Название | Brief an Marianne |
---|---|
Автор произведения | Martin Winterle |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742783868 |
Eva hatte auf ihrem Smartphone das komplette Wochenende, selbst die kleinsten Details, minutiös aufgelistet. In wenigen Minuten müsste ein Bus, direkt vom Flughafen zum Hotel Stella Maris fahren. Gut getimt, keine zwanzig Minuten später checkten sie bereits ein. Bezogen ein weitläufiges, maritim eingerichtetes, helles Zimmer im dritten Stock. Ob im Raum selbst, oder auf dem Balkon, den sie gerade erkundete, es war nicht zu leugnen, man befand sich an der See. Die Luft ganz anders, als zwischen den einengenden Bergen. Vereinzelte, weiße Wolken, zogen freier, viel höher, als daheim. Die beiden frischten sich auf, kleideten sich sportiv, wollten erstmal die Umgebung erkunden.
Bis zum Abendessen war noch genug Zeit. Mussten sich erst klar darüber werden, ob die Richtung des Dinners asiatisch, hanseatisch oder italienisch, sein sollte. Sie einigten sich auf – überraschen lassen…
Schlenderten zum nahen Hafen, spazierten auf die Landungsbrücken hinaus. Die Möwen kreischten heißer, zogen enge und weite Kreise, knapp über ihre Köpfe hinweg, aggressiv um Futter bettelnd. Kleine und größere Buden, boten appetitliche Happen, meist frisch gefangener Fisch, dazu kühle Getränke. Es duftete geradezu verführerisch, das Gusto Pendel für das Abendessen, tendierte stark Richtung hanseatisch. Besucher aus aller Herren Länder flanierten dem Kai entlang. Auf dem Wasser herrschte reges Treiben. Rundfahrtschiffe in allen Größen, ein mittlerer Kreuzfahrer wurde gerade mittels armdicker Taue festgemacht. Lotsenboote tuckerten gemächlich Hafen einwärts.
Eva´s suchender Rundumblick brachte ihr keinen einzigen Hans-Albers-Typ, dafür kleinwüchsige Asiaten, mit schussbereiten Kameras in rauen Mengen, ein. Einige hundert Meter schlendern, sich von den Wellen, die unablässig an die Hafenmauer knallten, begleiten lassen, war schon notwendig, bis sich der erste zeigen sollte.
Ein Seenotkreuzer der DGzRS, lag direkt am Pier vor Anker. Die Besatzung mit Arbeiten an Deck beschäftigt. Da stand wirklich eine männliche Schrankwand von gut zwei Meter, direkt vor ihnen. Strahlend blaue Augen, blonde Kurzhaarfrisur, Pfeife im Mundwinkel. Die Kapitänsinsignien am Ärmel, Kontrollmappe unter den Arm geklemmt, ein Bild für Götter, jedenfalls für Eva. Marianne raunte ihr zu, sie möge jetzt bitte nicht in Ohnmacht fallen, nur um von diesem Frauentraum, wieder zum Leben erweckt zu werden. Lachend meinte Eva, sie brauche keine Angst zu haben, kannte weit einfachere Möglichkeiten, auf die Schnelle ein nettes Erlebnis zu provozieren.
Infernalischer Lärm mehrerer Starktonfanfaren, kombiniert mit dem röhrend, anschwellenden Geräusch, eines stark an Fahrt aufnehmenden Schnellbootes der Hafenpolizei, erzwang von Eva einen zweiten Anbaggerungsanlauf. Herhalten musste der Nordseehüne trotzdem. Die Spinne hatte ihn bereits im Netz. Eva fragte, (mit passend naivem Augenaufschlag…) um Rat. Wollte wissen, welche der zahlreich angebotenen Hafenrundfahrt, wohl die lohnendste wäre. Freundlich erteilte der Angesprochene Auskunft, wies außerdem noch auf diese und jene Hamburger Sehenswürdigkeit hin. Dass sie Damen den Michel nicht nur von außen ansehen sollten, auch ein Rundgang durch den Kirchenraum wäre lohnenswert. Sich an Marianne wendend, fragte er, woher die Damen kommen.
Sie seien zwei Tirolerinnen, entgegnete sie freundlich lächelnd. Nach ein paar kurzen, Tirol betreffenden Höflichkeiten, legte er grüßend seine rechte Hand ans Barett, nicht ohne Marianne, mehr als nur freundlich, zum Abschied anzusehen. Ganz augenscheinlich war sie mehr sein Typ, als die schlanke Blondine mit der Topffrisur. Ob der Kapitän zur See, heute Abend dienstfrei gehabt hätte, wäre Marianne solo den Kai entlang flaniert, hätte sich so ganz alleine in der fremden Stadt, nicht mehr zurecht gefunden? Eva hatte spaßhalber ein wenig hörbar orakelt. Marianne hatte vom seemännischen Interesse an ihr, gar nichts mitbekommen.
