Der Mörder Ihrer Majestät. Martin Cordemann

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Название Der Mörder Ihrer Majestät
Автор произведения Martin Cordemann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847699989



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fühle mich wach, fast erfrischt. Als wäre ich aus einem langen, erholsamen Schlaf aufgewacht. Ich atme durch. Noch immer Krankenhaus. Doch etwas hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Das Nichts ist verschwunden. Nein, anders herum. Mein verschwundener Körper ist wieder aufgetaucht. Ich fühle ihn. Vorsichtig, noch ein wenig entfernt, aber er ist da. Meine Zehen, ich kann sie fühlen, weit, weit entfernt. Ich spüre meine Beine, das Gewicht, mit dem sie die Matratze herunterdrücken. Ich spüre meinen Hintern, meinen Rücken, meine Arme, meine Hände. Ich spüre meinen Körper, er scheint wieder da zu sein. Ich spüre ihn und ich hoffe, hoffe, dass das keine Einbildung ist, kein Wunschdenken, kein verzweifeltes Festhalten an etwas, das nicht mehr existiert. Ich hoffe es!

      Da ist… Licht! Nur ganz schwach. Ja, ich sehe Licht. Nein, ich sehe es nicht, ich nehme es wahr. Meine Augen sind noch immer geschlossen, aber sie scheinen nicht erbildet zu sein. Ich fühle durch die geschlossenen Lider Wärme. Eine helle, rötliche Wärme, als würde die Sonne auf meine geschlossenen Augen scheinen. Ich spüre die Wärme und erkenne das Licht. Es ist ein gutes Zeichen… hoffe ich!

      Die Wärme ist weg. Aber das Licht ist noch da. Ein dünner Schein, der durch meine Augenlider dringt. Da draußen ist etwas. Vorsichtig versuche ich, eins der Lider zu öffnen. Es ist schwierig, es ist verklebt. Ich brauche ein wenig. Doch dann ist es offen. Alles ist undeutlich, unscharf. Alles ist weiß. Wenig Konturen, wenig Formen, nur schmutziges Weiß. Krankenhaus. Keine Farben, nur Weiß. Ich beginne, an meinem anderen Auge zu arbeiten, bekomme es auf. Meine Augen haben lange nicht mehr gesehen, müssen sich erst wieder daran gewöhnen. Unscharf. Hell. Undeutlich. Ich schließe die Lider. Öffne sie nach einer Zeit wieder. Ganz langsam. Meine Augen können sich anpassen. Sich scharf stellen. Sehen.

      Da ist ein Fenster. Weiße Wände. Weiße Schränke. Weiße Türen. Ein Fuß. Mein Fuß! Er ist da. Ein zweiter daneben. Mein Blick fährt langsam an mir hoch. Meine Hände, meine Arme, alles noch da. Etwas lädiert vielleicht, aber es scheint alles da zu sein, wo es hingehört. Ich seufze. Vor Freude. Was auch immer mir passiert ist, es hat mich nicht aller meiner Körperteile beraubt. Ich seufze, glücklich. Dann…

      Dann fällt mir etwas auf. Etwas, das mir vorher nicht aufgefallen war. Etwas, das ich nicht bemerkt hatte. Mein Körper war also noch da – aber wer zum Teufel war ich?

      002

      Wer war ich? Meine Kehle schnürte sich zu. Panikattacke! Wie konnte das sein? Wie konnte ich… ich atmete schnell, viel zu schnell.

      Die Tür ging auf. Jemand kam herein. Sah mich an. Sah meinen Blick.

      „Sie sind wach!“ rief er voller Erstaunen.

      Meine Attacke hörte nicht auf, ich sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an.

      Sofort lief er zu etwas außerhalb meines Blickfeldes und kurz darauf ließ die Attacke nach. Meine Atmung beruhigte sich wieder. Dann trat er zurück in mein Blickfeld. Er trug Weiß und lächelte.

      „Sie sind wach“, wiederholte er. Es schien ihn zu erfreuen. Mich hätte es auch erfreut, wäre mir nicht eine Erkenntnis gekommen, die alles bisher erreichte irgendwie nichtig erscheinen ließ.

      Wer war ich?

      Ich hatte meinen Körper wieder, wenn man so wollte, aber wem gehörte dieser Körper? Es war meiner, das nahm ich an. Alle Gedanken, die auf etwas anderes schließen ließen, die andere Möglichkeiten eröffneten, verdrängte ich aus meinem Kopf. Obwohl sie einiges erklären würden. Wenn man… meinen Geist genommen und ihn in einen anderen Körper transplantiert hätte. Das würde erklären, warum sich alles so fremd anfühlte, so fern, warum ich nicht wusste, wer ich war. Das hätte bedeutet, dass bei der Übertragung etwas schief gegangen, etwas verloren worden war.

