Emilie. Angela Rommeiß

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Название Emilie
Автор произведения Angela Rommeiß
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847670643



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Schläfer in Eiskristallen auf die Bettdecken legte. Doch heute Morgen hatte die Ahna beizeiten die Türen geöffnet, als es mit den Wehen losging, damit die Wärme von der einzigen Feuerstelle im Hause auch die Kammer erwärmte.

      Wilhelmine lag ermattet, blass und glücklich in den Kissen. Wenn eine Frau Leben schenkte, konnte sie leicht dem Tod begegnen. Doch für dieses Mal war alles gut gegangen. Ihre Schwiegermutter, die Ahna, hantierte mit Laken, brachte das Bett in Ordnung. Als Gertrud das Neugeborene zu seiner Mutter legte, beugte sich die Alte lächelnd über die Beiden und tätschelte dem Baby das rosige Köpfchen.

      „Du musst es an die Brust legen, Mädle! Schau, wie es schon sucht!“

      Wilhelmine winkte müde ab: „Ach Mutter, es ist ja noch fast nichts da!“

      Doch die Ältere blieb hartnäckig. „Na, es braucht ja auch fast nichts, aber es muss saugen, damit morgen die Milch fließt. Glaub’s mir nur, Mädle, ich hab sieben Mal geboren!“

      Sie sagte nicht: ‚Ich habe sieben Kinder‘, denn es lebten nur noch zwei. Außer Viktor und Jacob waren die anderen alle noch vor dem fünften Lebensjahr gestorben. Zwei an Husten, zwei an Fieber (im selben Winter), und eines im Kindbett. Was es genau für Krankheiten waren, wusste niemand zu sagen. Kleine Kinder starben leicht, so war das Leben. Über die Toten wurde nicht gesprochen, damit sie in Frieden ruhen konnten. Man konnte froh sein, wenn einem welche fürs Alter blieben. Aber manchmal im Traum sah die Ahna noch ihre lieben, kleinen Gesichter und rief sie bei den fast vergessenen Namen.

      Wilhelmine nestelte am Hemd, legte die Kleine an. „Emilie soll sie heißen, nach dir!“, sagte sie und lächelte ihre Schwiegermutter an.

      „Ach - Kind!“, entfuhr es der Alten. Gerührt klopfte sie auf der Bettdecke herum. Gertrud, mit dem Rücken zu den Beiden, klapperte laut mit den Schüsseln. Man sah ihrem Hinterkopf mit dem straff gebundenen Dutt förmlich das finstere Gesicht an. Hatte denn Viktor, der Dummkopf, seinem Bruder immer noch nicht die Tür gewiesen? Die Alten würden am Ende noch dem jüngeren Sohn allein das Gut vermachen! Das sah ja ein Blinder, wie vernarrt die zwei Alten in Wilhelmine waren. Wilhelmine war eine Waise und hing an den Schwiegereltern wie ein leibliches Kind. Gertrud konnte und wollte mit deren liebenswerte Art nicht mithalten. Und jetzt nannte sie das Balg auch noch Emilie!

      Gertrud holte tief Luft und nahm sich zusammen. Sie machte das freundlichste Gesicht, zu dem sie fähig war, denn Jacob stand in der Tür. Zu einem offenen Krach wollte sie es auf keinen Fall kommen lassen. Wilhelmine lächelte ihren Mann an.

      „Du hast doch nichts dagegen, dass es Emilie heißt? Es sieht ihr sogar ähnlich, finde ich!“

      Jacob schaute erstaunt seine dralle Mutter an, die die Arme in die Hüften gestemmt hatte und mit kleinen Tänzelschritten ihre Röcke hin und her schwang. Ihr rotes, rundes Gesicht mit der knolligen Nase strahlte. Da musste Jacob laut lachen, seine Mutter gackerte mit. All die Angst und Anspannung der letzten Stunden machte sich in einem befreienden Gelächter Luft. Der Ehne und Viktor erschienen an der Tür, die Kinder purzelten hinterher, alle lachten mit und wussten gar nicht so genau, weshalb. Nur Gertrud schüttelte verächtlich den Kopf und wandte sich ab. Was war das doch für eine alberne Familie!

      Wilhelmine konnte auch nicht lachen. Ihr Leib zog sich gerade in einer schmerzhaften Nachwehe zusammen, die vom Saugen des Babys ausgelöst worden war. Durch die Geburt geschwächt, wurden ihr plötzlich die vielen Menschen und das stickige Zimmer unerträglich. Die Ahna bemerkte ihre Not und scheuchte alle hinaus. Gertrud sollte sich um das Abendessen kümmern und Hanna die beiden Buben fürs Bett vorbereiten. Jacob musste die verschmutzte Wäsche in die Waschküche hinter dem Haus tragen und Viktor hatte die Stube zu fegen. Der Ehne schlurfte hinaus, Brennzeug holen. Als die Mutter alle beschäftigt hatte, kehrte sie zu Wilhelmine zurück, die ihre Hand ergriff.

      „Mutter, ich muss dir etwas sagen!“ Erstaunt ließ sich die Ahna auf der Bettkante nieder.

