm auch von den übrigen Vorfällen.

      Der Beamte hörte schweigend zu; sein Blick wurde deutlich abweisender; er betrachtete ihn plötzlich wie eine hypochondrische alte Frau, die ihm von ihren zahllosen Zipperlein berichtete.

      «Sie verbinden da eine Menge Dinge, die nichts miteinander zu tun haben müssen: das Fernsehauge, die Fahrradtasche, Ihren verlorenen Ausweis … Die Befreiung von der Stempeluhr würde ich eher als Vertrauensbeweis ansehen.»

      «Ehrlich gesagt, ich bin fest davon überzeugt, dass der Verfassungsschutz hinter mir her ist.»

      «Dann hätte man sich zu erkennen gegeben.»

      «Auch bei einem Wohnungseinbruch? Verstehen Sie mich richtig, ich kam etwas früher nach Hause als sonst. Sie hatten nicht damit gerechnet, erwischt zu werden. Als es zu spät war, wollte keiner dazu stehen. Vertuschung illegaler Praktiken. So was steht doch täglich in den Zeitungen.»

      «In diesem Falle kann ich nur eines für Sie tun.» Er riss ein Blatt vom Block und schrieb Karga eine Adresse auf. «Dies ist die zuständige Stelle beim Verfassungsschutz – ich werde Sie telefonisch ankündigen, damit man Sie vorlässt. Schildern Sie dort Ihren Fall. Dann wird man weitersehen.»

      3

      Karga hatte plötzlich das Gefühl, er sei vielleicht nur überempfindlich …

      Falls seine Phantasie mit ihm durchging, blieben immerhin die beiden Männer in der Wohnung. Sie waren keine Einbildung. Alles andere mochte eine Täuschung sein, aber man hatte seine Wohnung durchsucht.

      Es war kurz vor zwölf. Er hatte völlig vergessen, sich um Thaube zu kümmern!

      Thaube kurierte irgendeine mysteriöse Krankheit aus. Genauer gesagt versuchte er sie auszukurieren. Man nahm an, dass es die Lustseuche «Aids» war. Thaube neigte unbezweifelbar dem eigenen Geschlecht zu, aber er hatte nie versucht, Karge zu nahe zu treten. Sie kannten sich seit der Studienzeit. Er war es, der ihn in die Kommunistische Partei eingeführt hatte.

      Thaube war später in den terroristischen Untergrund gegangen, wenn auch nur für kurze Zeit. Das herausragendste Ergebnis seiner Aktivitäten war eine zweijährige Haftstrafe gewesen. Er gehörte zu den harmloseren Figuren der Szene: schnell aufschäumendes Brausewasser, das ebenso rasch wieder sackte und einen faden Geschmack hinterließ. Seit seiner Erkrankung wollte sich niemand mehr mit ihm abgeben. Er schien innerlich zu verbrennen. Karga brachte ihm zu essen und gelegentlich etwas frische Bettwäsche.

      Um diese Zeit war nur noch der Kiosk im Bahnhof geöffnet. Einzelne Männer schlenderten ziellos durch die Halle; drinnen war es zwar nicht geheizt, aber wärmer als draußen.

      Ein Zug von Verlorenheit lag jetzt um Mitternacht auf ihren Gesichtern …

      Karga dachte, dass er sich immer noch in seine Arbeit flüchten konnte, auch an den Wochenenden und Abenden, falls er jemals die innere Leere verspüren sollte, hier herumzulungern. Er kaufte belegte Brötchen, Dosenbier und ein paniertes Kotelett. Beim Zahlen rollte ihm das Wechselgeld in die Auslage, die Frau hinter der Theke suchte eine Weile vergeblich zwischen den Käsestücken und weichgewordenem Stangenbrot – schließlich gab Karga es auf.

      «Betrachten Sie es als Trinkgeld», sagte er.

      Als er wieder auf dem Gehsteig stand, fielen eigentümlich blinkende, winzige Schneeflocken wie der Glimmer von Weihnachtsbäumen. Es mußte mit dem Wetterumschwung zusammenhängen, denn einige Schritte weiter hatte sich alles schon wieder verloren, und laue Windböen trieben die Straße von der Uferpromenade herauf.