      Aber das war idiotisch. Das gab es in Büchern. In alten… Büchern.

      Panikattacke!

      „Schon wieder?“ rief der Mann in Weiß und verschwand.

      Ja, schon wieder. Mein Atem beschleunigte sich. Meine Kehle verengte sich. Wie konnte das alles sein? Dass ich Dinge wusste, Dinge wie Bücher, wie meinen Körper, dass ich Begriffe kannte, Hand, Fuß, Arm, Panikattacke, aber dass ich nicht wusste, wer ich war, wie mein Name lautete? Wie war das möglich? War das überhaupt möglich?

      Das Mittel wirkte, meine Atmung beruhigte sich wieder. Zwei Panikattacken in so kurzer Zeit, das war kein gutes Zeichen. Und wenn ich meinen Gedanken weiter folgte, würden es bestimmt nicht die letzten Attacken gewesen sein.

      „Sie müssen sich beruhigen“, sagte der Mann in Weiß nun. „Ich will Ihnen kein Schlafmittel geben. Dass Sie wach sind, ist ein gutes Zeichen.“

      Ich versuchte zu nicken, war mir aber nicht sicher, ob sich mein Körper auch nur einen Millimeter bewegt hatte. Ich versuchte, ihm mit meinen Augen anzudeuten, dass ich verstanden hatte.

      „Sie haben mich verstanden, sehr gut.“ Er nickte. „Sie können Ihren Körper noch nicht bewegen. Das liegt an den Medikamenten. Aber wenn Ihre Genesung weiter so gut voran geht, können wir die Dosis bald verringern.“ Er lächelte. „Sie sind auf dem richtigen Weg.“ Sagte er. Dann ging er.

      Ich starrte vor mich hin. Weiße Wand, bleiches Fenster. Dadurch war die Sonne gekommen. Nahm ich an. Die Sonne…

      Ich bekämpfte eine weitere Attacke. Ich wollte kein Schlafmittel. Ich wollte wach bleiben. Es war das erste Mal seit langem, dass ich lang genug wach war, um mir Gedanken zu machen. Gedanken, die mich in eine Sackgasse führten. Die mir Angst bereiteten. Nicht die Gedanken selbst, die Schlussfolgerungen.

      Ich atmete ruhig und regelmäßig. Ich hatte Kontrolle. Vorerst.

      Mein Körper war da. Wie es schien, vollständig. Das war ein Anfang. Es bedeutete nicht, dass er funktionierte. Er konnte einen schweren Schaden davongetragen haben. Wenn es mein Körper war, kam der Gedanke von eben zurück. Was, wenn sie meinen Geist in einen anderen Körper übertragen haben? Ich hätte laut auflachen können, wenn ich meinen Körper unter Kontrolle gehabt hätte. Allein der Gedanke war lächerlich. Absurd. Blödsinnig. Das war Utopie, Science Fiction, Horrorgeschichten. Sowas dachten sich Leute aus, so etwas gab es nicht in der Wirklichkeit. Ich glaubte nicht…

      Ich…

      Ich?

      Wer war ich?

      Wer bin ich?

      Warum wusste ich das nicht?

      Tief durchatmen, langsam atmen, ruhig bleiben.

      Ich näherte mich wieder der Schwelle, die zu einer Attacke geführt hatte. Die Schwelle der Erkenntnis konnte man sagen. Oder der Unerkenntnis? Der Erkenntnislosigkeit? Der Ausweglosigkeit. Es kam alles aufs Selbe hinaus.

      Durchatmen.

      Wo war das Problem? Ich wusste nicht, wer ich war, na und? Das war schon anderen Leuten passiert…

      Das war die Stelle, Erkenntnis, durchatmen!

       Woher wusste ich das?

      Das war die Frage, das Problem, der Auslöser der Attacke. Wenn ich nicht wusste, wer ich war, woher wusste ich dann diese anderen Dinge? Woher wusste ich, dass ich einen Körper hatte? Und dass er nicht funktionierte? Dass ich ihn nicht fühlen konnte? Was „fühlen“ war? Dass es einen Arm, ein Bein, ein Ohr, eine Lunge gab und dass diese Dinge so hießen? Woher kannte ich so etwas wie den Begriff „Science Fiction“? All das ergab keinen Sinn!

      Durchatmen, aufs Atmen konzentrieren.

      Atmen!!!

      Atmen!

      Atmen.

      Mein Körper war da. Ja. Aber mein Geist… was war mit meinem Geist? Warum wusste ich nicht, wer ich war? Wie konnte ich etwas so wesentliches vergessen?

      Oder… hatte ich es nie gewusst?

      Neue Bilder, neue Ideen stürzten auf mich ein. Was, wenn ich kein