Die Wolf. Jan-Hillern Taaks

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Название Die Wolf
Автор произведения Jan-Hillern Taaks
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738042382



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als lebe sie in einer Märchenwelt, in einer Welt, die sie bisher noch nicht kennengelernt hatte, die sie aber sehr glücklich machte. Mit seiner breiten Hand fuhr er über ihre Haare, die Hand glitt vorsichtig den Nacken hinab und landete leicht auf ihrem Rücken. Für Augenblicke war sie völlig willenlos - aber diese Augenblicke gingen vorüber. Sie gab sich einen Ruck und löste sich - langsam, fast liebevoll. Mit einem Lächeln sagte sie schließlich:

      "Es tut mir leid - aber ich wollte wirklich nur ein paar Blumen kaufen."

      Er lachte laut auf. Das Lachen steckte an, auch sie lachte.

      Sie kaufte ein paar Blumen und sie verabschiedete sich - aber nicht, ohne sich mit Bernd für den Abend zu verabreden. Helene lächelte, als sie zu Hause die Blumen arrangierte, und sie konnte es kaum abwarten, am Abend auszugehen. Ralf merkte ihre Veränderung, als er nach seiner Arbeit nach Hause kam. Sie strahlte eine stille Heiterkeit aus, die er vorher noch nicht entdeckt hatte. Ja, sie sagte ganz offen, dass sie sich mit einem jungen Mann getroffen habe, ja, und nun sei sie verliebt, ja, sie sei sich sehr sicher, verliebt zu sein. Ralf freute sich, und das sagte er auch, und zum Abschied wünschte er ihr einen sehr schönen Abend.

      Kaum hatte Helene das Haus verlassen, rief Ralf bei Otto an, aber es meldete sich ein Mitarbeiter von Otto, und der sagte, Herr Mundt sei in London, er habe wegen eines Geschäftes plötzlich abreisen müssen. Ralf bedankte sich. Ja, Otto hatte ihm gesagt, dass er in letzter Zeit viel unterwegs sein müsse. Was Otto beruflich machte, wusste Ralf nicht so genau. Er war Makler - aber was er kaufte, verkaufte oder vermittelte, war ihm nicht klar, und Otto redeten darüber auch nur sehr wenig.

      5. Kapitel

      Ralf wachte auf, als Helene nach Mitternacht wieder nach Hause kam. Helene sang leise vor sich hin. Ralf lächelte und er dachte, dass "unsere" Helene einen schönen Abend gehabt haben musste. Ja, das hatte sie auch verdient, sagte er sich noch, ehe er wieder einschlief. Als er wie üblich kurz nach sechs Uhr aufstand, hatte Helene das Frühstück bereits gemacht, und es war, als kenne sie keine Müdigkeit. Warum hätte sie länger schlafen sollen, sagte sie auf seine Frage hin. Sie habe heute früh eine Vorlesung, und die wolle sie nicht verpassen. Sie sagte nichts von der vergangenen Nacht, und Ralf fragte auch nicht. Wenn es nötig sei, würde sie reden, dachte er sich.

      Ralf hatte nie bedauert, das Mädchen, das nicht seine Tochter war, großgezogen zu haben - gewiss, in den ersten Jahren zusammen mit seiner Frau Louise, dann mit Ottos Hilfe. Aber sie lebte bei ihm, und immer wieder stellte er freudig fest, dass sie sein Leben schöner machte, reicher. Es hatte natürlich auch Momente gegeben, da er sich über sie geärgert hatte. Vor allem hatte er sich sehr früh daran gewöhnen müssen, dass sie in vielen Dingen einen eigenen Kopf hatte. Aber unterm Strich war sie eine reine Freude. Natürlich vermisste Ralf gelegentlich eine Frau, mit der er sein Bett teilen könnte. Sehr gelegentlich besuchte er eine Freundin, mit der ihn nichts verband als ein intimes Beisammensein.

      Helene war Abend für Abend außer Haus. Sie sagte, sie gehe zu ihrem Freund. Ralf fand, dass Helene eine Freude ausstrahlte, wie er es bei ihr noch nicht erlebt hatte. Ganz offensichtlich war sie glücklich - sie war es. Sie war von Bernd fasziniert. Allein die Berührung seiner leicht behaarten, goldbraunen Haut versetzte sie in Ekstase. Bernd nahm sie mit auf seine "Bude", und das war nichts als ein Raum mit einem Bett und zwei Stühlen drin. Nebenan gab es das Bad. Das sei so etwas wie eine Absteige, sagte er ihr - ihr war das recht. Sie hatte nie auch nur geahnt, dass der Geschlechtsverkehr mit Bernd einen so unglaublichen Spaß machen könnte. Dieses Erlebnis war ganz anders als das, was einst Lilly ihr erzählt hatte.