      „Du bist mir wie eine Tochter, Mädle, kannst mir ruhig alles sagen!“

      Wilhelmine senkte die Augen, holte tief Luft und fragte: „Spürst du nicht den Unfrieden im Haus? Die Gertrud möchte uns weghaben, das hat sie mir neulich ganz offen gesagt. Viktor ist auch ihrer Meinung. Wie soll man so leben? Jacob und ich haben...“

      „Aber Kind!“, unterbrach sie die Ahna. Sie nahm einen Kamm zur Hand und begann Wilhelmines zerzaustes Haar zu entwirren. „Es ist immer so, dass es im Winter Unwillen gibt, weil alle so eng zusammenhocken. Wirst sehen, im Frühjahr, wenn‘s Licht und Luft gibt und Arbeit auf dem Feld, sind sie froh über jede Hand, die anpackt. Musst es halt aussitzen. Jetzt hast du erst mal dein Baby, um das du dich kümmern kannst, dann feiern wir schön Weihnachten...“

      „Es ist aber schon beschlossen, dass wir wegziehen!“, fuhr Wilhelmine dazwischen. Das Baby war bei den lauten Worten zusammengezuckt und greinte. Erschrocken ließ die Ahna die Hand mit dem Kamm sinken. Wilhelmine wiegte das Kind und unterdrückte ein Schluchzen.

      „So eine Unvernunft!“, regte sich die Ahna auf. „Mit einem Neugeborenen wegziehen zu wollen. Das sieht dem Jacob ähnlich, nur Flausen im Kopf. Darf ich denn mein Enkelchen nicht aufwachsen sehen?“ Sie war aufgestanden und ließ sich jetzt verzagt auf einen Stuhl fallen. „Ach, Wilhelmine, wie soll ich’s mit Gertrud nur alleine aushalten? Sie kann einem das Leben sauer machen mit ihrer Art.“

      „Sie wird freundlicher sein, wenn wir weg sind!“, entgegnete Wilhelmine bitter. Versöhnlich fügte sie hinzu: „Hast ja noch Hanna und Ludwig. Hanna ist ein liebes Ding. Sie braucht dich, damit sie nicht so wird wie ihre Mutter.“

      „Trotzdem gefällt es mir nicht, ganz und gar nicht!“, beharrte die Alte. Niedergeschlagen nahm sie ihre Tätigkeit wieder auf und flocht Wilhelmines Haar zu zwei festen Zöpfen, die sie ihr auf dem Kopf feststeckte.

      „Vielleicht geht es uns ja woanders wirklich besser“, sagte Wilhelmine nach einer Weile leise. Die Ahna seufzte und nickte. Dabei hoffte sie aber von Herzen, dass die Ernten in den folgenden Jahren besser werden würden, damit der Jüngste mit seiner Familie heimkehren konnte.

      Die Stimmung im Hause Haisch hatte sich gebessert, seit der Beschluss für den Umzug allen bekanntgegeben war. Viktor und Gertrud waren erleichtert und zufrieden, bemühten sich aber, dies nicht zu zeigen. Die Großeltern hatten sich schweren Herzens mit dem Trennungsgedanken abgefunden, so wie sie sich in ihrem langen Leben schon mit so vielen Dingen abfinden mussten. An den dunklen Winterabenden, wenn draußen ein kalter Wind heulend ums Haus pfiff und den Schnee in hohen Haufen zusammenwehte, saß man gern am warmen Ofen beisammen. Wenn das Feuer im Ofen knisterte und das Spinnrad surrte, erzählte die Ahna Geschichten und Sagen. Die Kinder lauschten mit leuchtenden Augen, doch auch die Erwachsenen hörten gerne zu. In letzter Zeit aber wurde in dieser Runde viel über den bevorstehenden Umzug geredet. Jacob und Wilhelmine, das Baby an der Brust und den Jungen auf dem Schoß, planten und rechneten. Was würde sie in der Fremde erwarten? Jacob war voller Zuversicht und machte große Pläne. Er verstand es, so überzeugend den künftigen Wohlstand zu preisen, dass auch Wilhelmine langsam in erwartungsfrohe Stimmung kam.

      „Das Geld liegt anderswo auch nicht auf der Straße!“, brummte der Ehne nur, wenn sich sein Sohn wieder in Phantastereien erging. Doch Jacob ließ sich davon nicht beirren und träumte weiter von einem besseren Leben.

      Der kleine Jacob war auf dem Schoß seiner Mutter eingeschlafen, mit dem Daumen im Mund. Wilhelmine schickte sich an, ihre Kinder zu Bett zu bringen. Vor einer Stunde hatte sie die Betten angewärmt. Dazu wurden Steine erhitzt und in Tücher gewickelt, die kamen unter die Bettdecke. Vor dem Schlafengehen holte man die Steine heraus und legte sie wieder in das Herdfach, das extra zu diesem Zweck eingebaut war. Nun war es zwischen dem Strohsack und dem Federbett mollig warm.

      Mit dem Waschen wurden keine großen Umstände gemacht, denn das Erhitzen des Wassers war eine mühselige Angelegenheit. Im Winter wusch man sich einmal in der Woche in der Küche im Waschzuber. Erst die Frauen und Kinder, dann die Männer. Zum Schluss kamen noch die schmutzverkrusteten Stallsachen der Männer zum Einweichen ins lauwarme Wasser.

      Wilhelmine legte ihre Kinder in das große Bett, in dem auch sie selbst und ihr Mann schliefen.