Beide hatten ihre, vorsichtshalber mitgenommen, leichten Daunenjacken ausgezogen, über den Arm gelegt. Die Sonne schien vom fast wolkenlosen Himmel. Wäre nicht der leise Luftzug von der See her, es wäre fast schon sommerlich. Jedenfalls warm genug, für eine heiße Schokolade, ein Muffin mit Pfirsichstücken, im Freien. Bei einer Bude nahe den Landungsbrücken. Sie ließen die beindruckenden Bilder der riesenhaften Verladekräne, den Bergen von Überseecontainern, in allen Farben, auf sich wirken. Hinter ihnen die beeindruckenden, braunroten Backsteinbauten der alten Kontore. Der grüne Kirchturm im Hintergrund, dass musste wohl der Michel sein, von dem der Kapitän erklärt hatte, auch das Innenleben sei sehenswert. Sie würden es sich nicht entgehen lassen, heute oder spätestens morgen.
>Eigentlich müssten wir vor dem Abend gar nicht mehr ins Hotel, oder? <
Eva lutschte den knusprigen Rand von ihrer Muffin aus der Papierhülle.
>Wir haben alles mit, was wir zum Abendessen und zum Reeperbahnbummel benötigen. Bräuchtest du noch was vom Zimmer, Mädel? <
Marianne verneinte, war derselben Meinung.
>Dann machen wir’s so, bis auf die Reeperbahn sind es gut zwanzig Minuten. Vor neun Uhr, frühestens, macht es wenig Sinn, dort zu sein, da ist nichts los. Hin spazieren wir zufuss, aber in der Nacht, zurück zum Stella Maris, nehmen wir uns ein Taxi. Ist bequemer, vor allem sicherer. Wenn wir uns links halten, liegt die Reeperbahn hier, wies Eva mit ihrem Arm die Richtung. Wir haben locker Zeit, uns jedes Lokal anzusehen, an dem wir vorbeikommen, müssen nicht extra suchen. Wo es uns reinschneit, da bleiben wir, ist das ok für dich? <
Eva hatte den Plan, für den Rest des Tages herausgelassen. Ihr sollte es recht sein.
Kulinarisch gab es so gut wie nichts, was in dieser Ecke Hamburgs nicht angeboten wurde. Von kasachisch bis bayrisch, die Damen hatten die Qual der Wahl. Fast schon am Beginn der klassischen Sündenmeile, schlenderten sie an einem Asia Palast vorbei. Die ausgehängte Speisekarte, lockte mit einem Riesenselbstbedienungsbuffet zum Schnäppchenpreis.
Der Zauber Asiens umhüllte sie mit leiser Musik, schaurigen Drachenfiguren, einladenden Ledersitzgarnituren, gedämpftem Licht und einem Buffet der Extraklasse. Allein das Sushi Angebot war umfangreicher und bunter, als bei ihrem heimatlichen Stammchinesen, das ganze Buffet. Sie nickten sich zu, Volltreffer. Einen freier Tisch gleich besetzt, zweimal Apfelschorle, schnell bestellt. Marianne begann ihr Dinner mit einem Schälchen Pekingsuppe. Eva wollte zuerst nicht so recht. Eine Duftwolke aus dem Wärmebehälter wirkte überzeugend.
>Mal was ganz anderes, als bei uns daheim, nicht Eva? Wie spät ist es denn eigentlich schon, ich hab richtig Kohldampf bekommen. <
Marianne, einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr werfend, erklärte gleich:
>Naja es ist in wenigen Minuten acht, da dürfen wir schon Hunger haben. Wie weit ist jetzt dieses Herz von St. Pauli noch weg? <
Sah dabei Eva an.
Diese arbeitete gerade mit ihren Backenzähnen, meinte:
>Wenn du mich fragst, wenige Minuten zu Fuß, warum? <
>Nein, nur so, ich hab überhaupt keinen Orientierungssinn in fremden Städten. Hast du ein bestimmtes Lokal im Auge für heute Abend, oder schauen wir einfach, wo was los ist? <
Eva tauchte ihr Smartphone aus dem Umhängebeutel, drückte ein paar Tasten, bevor sie es ihr hinüber, sich genüsslich, gebackenes Gemüse in den Mund, schob.
>Vorher schauen wir uns aber noch in den kleinen Kunstgewerbeläden und Ateliers um. Die haben alle bis 22 Uhr und länger auf. Vielleicht findet gerade irgendwo eine Vernissage oder, noch besser, eine hochgeistige Dichterlesung statt. <
Das letzte habe sie nicht ernst gemeint, betonte sie rasch lachend, als sie Mariannes fassungslosen Blick gewahr wurde.