      So verfallen sie der körperlichen Berührung auch war, sie verfolgte ihr Studium mit großem Ernst. Vorlesungen und Seminare nahm sie wahr, sie verpasste keine Termine, und sie arbeitete auch zu Hause - bis eben die Zeit gekommen war, zu Bernd zu gehen. Es war Onkel Otto, der Helene einmal bat, Bernd doch einmal mitzubringen und ihm vorzustellen. Otto war einige Wochen unterwegs gewesen, und als er mit Ralf wieder einmal zusammensaß - Helene war unterwegs gewesen - erfuhr er von Helenes Liebesbeziehung zu einem Gärtner. Seine Reaktion war mit der von Ralf vergleichbar, als er sagte:

      "Endlich!"

      Ralf musste lachen. Otto aber meinte ernsthaft:

      "Ich hatte schon gedacht, dass Helene keine Neigung zu den schönen Seiten des Lebens haben würde. Hast du den Freund einmal kennengelernt?"

      Am nächsten Tag, es war ein Samstag, war Otto zum Mittagessen erschienen. Helene hatte eine Gemüsesuppe - mit guten Einlagen - gekocht, und sie saßen ganz gemütlich in der geräumigen Küche und aßen ihre Suppe. Helene mochte Onkel Otto, der in Wahrheit sehr wenig sagte, und der einfach da war. Gelegentlich erzählte er amüsante Geschichten, so jetzt von dem, was er in London gesehen hatte und von dem, was in London eben anders als in Hamburg war.

      Das Essen war beendet, als Otto, der beim Abräumen des Geschirrs geholfen hatte, fragte, ob man den Freund einmal kennenlernen könnte.

      "Ja, warum eigentlich nicht?" entgegnete sie spontan. Dann fügte sie etwas nachdenklich hinzu:

      "Er ist eigentlich kein Typ, der in der Gesellschaft einen Platz hat - ich will sagen, er ist so etwas wie ein Einzelgänger, glaube ich."

      "Na ja, macht nichts. Lade ihn einmal ein, und wenn ihm das nicht recht ist, wird er ja etwas zu sagen haben", meinte Onkel Otto ganz gelassen.

      "Mach ich", entgegnete Helene fröhlich. Ja, sie würde ihn einladen, aber sie bezweifelte, ob er auch kommen würde. Vermutlich nicht. Komisch, wenn sie mit ihrem Bernd zusammen war, wurde nie von der Familie gesprochen, weder von ihrer, noch von seiner Familie.

      6. Kapitel

      Es dauerte dann doch ganze vier Wochen, ehe Bernd Wolf dann doch kam. Er hatte Helene gleich gesagt, dass er nicht lange bleiben wolle, denn was solle er in Gesellschaft zweier alter Herren bloß tun - damit könne er nichts anfangen.

      "Du, die Gesellschaft zweier alter Herren ist mein Zuhause, das ist das, was ich an Familie habe", hatte sie gesagt, worauf er schließlich gesagt hatte, dass er mitkommen werde.

      "Können wir uns denn dort auch so liebhaben wie bei mir?", hatte Bernd gefragt. Helene hatte lachen müssen, hatte aber nichts gesagt. Warum eigentlich nicht? Sie würde natürlich bescheid geben müssen, aber sie war sich sicher, dass die "beiden alten Herren" nichts dagegen einzuwenden hätten.

      Bernd zog sich für diese Vorstellung nicht besonders "anständig" an. Er war in Jeans, in einem Hemd, in Turnschuhen - so, wie er auch in der Gärtnerei arbeitete. Helene wusste inzwischen, dass Bernd keine andere Kleidung hatte. Er hatte nie etwas anderes gehabt. Es waren immer Jeans, und immer ein T-Shirt oder ein Hemd - gewaschen, gewiss, aber andere Kleidung hatte er und wollte er nicht. Ihr war bewusst, dass sie Bernd nicht überall vorstellen konnte, zumindest nicht in seinem Räuberzivil. Aber, so sagte sie sich, Bernd war so, und sie wollte nichts daran ändern. Immerhin hatte Bernd versucht, seine Haare zu bändigen, und er war rasiert.

      Bernd füllte mit seiner körperlichen Größe das Wohnzimmer der Wohnung. Aber es war nicht nur seine Größe, es war nicht nur sein lässiges Auftreten - es war das Ungewöhnliche an ihm, die sanfte Stimme, der muskelbepackte Körper und die warme Ausstrahlung, die auch auf Otto und Ralf nicht ohne Wirkung blieb. Schnell stellte sich für Ralf und Otto heraus, dass Helene hoffnungslos dem Mann verfallen war, der nichts gelernt hatte, und er nichts hatte außer seinem Körper, so zumindest schien es. Er arbeitete in der Gärtnerei, aber er war so etwas wie eine attraktive Aushilfskraft, sonst nichts. Bernd hatte kein Ziel, er lebte in den Tag hinein und genoss das Leben, wie es sich ihm bot. Er war nicht dumm, dieser junge Mann, aber er hatte keine Interessen außer dem, was er mit sich und seinem Körper tun konnte - das war der Eindruck, den Bernd zunächst machte.

      Was ihn besonders interessiere, fragte Otto, und als Bernd nicht antwortete oder nicht richtig verstanden hatte, fragte Otto, welche Hobbys er habe. Keine, antwortete Bernd. Was er denn besonders gern tue, bohrte Otto weiter. Nach einer Pause sagte er, dass er schnitze - Holzschnitzereien seien