      Thaubes Haus war ein hellhöriger Neubau, zurückgesetzt in einer Reihe alter Häuser. Umlaufende Betongalerien, die so dicht mit Sprüchen aus der Spraydose verziert waren, dass man glauben konnte, in ein verfilztes Buschgestrüpp zu treten, hatten das fade Bild des rechteckigen Kastens etwas auflockern sollen.

      Doch diese Absicht war derart gründlich misslungen, dass einige Wohnungen jetzt leer standen.

      Während er die letzten Stufen nahm, wurde ihm unvermittelt bewusst, dass seine Freundschaft zu Thaube den Staatsschützern vielleicht Anlass zu Verdächtigungen bot. Diesen Gesichtspunkt hatte er noch gar nicht bedacht. Zu Verdächtigungen … aber zu welchen?

      Er besaß einen eigenen Wohnungsschlüssel. Thaube war so schwach auf den Beinen, dass ihm das Öffnen der Tür Mühe bereitete. Nur wenn die Tageszeitungen kamen, setzte seine Schwäche für Augenblicke aus, dann saß er aufgerichtet im Bett und beklagte lautstark die politische Korruption im Lande. Er zeigte zwar alle typischen Symptome der Krankheit: geschwollene Drüsen, Gewichtsverlust, Fieberanfälle und Schweißausbrüche, gelegentlich auch Anzeichen von Verwirrung; trotzdem ließ Karga sich nicht davon abbringen, dass sein eigentliches Leiden eine eigentümliche Willenlosigkeit war – welcher Ursache, das hatte er noch nicht herausgefunden.

      In dem abgedunkelten Zimmer stand die Luft. Es roch nach einer undefinierbaren Mischung, die von allem möglichen herrühren konnte: von Schweiß, japanischem Heilpflanzenöl, schmutzigen Socken und verschüttetem Bier.

      Trotz seiner vierzig Jahre erinnerte Thaubes Kopf über dem Oberbett an einen gerade volljährig gewordenen Jungen.

      «Leg‘s da hinten ab», sagte er und hob mit einer schwächlich wirkenden Gebärde den Arm. «Und komm mir nicht zu nahe. Ich glaub, ich hab gerade wieder einen Bakterienschub.»

      «Unsinn. Erstens weiß man gar nicht, um welche Art von Erreger es sich handelt, vielleicht ein Virus, und zweitens ist es nicht so ansteckend, wie du glaubst.»

      Kargas Augen gewöhnten sich langsam an das Halbdunkel, erließ den Blick über das Durcheinander im Zimmer gleiten.

      Dann zog er mit einer schnellen Bewegung die Gardine auf, um zu lüften.

      Im selben Augenblick gewahrte er auf der gegenüberliegenden Hausseite eine Bewegung. Es war ein Fenster in der gleichen Etagenhöhe. Ein mattglänzender, zylindrischer Gegenstand, der ziemlich lang war, wurde hinter die Gardine zurückgezogen. Kein Objektiv, wie er eben noch erkannte, sondern es erinnerte an … ja, er war ganz sicher: das Ding mußte ein Richtmikrofon sein.

      Der Fensterflügel drüben war weit nach innen zurückgeschlagen, und die Übergardine aus dunklem Stoff hing jetzt leicht vom Wind bewegt als einziges Hindernis im Fenster.

      «Sie haben‘s auf uns abgesehen …», sagte er, ohne seine Stimme zu dämpfen, als er sich ins Zimmer zurückwandte.

      «Wer?»

      «Ich weiß nicht. Aber sie beschatten uns. Drüben im Fenster war gerade ein Richtmikrofon.»

      Thaube stieg mühsam aus dem Bett und trat neben ihn, sein Gang war leicht schwankend, und auf seiner hohen Stirn glänzten Schweißtropfen. Er trug ein altmodisches weißes Nachthemd, das aus der Wäscheschublade des möblierten Zimmers stammen mußte. Die Vermieter, ältere Leute, hatten ihm ihre Sachen überlassen.

      Neben Karga wirkte er sehr hager und lang; während er sich mit einer Hand am Fensterkreuz abstützte, erinnerte seine verzogene Figur an die Darstellungen des traurigen Ritters von la Mancha, der für einen Augenblick vom Klepper gestiegen war und seine Lanze in die Ecke gestellt hatte.

      «Sicher